Redner(in): Horst Köhler
Datum: 8. April 2008

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2008/04/20080408_Rede.html


Der Preis der Preise: das ist ganz ohne Frage der Nobelpreis. Darum haben im vergangenen Herbst die Nachrichten aus Stockholm viele Deutsche so sehr begeistert, dass fast wieder ein wenig "Wir sind Papst" - Stimmung aufkam. Deutsche Nobelpreisträger in gleich zwei naturwissenschaftlichen Disziplinen! Auf diese Auszeichnung dürfen natürlich vor allem Sie und Ihre Mitarbeiter stolz sein. Aber Ihre Landsleute nehmen sich einfach das Recht heraus, es auch ein wenig zu sein, ein wenig stolz und auch ein wenig erleichtert. Denn Ihr großartiger Erfolg wirft ja auch ein helles Licht auf die Wissenschaftslandschaft in Deutschland insgesamt, die manche Pessimisten schon fast so düster malten wie die Kulissenmaler die "furchtbare Wolfsschlucht" im Freischütz. Ihr Erfolg zeigt: Es mag in dieser Landschaft manche wissenschaftliche Wolfsschlucht geben, an deren Melioration gearbeitet werden muss, aber es gibt ( wie im Freischütz! ) eben auch schöne Gegend. Wir brauchen Spitzenleistungen in Forschung und Entwicklung, um unserem Land eine gute Zukunft zu sichern. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Wir brauchen Menschen wie Sie, die mit ihren Ideen und ihrem Einsatz die Wissenschaft und damit unser Land voranbringen.

Für Sie bedeutet der Nobelpreis die Krönung eines wissenschaftlichen Lebenswerks, das schon vorher vielfältige Anerkennung gefunden hat. Sie, lieber Herr Ertl, erhielten neben dem Leibniz-Preis beispielsweise den Japan-Preis aus den Händen Kaiser Akihitos. Diese kaiserlichen Ehren wurden Ihnen, lieber Herr Grünberg, im letzten Jahr auch zuteil, und bereits 1998 konnte Roman Herzog Ihnen den Deutschen Zukunftspreis überreichen - den Preis des Bundespräsidenten für Technik und Innovation.

Durch Ihre Arbeiten wurden technische Entwicklungen ermöglicht oder verbessert, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind, wie zum Beispiel der Fahrzeugkatalysator oder der Computer. Zugleich haben Sie mit Ihren Erkenntnissen der Forschung neue Gebiete erschlossen: in der Oberflächenchemie und der Spintronik.

Beide sind Sie von Haus aus Physiker. Sie, lieber Herr Professor Ertl, der Sie auf dem Feld der physikalischen Chemie arbeiten, sagen heute, dem Vernehmen nach: Wenn ich jung wäre, würde ich mich wohl der Biologie widmen. Ein Satz, der zeigt, wie verlockend der Blick über das eigene Fachgebiet hinaus ist, wie spannend die Zusammenhänge zwischen den Disziplinen wirken - und wie jung und neugierig Sie geblieben sind.

Sie, hoch verehrter Herr Professor Grünberg, würden wohl bei der Physik bleiben, auch wenn Sie ein zweites Forscherleben in Reserve hätten. Dafür ist aber Ihre Entdeckung des Riesenmagnetowiderstands inzwischen auch für die Biologie von Bedeutung, wo sie zum Beispiel beim Nachweis genetischen Materials zur Anwendung kommt. Dass Sie ein kreativer Grenzgänger sind, zeigt auch die Tatsache, dass Sie nicht nur als Grundlagenforscher par excellence gerühmt, sondern auch als "Europäischer Erfinder des Jahres" ausgezeichnet wurden. Daran wird deutlich, wie eng Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung zusammenhängen und wie gut Sie in beiden Bereichen zu Hause sind - eine Qualität, die man den Wissenschaftlern in Deutschland und dem Standort Deutschland nur wünschen kann.

Zwei weitere gute Eigenschaften haben Ihrer beider erfolgreiche Vorstöße ins Neue begünstigt: Ausdauer und Geduld. Sie, Herr Ertl, haben es in einem Interview so gesagt: "Ein Wissenschaftler erreicht nie, niemals ein Ende. Und wenn wir ein Problem lösen, entstehen fünf andere Probleme neu. ( ... ) Man sollte nie aufgeben, man sollte immer versuchen, das Problem so weit wie möglich zu lösen. Und man muss Geduld haben. Das ist sehr wichtig."

Peter Grünberg war als junger Mensch bei den Pfadfindern. Nun wird nicht aus jedem Pfadfinder ein Spitzenforscher - manche werden auch Bundespräsident. Aber weil ich selber Pfadfinder war, weiß ich, dass man dort nicht nur den Aufbruch in unbekanntes Terrain übt, sondern auch lernt, das eigene Tun in den Dienst anderer zu stellen, in den Dienst der Gemeinschaft."Wer das Glück hat, etwas Neues zu finden, muss die Tüchtigkeit aufbringen, etwas Wertvolles daraus zu machen." - Aus diesem Satz von Ihnen, lieber Herr Grünberg, spricht echter Pfadfindergeist.

Im Sommer werden wir hier im Schlosspark ein "Fest für kleine Forscher" veranstalten. Wir wollen - gemeinsam mit einigen Initiativen, die sich für naturwissenschaftliche Bildung in Kitas und Grundschulen engagieren - auf die Bedeutung dieser frühen Förderung hinweisen. Ich bin überzeugt: Wir brauchen - übrigens nicht nur bei den Kindern - mehr Interesse, ja mehr Begeisterung für die Natur- und Lebenswissenschaften: Das ist eine schwierige Aufgabe angesichts der komplexen Problemstellungen, denen diese Wissenschaften auf der Spur sind.

Die Funktion eines Katalysators besteht darin, dass er zwischen vorhandenen Substanzen Reaktionen auslöst, beschleunigt oder in eine bestimmte Richtung lenkt, ohne sich dabei selbst zu verbrauchen. - Habe ich das ungefähr richtig beschrieben? - Insofern war auch der Nobelpreis, den Sie beide erhalten haben, eine Art "Katalysator" : Er hat die Aufmerksamkeit auf Ihre Forschungen und auf die Naturwissenschaft insgesamt in unserem Land gelenkt. Er wird hoffentlich dazu beitragen, dass die Naturwissenschaften bei uns wieder einen höheren Stellenwert erhalten und dass mehr junge Menschen sich für das Studium dieser Fächer interessieren. Und für Sie selbst zieht der Nobelpreis neue, wohlverdiente Ehrungen nach sich: Lieber Herr Grünberg, lieber Herr Ertl, ich freue mich, Ihnen nun das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland zu verleihen.