Redner(in): Horst Köhler
Datum: 6. Oktober 2008

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2008/10/20081006_Rede.html


Vor kurzem, am Tag der Deutschen Einheit, wurde - zu Recht - einmal mehr an die Tage und Wochen in der Geschichte unseres Landes erinnert, als erst ein paar wenige, dann Hunderte, Tausende und schließlich Hunderttausende von Menschen auf die Straße gingen und mit ihren friedlichen Protesten ein diktatorisches Regime zu Fall brachten. Wir können nicht oft genug an dieses Ereignis erinnern. Denn in ihm steckt eine ganz wichtige und wertvolle Erfahrung: Die Erfahrung, gemeinsam mit anderen etwas bewegen zu können. Die Erfahrung, dass es letztlich immer auf den Einzelnen ankommt."Ich kann etwas zum Besseren verändern. Ich werde gebraucht." - Diese Erfahrung hat wohl jede und jeder von uns schon in den unterschiedlichsten Situationen und Zusammenhängen gemacht. Es ist eine Erfahrung, die gut tut, die Kraft gibt und die ansteckend wirkt.

Und darum, liebe Anwesende, ist es so wichtig, dass es Menschen wie Sie gibt. Sie haben nicht gesagt "Ich kann ja eh nichts machen", sondern haben etwas getan. Sie zeigen, was sich schaffen lässt, wenn jeder sich seiner Möglichkeiten bewusst wird und das ihm Mögliche dann auch tut. Und Sie sind damit Vorbilder für andere. Dabei könnten Ihre biographischen Hintergründe, Ihre Lebenssituation und auch die Art Ihres Engagements unterschiedlicher kaum sein:

Egal, aus welchen Motiven heraus Sie aktiv geworden sind, egal, wofür Sie sich engagieren, mit welchen Mitteln, egal, wo Sie geboren wurden und an welcher Stelle des politischen Spektrums Sie sich selbst sehen - es gibt etwas, was Sie alle eint: Sie haben Ihre Fähigkeiten, Ihre Kenntnisse, Ihre Mittel eingesetzt, um andere zu unterstützen oder eine Sache voranzubringen, die Sie als wertvoll und wichtig erkannt haben. Und dafür sage ich Ihnen heute aus vollem Herzen: Danke!

Der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, den ich Ihnen gleich verleihen darf, ist zwar im Grunde nur ein Stück Metall. Aber dieses Stück Metall symbolisiert die höchste Anerkennung, die die Bundesrepublik Deutschland für Verdienste um das Gemeinwohl ausspricht. Tragen Sie ihn daher mit Stolz und Freude - Sie haben ihn sich verdient, und Ihr Beispiel verdient viele Nachahmer.

Das, was Sie tun, ist nicht nur ein Dienst an den Menschen oder an der Sache, die sie unterstützen - es ist zugleich ein Dienst an unserem Land und Ausdruck einer lebendigen, lebens- und liebenswerten Bürgergesellschaft. Denn: "Der Bürgerstaat ist nicht bequem, Demokratie braucht Leistung." Willy Brandt hat das so gesagt, in seiner Regierungserklärung vor 35 Jahren, und der Satz gilt heute unverändert. Niemand darf sich darauf verlassen, dass der Staat allein es schon richten wird.

Gewiss, der Staat soll ermuntern und aktivieren, und er muss Strukturen schaffen, die dazu beitragen, dass Engagement und Ideen sich entfalten können. Doch das alles nützt wenig, wenn es nicht von aktiven Bürgerinnen und Bürgern mit Leben erfüllt wird; von Menschen wie Ihnen, die zupacken und handeln.

Wenn ich mich hier so umblicke, habe ich allen Anlass zum Optimismus. Auch die Zahlen sprechen für sich: Es gibt in Deutschland immer mehr Stiftungen und eine große Vielfalt von Netzwerken, Initiativen und sonstigen Institutionen der Bürgergesellschaft. Inzwischen ist jeder dritte erwachsene Deutsche unbezahlt und freiwillig für andere tätig; nicht zu vergessen die ungezählten Menschen, die sich mit einem großen Teil ihrer Zeit und ihrer Kraft um hilfsbedürftige Angehörige kümmern. Sie alle zusammen schaffen etwas, was Staat und Verwaltung nie und nimmer organisieren könnten. Sie alle bilden mit Ihrem vielfältigen Engagement die Grundlage, auf der unsere Bürgergesellschaft gedeiht.

Damit, meine Damen und Herren, sind wir wieder beim Tag der Deutschen Einheit, genauer: bei der Frage, was uns eigentlich verbindet - in einem Land, dessen Bewohner sehr unterschiedlich sind in ihrer kulturellen Vielfalt, ihren Lebensgeschichten und Lebensumständen. Ich meine, es ist gerade auch dieses dichte Gewebe einer lebendigen Bürgergesellschaft; es sind die vielen verschiedenen Antworten auf die Frage, wie wir zusammenleben können als Gleiche und doch Verschiedene und wie wir unsere Zukunft gestalten sollten in unserem gemeinsamen, geeinten Land.

Meine Damen und Herren, mein Faible für afrikanische Weisheiten ist inzwischen vermutlich bekannt. Eine gebe ich Ihnen mit auf den Weg: "When spiders web unite, they can tie up a lion." Also "Wenn Spinnen gemeinsam weben, vermögen sie einen Löwen zu fesseln". Ich hoffe, Sie knüpfen vielleicht auch jetzt im Anschluss an die Ordensverleihung den einen oder anderen Kontakt - und weben ansonsten munter weiter. Informationen zu den Ordensträgern )