Redner(in): Horst Köhler
Datum: 15. Januar 2009
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2009/01/20090115_Rede.html
Herr Nuntius, meine Damen und Herren Botschafter und Vertreter Internationaler Organisationen, Deutschland und die Deutschen fühlen sich Ihnen verbunden in dem gemeinsamen Wunsch nach einem Schweigen der Waffen im Nahen Osten - und nach Frieden.
Das ist es, was ich heute als erstes sagen möchte.
Meine Damen und Herren, herzlich willkommen in Schloss Bellevue.
2009 wird für uns Deutsche ein besonderes Jahr. Die Bundesrepublik Deutschland wird 60 Jahre alt. Und wir begehen den 20. Jahrestag des Mauerfalls. Die Deutschen können dieses zweifache Jubiläum im Zeichen von Freiheit und Einheit feiern. Darüber sind wir dankbar und froh. Wir haben gelernt, welch kostbares Gut die Freiheit ist. Und wir haben gelernt, guten Gebrauch von ihr zu machen. Die Deutschen haben eine stabile Demokratie und eine Wirtschaftsordnung aufgebaut, die Freiheit und Wettbewerb mit sozialem Ausgleich verbindet. Und vor 20 Jahren haben die Menschen in der ehemaligen DDR gemeinsam mit den Völkern in Mittel- und Osteuropa nach vielen vergeblichen Versuchen den Eisernen Vorhang friedlich überwunden und die Berliner Mauer zum Einsturz gebracht. Seitdem arbeiten wir in Deutschland gemeinsam daran, die Folgen der Teilung zu überwinden und eine Kraft zum Guten zu sein in der Welt. Das alles wollen wir feiern - gemeinsam mit unseren Freunden überall auf der Welt, die uns auf diesem Weg begleitet haben.
Deutschland dient heute als "gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt". So haben es uns 1949 die Väter und Mütter unserer Verfassung als Leitbild ins Grundgesetz geschrieben. Wir können mit ruhigem Selbstbewusstsein sagen, dass wir diesem Auftrag in den vergangenen 60 Jahren treu geblieben sind. Wir haben seit 1949 Schritt für Schritt internationale Verantwortung übernommen. Deutschland hat sich partnerschaftlich in die europäische Integration eingebracht. Unser Land hat seinen Beitrag zu den Vereinten Nationen und zur Entwicklungszusammenarbeit verstärkt. Unsere Partner können sich auf Deutschland verlassen.
Mein Land steht wie alle Staaten der Weltgemeinschaft angesichts der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 vor schwierigen Herausforderungen. Ich halte nichts von Schwarzmalerei, auch nicht, wenn sie sich in historische Vergleiche hüllt. Wir erleben heute ein anderes Szenario als das der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre im 20. Jahrhundert. Die G 20-Konferenz am 15. November in Washington hat gezeigt: Die internationale Staatengemeinschaft weiß um die Herausforderung und kann auf gemeinsamer Linie handeln. Darauf können wir aufbauen.
Die Bundesregierung hat gestern kraftvolle Maßnahmen zur Stärkung der deutschen Wirtschaft beschlossen. Sie stützen die Anstrengungen der Europäischen Union und auch der internationalen Gemeinschaft, der Weltrezession entgegenzuwirken. Schon im Herbst hat Deutschland mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz rasch und entschlossen einen Beitrag zur Überwindung der Krise und zur internationalen Stabilisierung geleistet.
Die Synchronität des Abschwungs der Weltkonjunktur verlangt die volle Einbeziehung der Schwellen- und Entwicklungsländer in das globale Krisenmanagement. Ihre weltwirtschaftliche Bedeutung ist gewachsen und durch die starke Verflechtung der Volkswirtschaften hängen wir alle voneinander ab. Die multilaterale Überwachungs-Aufgabe ( "surveillance" ) der internationalen Finanzinstitutionen ist jetzt wie nie zuvor gefragt. Sie müssen bereit und in der Lage sein, - wenn immer erforderlich - schnell und unbürokratisch zu helfen. Sie sollten den Mitgliedstaaten für ihre Frühjahrstagung auch einen Plan für ein weltweites Programm für Zukunftsinvestitionen in den Bereichen Infrastruktur, Ökologie und Bildung zur Entscheidung vorlegen. Und das Wichtigste überhaupt ist - und dies ist die Lehre aus der Weltwirtschaftskrise des vergangenen Jahrhunderts - , dass die internationale Staatengemeinschaft Protektionismus und Selbstbezogenheit eine Absage erteilt.
Die Krise ist auch eine Chance. Weil sie das Bewusstsein dafür schärft, in welch großem Maße die Völker aufeinander angewiesen sind und wie wichtig deshalb gemeinsames Handeln ist. Das sollte den Weg bereiten helfen für die Gestaltung einer besseren Globalisierung. Damit dies bestmöglich gelingt, ist eine sorgfältige Analyse der Ursachen der Krise wichtig. Diese Analyse steht im Grunde noch aus.
Zur systematischen Aufarbeitung der Krise gehören meines Erachtens vier zentrale Bereiche:
Erstens: Es geht darum, einen neuen Ordnungsrahmen für die internationalen Finanzmärkte zu schaffen. Er muss getragen sein von gemeinsamen Werten und dem Willen, keine aufsichtsfreien Räume zuzulassen. Ich halte es für richtig, einem reformierten Internationalen Währungsfonds die Wächterfunktion über die Stabilität des internationalen Finanzsystems anzuvertrauen.
Zweitens: Eine zentrale, tiefer liegende Ursache für das Entstehen der Krise waren die globalen wirtschaftlichen Ungleichgewichte. Wir brauchen ein politisches Verfahren, das dafür sorgt, dass diese Ungleichgewichte abgebaut werden und in dieser Form nicht wieder entstehen können.
Drittens: Die Bekämpfung der weltweiten Armut und des Klimawandels müssen als strategische Ziele, und damit als Querschnittsaufgabe, in allen Bereichen internationaler Zusammenarbeit verankert werden. Wir brauchen ein Gesamtkonzept für eine Entwicklungspolitik für den ganzen Planeten, also wohlweislich auch für die Entwicklung in den Industrieländern. Ein unschätzbar wichtiges vertrauensbildendes Signal für Zusammenarbeit und gegen Protektionismus wäre der Abschluss der Doha-Runde für ein entwicklungsfreundliches multilaterales Handelssystem noch im 1. Halbjahr 2009. In jedem Fall darf die internationale Finanzkrise nicht zur Ausrede werden, in der Entwicklungszusammenarbeit nachzulassen. Und auch nicht zur Ausrede, die weltweite Umsteuerung auf erneuerbare Energien und Steigerung der Energie- und Rohstoffeffizienz zu verlangsamen.
Viertens: Wir müssen uns als Weltgemeinschaft auf ein gemeinsames Ethos verständigen, also auf einen Grundkonsens "bestehender verbindender Werte, unverrückbarer Maßstäbe und persönlicher Grundhaltungen" ( Hans Küng ) . Ein Grundprinzip dafür ist: Wir dürfen andere nur so behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen. Im Übrigen denke ich, dass die Finanzkrise jenen Wirtschaftsführern Recht gibt, die sich davon leiten lassen, dass ethische Prinzipien und eine Orientierung an dauerhafter wirtschaftlicher Wertebildung mit Wettbewerb und Profitabilität durchaus vereinbar sind.
Die Dimension der Krise verlangt neues Denken. Ich habe dazu ein neues Bretton Woods vorgeschlagen. Es könnte auch in China stattfinden.
Die Chance der Krise ist die Schaffung einer neuen, kooperativen Weltordnung. Das ist der Auftrag, der sich aus der Verflechtung aller Staaten und Völker auf unserem Planeten ergibt. Auch die mächtigsten Nationen müssen erkennen, dass sie ihre Interessen nicht im Alleingang durchsetzen können. Nationale Interessen wie Sicherheit, Wohlstand und Stabilität lassen sich im 21. Jahrhundert nur durch eigene Anstrengungen und durch bessere Zusammenarbeit zwischen den Völkern verwirklichen.
Egoismus heißt deshalb heute, sich auch um den anderen zu kümmern. Wir sollten begreifen, dass zur verantwortungsvollen Wahrnehmung staatlicher Souveränität heute nicht nur Verpflichtungen gegenüber den eigenen Staatsbürgern, sondern auch gegenüber anderen Staaten gehören.
Gelingt es uns mehr als bisher, Gemeinsamkeiten zu definieren und danach zu handeln, dann kann uns die Krise weltweit zu einer neuen, innovativen Politik führen: Einer Weltpolitik im Geiste der Kooperation, die nicht nur isolierten nationalen Interessen dient, sondern nachhaltig und umfassend auch das globale Gemeinwohl voranbringt und damit eine gemeinsame gute Zukunft. Der wichtigste und legitime Ort für eine kooperative Weltpolitik sind die Vereinten Nationen. Sie für diese Aufgabe zu stärken und effizienter zu machen, liegt in unser aller Interesse. Ich weiß, der Weg dorthin ist lang und schwierig. Aber ich sehe keine bessere Alternative.
In der Krise wird deutlich, dass wir in Europa auch durch eine gemeinsame Währung, den Euro, zusammengehalten und geschützt werden. Die Erfolgsgeschichte der Europäischen Union zeigt, dass es möglich ist, Frieden zu sichern, in der Welt an Gewicht zu gewinnen und Wohlstand zu mehren - indem man sich zur Zusammenarbeit verpflichtet und lernt, auch Souveränität zu teilen. Wir Europäer sollten diese Erfahrung selbstbewusst in die Arbeit an einer neuen Weltordnung einbringen. Deutschland wird weiterhin auf den europäischen Einigungsprozess bauen, auch damit Europa noch mehr als bisher mit einer Stimme an unserer einen Welt mitwirken kann.
Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingen kann, gemeinsam eine bessere Zukunft für alle Menschen zu erreichen. Dafür bitte ich Sie, meine Damen und Herren, ganz persönlich um Ihre Unterstützung. Denn wir brauchen Vermittler, Botschafter im wahrsten Sinne des Wortes, die mit ihrer Arbeit dazu beitragen, das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der kooperativen Weltpolitik zu machen.
Ich wünsche Ihnen, Ihren Familien und Ihren Mitarbeitern ein gutes, neues Jahr. Es ist schön, dass Sie unsere Gäste sind.