Redner(in): Roman Herzog
Datum: 10. März 1998

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1998/03/19980310_Rede.html


Frau Präsidentin, Herr Staatspräsident, Herr Vorsitzender des Nationalen Provinzrates meine Damen und Herren Abgeordneten,

wenn eine Geschichte die unwahrscheinlichste aller Wendungen nimmt und gegen alle Wetten gut endet, dann spricht man in vielen Sprachen und Kulturen der Welt von einem Wunder.

Südafrika hat eine solche Geschichte. In Ihrem Land fand eine Wende statt, die alle sogenannten politischen Realisten für absolut unwahrscheinlich hielten. Aber die Zyniker verloren ihre Wetten. Die Idealisten behielten das letzte Wort, weil sie sich ihrem Ideal pragmatisch näherten. Sie setzten auf die Überzeugungskraft des Prinzips "one man - one vote". Sie hatten den besseren Zugang zur Realität, weil sie die bessere Einsicht hatten. Damit gelang ihnen die Überwindung der Apartheid. Strategien der einen oder anderen Seite, die auf Herrschaft durch Gewalt setzten, hatten letztlich keine Chance. Die Welt hat sich inzwischen an den Begriff "Wunder Südafrika" gewöhnt. Aber wir tun gut daran, uns zu erinnern, daß man mit Wundern nicht rechnen kann, daß sie niemandem in den Schoß fallen, daß man sie selbst auslösen muß, und zwar durch etwas, was nicht immer leicht ist, nämlich Einsicht.

Einsicht hat vor sieben Jahren auch zur Überwindung einer anderen Teilung in einem anderen Teil der Welt geführt. Auch sie wurde als Wunder empfunden. Es war die deutsche Teilung. Die zeitliche Koinzidenz zwischen dem südafrikanischen und dem deutschen Wunder ist frappierend. Die Berliner Mauer fiel wenige Monate, bevor Nelson Mandela frei wurde.

Das Ende des Kalten Krieges mag einen Teil dieser Koinzidenz erklären. Der Kalte Krieg war schließlich eine Art universaler Schirm für die unterschiedlichsten ideologischen und politischen Erstarrungen. Er mag zur Verlängerung der Apartheid ebenso beigetragen haben wie zur Teilung Deutschlands, Europas und der Welt im bipolaren System. Das Ende des Kalten Kriegs gab den Weg frei für viele Veränderungen. Vergessen wir aber nicht über diesen historischen Zusammenhängen die enorme Verantwortung des politischen Handelns im historischen Moment.

Die lähmenden Schatten der Vergangenheit sind einer neuen Bewegung gewichen, die uns allen, Südafrikanern und Deutschen gleichermaßen, als "Globalisierung" inzwischen bestens vertraut ist und uns nicht weniger in Anspruch nimmt.

Wir wissen noch nicht, ob sie nur Segen bringen wird, aber wir wissen, daß wir unsere Probleme nicht mehr allein, ohne Blick auf den Nachbarn oder gar gegen ihn, lösen können. Das gilt für Afrika und Europa in gleicher Weise. In den Ländern beider Regionen haben wir es mit den unterschiedlichsten Situationen und Reaktionen darauf zu tun. Der Rest der Welt, aber auch wir selbst machen es uns zu einfach, wenn wir uns nur Pessismismus einreden und ihn grob fahrlässig mit den Vorsilben "Euro-" oder "Afro-" versehen.

Ich jedenfalls freue mich mit Perspektiven der Zuversicht zum zweiten Mal in Afrika zu sein. Schon vor zwei Jahren, bei meinem Besuch der OAE, gab es die Beweise, die den Afropessimismus widerlegten. Inzwischen haben sie sich trotz mancher Rückschläge dramatisch erhärtet.

Ein Wandel, ein Aufbruch neuen Denkens ist in Afrika unübersehbar. Immer mehr Länder Afrikas wenden sich von der früher allzu leicht eingegangenen Abhängigkeit von fremder Hilfe ab. Nüchterner Wille zur Selbständigkeit setzt sich durch. Demokratie und Marktwirtschaft gewinnen an Boden. Die Weltbank hat festgestellt und Investoren haben zur Kenntnis genommen, daß die Kurven der wirtschaftlichen Entwicklung nach oben zeigen.

Diese Veränderungen gehen an den Menschen nicht vorüber. In Ländern, die sich entschlossen refromiert haben, verbessert sich der Lebensstandard. In einem Klima der Demokratie und der wirtschaftlichen Sicherheit hat auch die Realisierung der Menschenrechte größere Chancen. Diese oft bestätigte Erfahrung gilt für afrikanische Demokratien ebenso wie für alle alten und neuen Demokratien der Welt. Sie ist die Grundlage einer Zuversicht, die mich dazu bewegt, von Afrika immer wieder als einem Kontinent der Hoffnung zu sprechen.

In einer globalen Welt rücken wir alle näher zusammen. Was uns ideologisch, wirtschaftlich, kulturell getrennt hat, verliert an Bedeutung; allein schon die moderne Verkehrs- und Kommunikationstechnik sorgt dafür. Dafür treten mehr denn je grenzüberschreitende Probleme in den Vordergrund: Klimaveränderungen, wirtschaftliche Ungleichgewichte, Währungsturbulenzen, Drogenhandel, Armutswanderungen und Fundamentalismen aller Art, organisierte Kriminalität machen vor keinem Schlagbaum halt. Um als Staaten und Gesellschaften zu überleben, müssen wir alle, Europäer wie Afrikaner, gemeinsam an diese Probleme herangehen.

Südafrika hat diese Menschheitsprobleme innerhalb seiner Grenzen wie in einem Mikrokosmos selbst modellhaft ausgetragen: Hier sind innerhalb eines Landes neun afrikanische Sprachen und zwei europäischen Ursprungs, die Geißel des Rassismus und die Verheißung der Befreiung, systematische Verletzungen der Menschenrechte und die Auflehnung dagegen, die Verweigerung des allgemeinen Wahlrechts und der Kampf für Demokratie, hier sind gravierende soziale Ungleichgewichte und das Verlangen nach Gerechtigkeit und Chancengleichheit aufeinander getroffen. All das waren, wie gesagt, Menschheitsfragen! Sie haben in diesen Fragen Großes geleistet. Wuchern Sie mit diesem Pfund!

Dem neuen Südafrika haben sich aus der Vergangenheit heraus übermenschliche Aufgaben gestellt, die es nun in ihren einzelnen Ausprägungen zu lösen gilt. Das ist nicht leicht. Ich kann Sie nur ermutigen, diese Aufgaben anzugehen.

Ob es eines Tages so etwas wie eine "Weltgesellschaft" geben wird, ist eine heiß umstrittene Frage. Südafrika hat mit der friedlichen Überwindung der Apartheid einen Weg dorthin gewiesen. Aus meiner Sicht ist "soft power" die Antwort auf die meisten der außenpolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, die ich soeben genannt habe. Ihnen ist kein Staat mehr allein gewachsen. Auf sie gibt es nach unserer Erfahrung nur zwei Antworten: der regionale Zusammenschluß und die Zusammenarbeit in globalen Organisationen.

Die friedensstiftende Kraft der regionalen Integration begleitet uns in Europa seit über 40 Jahren. Sie lehrt uns, daß Regionalisierung eine Antwort auf die neuen, globalen Probleme sein kann. Wo die nationalstaatlichen Regelungen nicht mehr greifen, entwickeln kooperativ integrierte Regionen das nötige Gewicht, um als Mitspieler im weltweiten Spiel gehört zu werden.

Das fordert von den wirtschaftlich stärkeren Staaten jeder Gemeinschaft allerdings die größten Opfer. Von ihnen wird erwartet, daß sie einen überproportionalen Beitrag in der Lastenverteilung, im Technologietransfer und im Offenhalten der Binnengrenzen leisten.

Ich nenne die Europäische Union nur als Beispiel, weil sie mir besonders vertraut ist. Sie vereint Kulturen, die über Jahrhunderte hinweg alle 30 Jahre größere Kriege gegeneinander geführt haben, bis hin zu den beiden verheerenden Kriegen dieses Jahrhunderts.

Sie können mit gleichen Perspektiven aber auch von der Region Südliches Afrika sprechen. Sie haben der regionalen Kooperation im südlichen Afrika durch Ihren Beitritt zur SADC [Sadek] neue Impulse gegeben. Zwischen SADC und der EU gibt es inzwischen eine fruchtbare Zusammenarbeit. In der UNCTAD und der Blockfreienbewegung haben Sie den Vorsitz inne. Sie haben die Initiative zum G8 -Technologieforum ergriffen. Und Sie haben auf dem Kontinent immer wieder Vermittlerrollen übernommen, am deutlichsten zuletzt zwischen den Konfliktparteien im Kongo.

Die Staaten der Zukunft werden offene Staatswesen sein, der Demokratie und den Menschenrechten verpflichtet. Sie geben dem einzelnen Heimat, und sie haben noch eine weitere Stärke: Sie schützen die Vielfalt in der staatlichen Einheit und stellen so inneren Frieden her.

Vielfalt in der Einheit wird ohne Zweifel auch die Stärke Ihres Landes und der Region des südlichen Afrikas sein. Das Zusammenleben verschiedener Rassen und Gruppen mit unterschiedlichen Interessen kann im Alltag schwierig sein, in Europa wie bei Ihnen - wir werden das nicht ändern können. Aber wir müssen die Diversität in der Einheit nutzen. Wir müssen durch kulturellen, aber auch wirtschaftlichen Schutz den unterschiedlichen Gruppen helfen, ihre Stärken zu entfalten und diese für die Entwicklung von Staat und Gesellschaft nutzbar machen.

Ich glaube, daß Deutschland und Südafrika Partner auf dem Weg in die Weltgesellschaft sein können. Wir sind dazu auf gutem Wege und bringen beide, Sie und wir, solide Voraussetzungen mit:

Deutschland wie Südafrika haben von dem weltweiten Umbruch Ende der 80iger Jahre am meisten profitiert. Sie stehen in ihrer Region jeweils als Synonym für die Wende vom Alten zum Neuen.

Deutschland und Südafrika stehen aber auch in der ersten Linie bei der Bewältigung der Schwierigkeiten, die dieser Umbruch mit sich gebracht hat. Von Ihnen wie von uns wird Geduld, Flexibilität, Erneuerungsfähigkeit und vor allem langer Atem erwartet.

Es ist sicher, daß viele der bisher Benachteiligten die Früchte der Veränderung nicht so schnell werden ernten können, wie sie es erhofft haben. Ihnen wird ein hohes Maß an Einsicht und vor allem an Denken über den Tag hinaus abverlangt. Ich habe von einem afrikanischen Sprichwort gehört, dessen Weisheit uns allen zu denken geben sollte: "Das Gras wächst auch dann nicht schneller, wenn man daran zieht". Diese Geduld aufzubringen, mag schwerer sein, als es im Sprichwort klingt. Dennoch sollten wir dem Gras eine Chance zum Wachsen geben.

Als Politiker erkennen wir unsere schwere Aufgabe, es gibt keinen anderen Weg: Wenn in Deutschland das Zusammenwachsen zwischen Ost und West, wenn in Südafrika der Ausgleich zwischen den Bevölkerungsgruppen nicht gelingt: Wer soll dann die positiven Anstöße für eine fruchtbar verflochtene globale Gesellschaft geben?

Vor dieser Situation sehe ich auch unsere Zusammenarbeit in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Ich bin froh darüber, daß Deutschland Südafrikas wichtigster Handelspartner ist. Auch daß fast jedes zweite hier gebaute Auto eine deutsche Marke trägt, erfüllt mich mit Freude. Aber das ist bei weitem nicht der Kern unserer Zusammenarbeit.

In einer Zeit, in der die zwischenstaatlichen Kontakte auf ein Minimum reduziert waren, hat die Arbeit der christlichen Kirchen, der deutschen Gewerkschaften und der politischen Stiftungen mitgeholfen, das Los der benachteiligten Menschen zu lindern und ein Zeichen der Hoffnung zu setzen.

Vor allem die Kirchen haben eine sehr prominente Rolle dabei gespielt. Sie haben, unterstützt durch die deutschen Gläubigen, den Kirchen in Südafrika bei deren furchtloser Arbeit gegen das Apartheidsystem und seine schlimmen Auswirkungen Hilfe gegeben.

Die Gewerkschaften und die politischen Stiftungen engagierten sich im gesellschafts- , wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich. Die einen unterstützten ihre südafrikanischen Partnerorganisationen dabei, sich in die internationale Gewerkschaftsbewegung zu integrieren und dort ihren eigenen Beitrag zu leisten. Die anderen haben auf Feldern gearbeitet, die mangels Regierungszusammenarbeit zwischen unseren Ländern von der Entwicklungszusammenarbeit nicht profitieren konnten, und sie leisten weiterhin einen bedeutenden Beitrag zum Transformationsprozeß in Südafrika

In wirtschaftlicher Hinsicht haben wir Deutschen aus unserer eigenen Geschichte eines gelernt: Wohlstand für alle erreicht man nur durch umfassende Öffnung der Märkte und durch so induziertes Wachstum. Ich weiß, daß Sie sich von deutschen Unternehmern verstärkte investive Zusammenarbeit wünschen. Ich bin auch gern bereit, meine Landsleute zu ermutigen, mehr in diesem schönen und politisch so vernünftigen Land zu investieren. Die Investoren werden aber auch ohne meine Anregung kommen, wenn die Rahmenbedingungen für Investitionen international wettbewerbsfähig sind. Der Unternehmer muß wissen: mein Geld ist sicher, meine Manager und ihre Familien leben sicher, die Produktivität ist gut.

Denn letztlich lassen sich Unternehmen, gleich welcher Herkunft, nur dann zu größeren Auslandsinvestitionen ermutigen, wenn es im Gastland stabile, funktionierende Rahmenbedingungen gibt. Sie sind die unabdingbare Voraussetzung für nachhaltige wirtschaftliche Prosperität, die ihrerseits Voraussetzung für eine Verbesserung der sozialen Lage ist. [Und wenn ich das sage, handelt es sich nicht etwa um den Ausdruck deutscher Risikoscheu, sondern um eine Erkenntnis der Institutionen-Ökonomik, für die zwei amerikanische Wissenschaftler ( Douglas North und Ronald Coase ) Anfang der 90er Jahre sogar Nobelpreise erhalten haben.]

Um so mehr freue ich mich, Ihnen ankündigen zu können, daß die in Ihrem Land arbeitenden deutschen Unternehmen sich entschlossen haben, einen weiteren Beitrag zur langfristigen Produktivitätssteigerung zu leisten und Stipendien für die Aus- und Fortbildung im naturwissenschaftlich-technischen Bereich bereitzustellen, um einen Schwerpunkt zu unterstützen, den auch Sie verfolgen.

Wenn ich ein gemeinsames Fazit aus Ihrer und unserer Geschichte ziehen sollte, so wäre es dieses: Friedlicher Übergang ist die künftige Form politischer Veränderung.

Von nun an ist Südafrika ein Vorreiter auf dem Weg in das 21. Jahrhundert. Ich wünsche allen Südafrikanern Glück auf diesem Weg. Es ist ein Weg, den die Deutschen mit Ihnen teilen. Es ist der Weg in die Weltgesellschaft. Nkosi sikelel i ' Afrika ( enkossi sikäläli Afrika ) - "Gott segne Afrika".