Redner(in): Horst Köhler
Datum: 15. Oktober 2009
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2009/10/20091015_Rede.html
Willkommen in Schloss Bellevue! Ich freue mich, dass Sie heute gekommen sind, um mit mir einen Mann zu ehren, der zu einer seltenen Spezies gehört, weil er sich gleich in zwei Lebensbereichen große Verdienste erworben hat, und noch dazu in zwei Bereichen, die leider häufig nicht dieselbe Sprache sprechen, obwohl sie auf gute Verständigung angewiesen sind: Politik und Wirtschaft.
Lieber Herr Müller, die Tatsache, dass Sie nicht allein Ökonom, sondern auch promovierter Sprachwissenschaftler sind, mag dazu beigetragen haben, dass Sie sich in beiden Welten verständlich machen konnten und Dialoge und Ergebnisse erreicht haben, die für beide Seiten von Vorteil gewesen sind.
Ich denke hier zum Beispiel an den Kompromiss zum Ausstieg aus der Atomenergie. Der Ausstieg selbst - also ich glaube, das ist nicht unbedingt ein Geheimnis - war Ihnen keine Herzensangelegenheit. Aber als guter Demokrat sahen Sie sich in der Pflicht, den Wählerwillen umzusetzen. Das war keine leichte Aufgabe, galt es doch ganz unterschiedliche Positionen und Interessen unter einen Hut und sehr unterschiedliche Charaktere an einen Tisch - und eben ins konstruktive Gespräch - zu bringen. Aber Ihnen ist das gelungen; dank Ihrer Dolmetschkunst, dank Ihrer Sachkunde und gewiss auch dank Ihrer ruhigen, verbindlichen Art, Ihrer Gelassenheit und Ihrer Verlässlichkeit.
Der Atomkompromiss war aber nicht Ihr erster Vermittlungserfolg. Schon lange vor Ihrer Zeit als Bundeswirtschaftsminister, in den 80er und 90er Jahren, haben Sie sich als Manager in der Energiewirtschaft für eine moderne, zukunftsgerichtete Energiepolitik eingesetzt und dafür bunte Allianzen geschmiedet. Und dann als Wirtschaftsminister haben Sie in vielen weiteren Bereichen einen oft genug kritischen Dialog mit der Wirtschaft geführt und für die Verbraucher viele Erfolge eingefahren: durch die Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung etwa, durch die Senkung des Briefportos und die Regelung von Einkäufen im Internet.
Aus dem Ministerium zurückgekehrt in die Energiebranche, haben Sie gezeigt, wie sozialpartnerschaftlich organisierter Strukturwandel aussieht: Sie haben den früheren RAG-Konzern in nur fünf Jahren zu einem "strotznormalen Konzern" umgebaut - mit großer Geduld und Zähigkeit, nahezu geräuschlos und dank partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit der IG BCE ohne Entlassungen. Für diese Meisterleistung tragen Sie den Titel "Manager des Jahres 2008". Ich erwähne das hier ganz bewusst, denn Strukturwandel sozialverträglich zu organisieren ist eine Herausforderung, die uns weiter begleiten wird.
Lieber Herr Müller, mit dem "Kohlekompromiss" haben Sie erneut bewiesen, dass Sie Politik und Wirtschaft zum Wohle der gesamten Gesellschaft in ein fruchtbares Gespräch bringen können. Sie haben damit zugleich vorgemacht, wie man ein Politikziel verwirklicht, das in der Theorie jeder will und in der Praxis kaum jemand erreicht: Subventionsabbau. Auch da waren Sie verlässlich: Als Minister haben Sie die Wirtschaftsverbände um Vorschläge zum Subventionsabbau gebeten - und wurden schwer enttäuscht. Zurück auf der anderen Seite des Schreibtisches haben Sie dann einfach selbst dazu beigetragen, dass die Unterstützung des Steuerzahlers für die Kohle auslaufen kann. Man könnte fast sagen, Sie haben auf diese Weise als nicht mehr amtierender Politiker ein Wahlversprechen eingelöst. Das sage ich mit Respekt, weil ich weiß, wie schwierig die Aufgabe ist.
An der Umsetzung der Agenda 2010 waren Sie nicht mehr als Wirtschaftsminister beteiligt, aber ich weiß, Sie haben einen ganz wichtigen Grundstein dafür gelegt. Und auch dafür danke ich Ihnen ganz bewusst. Wir erleben Korrekturen - das sollte uns nicht überraschen. Aber den politischen Mut und die Richtung dieser politischen Agenda halte ich unverändert für richtig.
Sie haben unser Land vorangebracht, weil Sie Ihr Handeln immer auch daran ausgerichtet haben, was unserer Gesellschaft als ganzer gut tut, was sie braucht. Noch kurz vor Ihrem Abschied bei Evonik haben Sie einen wichtigen Beitrag geleistet für den Umstieg auf elektrischen Individualverkehr: das Joint Venture mit Daimler zur Entwicklung und Fertigung von Lithium-Ionen Batterien für den Massenbedarf. Und während Sie aus der RAG Evonik geformt haben, haben Sie auch noch daran mitgewirkt, aus der Deutschen Bahn ein modernes Transport- und Logistik-Unternehmen zu machen.
Sie haben unser Land vorangebracht, weil Sie gute Ideen hatten und weil Sie die richtigen Menschen von diesen Ideen überzeugen und miteinander ins Gespräch bringen konnten. Weil Sie den Blick für das Ganze haben und mit Ihrer geradlinigen, immer korrekten Art wecken, was so wichtig ist: Vertrauen, nicht nur in den eigenen Reihen. Und nicht zuletzt: Weil Sie immer alle Zahlen kennen; da macht Ihnen so schnell keiner etwas vor. Das liegt wohl an Ihrer alten Leidenschaft: der Statistik.
Lieber Herr Müller, als wäre all das noch nicht genug, bekommen Sie heute das Große Verdienstkreuz auch für Ihr herausragendes kulturelles Engagement. Wie viele gute Mathematiker sind Sie ein hervorragender Musiker, wurde mir gesagt, und Musikliebhaber. Und Sie sind ein Kind des Ruhrgebiets. In vielfältiger Weise unterstützen Sie seit langem das kulturelle Leben im Revier. Ganz besonders hervorheben möchte ich Ihr leidenschaftliches Engagement für die erfolgreiche Bewerbung der Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Es war Ihnen wichtig, dass die Menschen im Ruhrgebiet sich mit dieser Bewerbung identifizieren und sie unterstützen. Das ist Ihnen gelungen, zusammen mit anderen. Das Ruhrgebiet wandelt sich zur "Metropole Ruhr" - Sie haben dazu maßgeblich beigetragen. Ich habe selbst kürzlich beim Ausflug des Diplomatischen Corps erfahren, wie das Ruhrgebiet an sich arbeitet, wie es mit sich ringt. Davor habe ich enormen Respekt. Es müssen nicht nur die Zahlen, die Fakten stimmen, es muss auch das Herz bei der Sache sein. Die Menschen im Ruhrgebiet verstehen das. Sie, Herr Müller, haben dazu beigetragen, dass man den Wandel - bei all seiner Härte - doch mit Zuversicht angeht. Und auch dafür spreche ich Ihnen Dank und Anerkennung aus.
Sehr geehrter Herr Müller, es ist mir also eine Freude, Ihnen nun das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zu verleihen.