Redner(in): Horst Köhler
Datum: 8. Dezember 2009

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2009/12/20091208_Rede2.html


Wo ein Begeisterter steht, ist der Gipfel der Welt." Wenn Ihr Landsmann Josef von Eichendorff Recht hat, und ich denke, dem ist so, dann verfügt Schlesien seit vielen Jahren über einen solchen Gipfel, und darum freue ich mich, sehr geehrter Herr Erzbischof Nossol, Sie heute endlich hier in Schloss Bellevue begrüßen zu dürfen. Und ich freue mich, dass Freunde und Wegbegleiter von Ihnen heute hier versammelt sind.

Ihre Begeisterung gilt der Wahrheit und der Liebe, und in diesem Geiste haben Sie sich wie kaum ein anderer um die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen, den Dialog zwischen den Konfessionen und die Zukunft von Europa verdient gemacht. Jedes dieser Anliegen allein ist für sich genommen schon der Würdigung wert, umso bedeutender sind Verdienste auf all diesen Gebieten.

Ihr Engagement wurzelt in Ihrer Herkunft aus der Diözese Oppeln, deren Bischof Sie über dreißig Jahre waren. Das hat Sie in einzigartiger Weise geprägt. Sie selbst haben für Ihre Heimat immer wieder gerne ein sehr schönes Bild aus dem 17. Jahrhundert zitiert. Das Bild Schlesiens als Smaragd Europas, kostbar - aber nicht lupenrein, sondern voller Einschlüsse, die gerade das Besondere ausmachen. Die böhmisch-mährischen, deutschen und polnischen Wurzeln Schlesiens haben Sie nie als Widerspruch, sondern als wertvolle kulturelle und sprachliche Bereicherung, ja als einen Beitrag zur Einheit Europas verstanden.

Auf diesem Fundament aufbauend, in dem festen Glauben, dass Liebe und Wahrheit untrennbar zusammengehören, haben Sie sich auf den Weg der Aussöhnung gemacht, der mit dem Briefwechsel der polnischen und deutschen katholischen Bischöfe 1965 eröffnet wurde. Sie hatten dabei den Mut, auch gegen Widerstände Vorkämpfer für Vergebung, Respekt und Partnerschaft zu sein. Ich denke hier an die erste deutschsprachige Messe in Polen im Sommer 1989 und an den unvergessenen Versöhnungsgottesdienst in Kreisau, nur drei Tage nach dem Fall der Mauer. Am 12. November dieses Jahres haben Sie mit einer Jubiläumsmesse am selben Ort an den Erfolg des Europäischen Friedenswerks erinnert.

Mir kommt es immer noch fast wie ein Wunder vor, dass zu diesem Friedenswerk jetzt auch ganz fest die Staaten Mittel- und Osteuropas gehören. Und wir müssen jetzt dafür sorgen, dass sich alle Mitgliedstaaten im Europäischen Haus wohl fühlen.

Für Sie, sehr geehrter Herr Erzbischof Nossol, stand nie in Frage, dass man auch unangenehme Wahrheiten aussprechen und über Grenzen hinweg dem anderen die Hand in Liebe reichen muss. Nur so, das war Ihre Mission, können wir unsere Erinnerungen aufarbeiten, Vertrauen gewinnen und uns gegenseitig in unserer Vielseitigkeit akzeptieren.

Mit Ihrem großmütigen Einsatz zeigen Sie, dass das Christentum eine Sinn gebende Quelle für das Haus Europa sein kann. Sie haben es auf den Punkt gebracht: "Diese uns allen gemeinsame Kultur hat eine ungeheuer integrierende Kraft."

Ich habe mir sagen lassen, dass Primas Stefan Kardinal Wyszynski Ihnen vor über dreißig Jahren gesagt hat: "Das Oppelner Land [...] braucht Dich, Junge!" Aber es waren am Ende viel mehr Menschen, als nur die in Oppeln, die Ihre Liebe und Ihre Wahrheit gebraucht und geschätzt haben, bei Ihnen in Polen und hier in Deutschland, in ganz Europa.

Ich habe mit einem Wort von Josef von Eichendorff begonnen - der Schriftsteller Eckard Henscheid hat ihn als einen Dichter charakterisiert, der zu nichts als Zuneigung, zu nichts als Liebe einlädt. Ich glaube da eine Wahlverwandtschaft zu erkennen, die Sie mit dem bedeutenden Romantiker ihrer Heimat gemeinsam haben. Das denkende Herz und der liebende Verstand sind eben die besonderen Eigenschaften der Schlesier.

Ich freue mich deshalb sehr, Ihnen als großem Europäer für Ihre Verdienste um die Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen das Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zu verleihen.