Redner(in): Roman Herzog
Datum: 12. Juni 1998
Anrede: Sehr geehrter Herr Dr. Vogt,meine Damen und Herren,
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1998/06/19980612_Rede.html
Sie können am heutigen Tag auf ein besonderes Jubiläum zurückblicken: Die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist wie kaum eine andere Institution mit der Historie der Bundesrepublik Deutschland verbunden - mit dem Wirtschaftswunder und mit wachsendem Wohlstand.
Bei der Gründung der Anstalt dachte man vor allem, daß sie Nucleus für eine Neuausrichtung des Bankensystems in Deutschland sein könnte. Tatsächlich stand am Anfang der Disput, ob das Bankensystem in Deutschland zukünftig dezentral, wie es sich die US-Seite wünschte oder zentral nach den britischen Vorstellungen organisiert werden sollte. Dieser Streit ist längst Vergangenheit. Heute ist die KfW in den meisten Köpfen untrennbar mit dem Marshall-Plan verbunden. Und das mit gutem Grund, denn Hauptzweck der KfW war tatsächlich die Wiederaufbaufinanzierung unseres in Trümmern liegenden Landes.
Hier liegt ihre eigentliche Erfolgsstory. Mit ihr wurde ein Instrument geschaffen, das den effizienten Einsatz der Marshall-Plan-Mittel möglich machte. Alle positiven Erinnerungen und Assoziationen, die mit dem Marshall-Plan verbunden sind, gelten somit auch der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Und das mit vollem Recht. Ohne Marshall-Plan und ohne KfW wäre der Wiederaufbau Deutschlands nicht in dem atemberaubenden Tempo gelungen, das uns im Inneren zu einer stabilen Demokratie werden ließ und das von unseren ausländischen Partnern mit Respekt verfolgt wurde. So wie der Marshall-Plan zum Symbol für die solidarische Hilfe der Vereinigten Staaten uns Deutschen gegenüber wurde, so steht die Kreditanstalt für Wiederaufbau für das Instrumentarium, mit dem diese Solidarität in dauerhafte ökonomische Wirkung umgesetzt wurde.
Die KfW hat bis heute eine Doppelfunktion beibehalten: Zum einen ist sie ein anerkanntes Instrument zum Aufbau einer effizienten Volkswirtschaft. Zum anderen ist sie Symbol für eine zusammenwachsende Weltgesellschaft über alle Grenzen hinweg.
Schon seit Mitte der 60er Jahre wurden KfW-Mittel für Projekte in Entwicklungsländern eingesetzt. So konnten wir von der Hilfe, die uns nach dem Krieg wieder auf die Beine geholfen hat, solchen Staaten zukommen lassen, die nun internationaler Solidarität bedurften.
Die zweite große Bewährungsprobe für die KfW kam nach der Wiedervereinigung Deutschlands: sie wurde einer der wichtigsten Pfeiler bei der Restrukturierung der östlichen Bundesländer. Ähnlich wie beim Wiederaufbau nach dem Kriege im Westen war sie ein zentrales Finanzierungsinstrument zur Durchführung von Wirtschaftsprojekten. Dabei muß hervorgehoben werden, daß die Mittel vor allem auf innovative kleine und mittlere Unternehmen konzentriert wurden und werden. Das ist deswegen so wichtig, weil dieser neue Mittelstand der eigentliche Kern für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft ist.
Tatsächlich ist der Restrukturierungsprozeß in den östlichen Bundesländern schwieriger verlaufen, als es sich viele nach dem Mauerfall erhofft hatten. Die Wirtschaft der DDR war bei weitem maroder und die Infrastruktur desolater, als ihr statistischer Rang als zehntgrößter Industriestaat ahnen ließ.
Dank der Kreditanstalt für Wiederaufbau kommt der ungemein schwierige Transformationsprozeß - trotz aller Probleme - nicht zuletzt rasch voran. Die derzeitigen Zahlen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung lassen die vorhandene Dynamik nur unzureichend erkennen, weil die Reduzierung der Überkapazitäten im Bausektor die wirtschaftliche Entwicklung anderswo konterkariert. Es war nur natürlich, daß nach der Wiedervereinigung vor allem in der Baubranche ein großer Nachholbedarf bestand. Aber wenn man bedenkt, daß der Wertschöpfungsanteil des Baubereichs in den östlichen Bundesländern dreimal so hoch ist wie in den westlichen, mußte von Anfang an klar sein, daß in einer anschließenden Normalisierungsphase ein Kapazitätsabbau erfolgen würde. Dieser Anpassungsprozeß im Baubereich wird aber weitgehend kompensiert durch die zum Teil außerordentlich dynamische Entwicklung in den anderen Wirtschaftsbereichen. So wächst seit einiger Zeit das verarbeitende Gewerbe mit zweistelligen Zuwachsraten.
Auch im Dienstleistungsbereich ist eine starke Expansion zu beobachten. Diese erfreuliche Entwicklung beweist, daß sich auch in den östlichen Bundesländern wettbewerbsfähige Strukturen herausbilden, die mit den westlichen vergleichbar sind. Auf diesem Weg müssen wir voranschreiten. Und hierbei wird die Kreditanstalt für Wiederaufbau auch in Zukunft eine gewichtige Rolle spielen.
Die Umstrukturierung der östlichen Bundesländer ist selbstverständlich noch lange nicht abgeschlossen. Deshalb bleiben Transfers von West nach Ost noch für geraume Zeit unerläßlich. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben in ihrem Frühjahrsgutachten einem schnellen Abbau der Osttransfers eine Absage erteilt. Dennoch bleibt klar, daß diese heute so notwendigen Transfers nur temporären Charakter haben dürfen. Nur dann werden sie bereitwillig erbracht, und nur dann können dauerhafte, konkurrenzfähige Strukturen geschaffen werden.
Besondere Meriten hat sich die KfW in den Ländern Mittel- und Osteuropas erworben. Dieser Aspekt ihrer Arbeit schließt sich nahtlos an ihre Traditionen an. Die Erinnerung an den Marshall-Plan war für uns nicht nur moralische Verpflichtung, jetzt auch beim Transformationsprozeß in Mittel- und Osteuropa zu helfen. Der Marshall-Plan und die KfW waren auch die Erfolgsbeispiele dafür, wie die Restrukturierung einer Volkswirtschaft überhaupt geschafft werden kann. Unsere Erfahrungen im Osten unseres Landes können wir nun an unsere Nachbarn weitergeben.
Mit dem Beschluß der Regierungschefs, Beitrittsverhandlungen mit zehn mittel- und osteuropäischen Ländern aufzunehmen, stellt sich auch für die Europäische Union eine neue, große Herausforderung. Vor allem das derzeit noch außerordentlich große wirtschaftliche Gefälle zwischen den Mitgliedsländern und den Beitrittskandidaten ist ein gewaltiges Problem. Deshalb werden lange Verhandlungen notwendig sein. Im Vergleich zu früheren Beitrittsrunden ist die Materie noch komplexer geworden, nicht zuletzt deswegen, weil in den bisherigen Mitgliedsstaaten der Union die Integration schon erheblich weiter vorangeschritten ist. Der Weg zum EU-Beitritt ist daher für die neuen Beitrittskandidaten langwieriger geworden als in früheren Fällen. Allein schon deswegen ist noch mehr Geduld bei der Verhandlungsführung notwendig. Der Beitritt wird allerdings nicht nur wegen der ökonomischen Vorteile angestrebt. Notwendig ist vor allem die politische Integration dieser Länder, damit sich dort die Demokratisierungsprozesse stabilisieren können. Das ist in unser aller elementarem Interesse.
Die Erweiterung der EU steht keineswegs im Widerspruch zu unserem Ziel einer weiteren Vertiefung. Die Wirtschafts- und Währungsunion hat die Integration der Europäischen Union einen großen Schritt vorangebracht. Mit der Europäischen Zentralbank ist eine Institution geschaffen, die glaubwürdig eine stabile Geldpolitik betreiben kann. Die Irritationen über personellen Entscheidungen der Europäischen Zentralbank ist dafür ohne Belang gewesen. Die Kapitalmärkte haben schneller als andere begriffen, was es damit auf sich hat: Sie reagierten nämlich überhaupt nicht und dokumentierten damit, was diese Personalie tatsächlich war: eine Fußnote, an die man sich in wenigen Jahren kaum noch erinnern wird.
Mit der Wirtschafts- und Währungsunion und der Öffnung der Europäischen Union nach Mittel- und Osteuropa werden sich die Tätigkeitsfelder der Kreditanstalt für Wiederaufbau weiter öffnen. Dennoch wird sie ihre grundsätzliche Funktion beibehalten nämlich beim Wiederaufbau und Restrukturierungsprozeß von Volkswirtschaften einen Beitrag zu liefern und gleichzeitig grenzüberschreitend die Verbundenheit zwischen den Gesellschaften zu stärken. In diesem Sinne wünsche ich der Kreditanstalt für Wiederaufbau eine erfolgreiche Zukunft.