Redner(in): Christian Wulff
Datum: 19. Mai 2011
Die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius feiert ihr 40-jähriges Bestehen in Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten. Das ist nicht ganz selbstverständlich. 40 Jahre, das ist kein ganz rundes Jubiläum, mit Hochzeiten verglichen könnte man sagen: längst nicht mehr silbern, aber auch längst noch nicht golden. Und die ZEIT-Stiftung ist weder die größte deutsche Stiftung noch die lauteste, sie macht um sich selbst gewöhnlich nicht viel Wirbel.
Wie kommt es also zu diesem Jubiläumsfest hier im Schloss Bellevue? Unsere Gesellschaft, unsere Zivilgesellschaft, wie man seit einiger Zeit sagt, lebt vom Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger. Und ein sehr bedeutender Beitrag in diesem zivilgesellschaftlichen Engagement ist das, was in unserem Land die Stiftungen leisten. Es sind große und kleine, sehr spezielle und sehr breit angelegte, lokal orientierte und national, ja international wirkende Stiftungen.
Eine sehr bunte Landschaft ist das, wenn wir auf die Stiftungen in ihrer Gesamtheit schauen. Das kann uns sehr zuversichtlich stimmen, denn ein Land, in dem die unterschiedlichsten Stiftungen blühen und gedeihen, ist ein Land, in dem es gesellschaftliches Engagement in Hülle und Fülle gibt.
Wenn also wieder einmal gefragt wird, was unsere Gesellschaft zusammenhält, ob es noch genug Einsatz für andere gibt, ob wir mit Hoffnung in die Zukunft gehen können, dann kann man unter anderem getrost auf das Wirken der vielen Stiftungen im Land verweisen. Sie sind einerseits Ausdruck eines lebendigen Bürgersinns, andererseits stiften sie immer wieder auch zur Nachahmung an.
Die ZEIT-Stiftung steht in mancher Hinsicht modellhaft für die Stiftungen in Deutschland. Sie geht auf den Willen von Stiftern zurück, sie trägt den Geist ihrer Stifter, und in gewisser Weise auch den Geist der Stadt, in dem sie zu Hause ist, sie hat ein bestimmtes Profil und eine klare Richtung, ist aber dennoch immer offen für neue Herausforderungen.
Das Schöne an der ZEIT-Stiftung ist in meinen Augen, dass sie außerordentlich wichtige Aufgaben schultert und dabei hilft, hochinteressante Projekte auf die Beine zu stellen, dass man dabei aber nie das Gefühl hat, sie tue es in erster Linie um des eigenen Ruhmes oder um des Ruhmes ihres Stifters willen. Sie tut es nicht einmal um des Ruhmes des Blattes willen, nachdem sie benannt ist. Diesem Blatt zu helfen oder es zu stützen gehört übrigens nicht zu den Stiftungszwecken.
Es geht der ZEIT-Stiftung um die großen Themen und um glanzvolle Einrichtungen wie die Bucerius Law School und das Bucerius Kunst Forum in Hamburg oder das Deutsche Historische Institut Moskau, Letzteres gemeinsam mit der Altfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung initiiert. Diese Institutionen zeigen den Pioniergeist der Stiftung und die Spannweite des Engagements, von Wissenschaft, Bildung und Forschung bis zu Kunst und Kultur. Alle drei sind wahrlich Beispiele wissenschaftlicher und kultureller Exzellenz.
Die ZEIT-Stiftung weiß, dass Spitzenprodukte nur gedeihen, wenn die "Basics" stimmen.
Die ZEIT-Stiftung hat schon lange das Thema "Migration" als wesentliches für unsere Zukunft identifiziert. Migrationsforschung wird initiiert und gefördert. Ich bin dafür besonders dankbar, denn alles, was seriös, zukunftsorientiert und pragmatisch zum Thema "Migration" gedacht, getan und in die Wege geleitet wird, hilft.
Jede Facette unseres gesellschaftlichen Lebens ist davon betroffen: Kindergärten, Schulen, Universitäten, berufliche Bildung und Weiterbildung, alle sozialen Einrichtungen wie Krankenhäuser, Sozialstationen, Pflegedienste, Parteien, Gewerkschaften, Vereine, nicht zuletzt Sportvereine, Medien, Stadtplanung, Quartiersmanagement sowie Wohnungsbau. Die Gestaltung von Migration und Integration spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunft unserer Gesellschaft.
Es versteht sich, dass das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher kultureller Prägung ganz besonders im Blick sein muss. Wertekanon und Wertekonsens, Toleranz, Dialog, vor allem aber Kenntnis voneinander: Das spielt eine große Rolle, vom Alltag im Wohngebiet bis zum Sportunterricht, vom Umgang zwischen den Geschlechtern bis zur lebendigen Teilnahme am politischen Geschehen in Kommunen, Ländern und im Bund, vor allem aber in den Fragen der religiösen Praxis und der religiösen Überzeugung im eigentlichen Sinne.
Ich freue mich deshalb, dass die ZEIT-Stiftung auch heute, bei ihrer Geburtstagsfeier ein Zeichen dafür setzt, dass für sie und ihr Engagement dies Thema zentral ist. Es wird gleich ein Podiumsgespräch geben zum Thema "Schule und Migration Schule und Vielfalt".
Die Schule muss heute viele Aufgaben übernehmen, die ihr die veränderten gesellschaftlichen Anforderungen diktieren. Sie wird zusätzlich mit Defiziten konfrontiert, die mangelnde Fürsorge und mangelnde Erziehung bei den Schülerinnen und Schülern erzeugen. Besonders aber ist die Schule ein Schauplatz der Chancen und der Schwierigkeiten, die Migration und Integration bedeuten.
In der Schule kann man sich nicht ausweichen. In der Schule stellen sich unausweichlich die Aufgaben des Zusammenlebens der verschiedenen Kulturen und Religionen. Das ist sowohl für Schüler als auch für Lehrer manchmal bestimmt purer Stress. Man soll nicht drumherum reden. Durch Schönreden oder Augen zu machen werden keine Probleme gelöst.
Umso wichtiger, dass die Schule, dass die Lehrer und Schüler theoretische und praktische Hilfe bekommen, bei der großen Integrations-Aufgabe, die sie haben. Schulen sind eine Art Laboratorium der Integration, das heißt, für uns alle und für unser aller Zukunft wichtig. Was in der Schule geschieht, geht uns daher alle an.
Die ZEIT-Stiftung, und zum Glück auch andere Stiftungen in Deutschland, haben das erkannt. Dafür möchte ich mich bedanken.
Stellvertretend nimmt heute die ZEIT-Stiftung diesen Dank entgegen, verbunden mit dem herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag der ZEIT-Stiftung. Ich bin sicher, dass sie weiterhin segensreich wirken wird und mit ihr alle anderen vorbildlichen Stiftungen in unserem Land.