Redner(in): Christian Wulff
Datum: 29. März 2011

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Christian-Wulff/Reden/2011/03/110329-rede-wulff-beim-mittagessen-mit-albertII.html


Seien Sie, Majestäten, sehr herzlich in Deutschland willkommen. Die Deutschen, und ganz besonders meine Frau und ich, freuen uns, Sie zu einem Staatsbesuch begrüßen zu dürfen. Ihre Familie stammt aus dem Herzen unseres Landes: Das Haus Sachsen-Coburg und Gotha regiert das Königreich Belgien seit seiner Gründung.

Im Jahr 2014 werden Belgien und Deutschland gemeinsam des Beginns des Ersten Weltkriegs gedenken, der so viel Leid über unsere Völker gebracht hat. Im Zweiten Weltkrieg war Belgien Opfer deutscher Besatzung und nationalsozialistischer Verfolgungen, die schreckliches Leid über unzählige Menschen gebracht haben. Heute leben wir in Frieden und Freundschaft miteinander. Die schmerzvolle Vergangenheit des 20. Jahrhunderts bleibt aber eine stete Mahnung und Verpflichtung, Frieden in Europa zu halten. Ich wünsche mir, dass 2014 in Ihrer Hauptstadt Brüssel ein Museum "Haus der Europäischen Geschichte" seine Pforten öffnet.

Zwischen unseren Streitkräften ist heute eine enge Verbindung entstanden. Deutsche und belgische Soldaten setzen sich heute Seite an Seite für Frieden und die Wahrung der Menschenrechte ein. Besonders deutlich wird diese Verbindung in Afghanistan: Hier leisten seit über sechs Jahren belgische Soldaten im deutschen Wiederaufbau-Team und Soldaten beider Länder gemeinsam in der Nordregion ihren Dienst. Diese enge Kooperation gibt wichtige Anstöße für die Zukunft und sie zeigt, wie wichtig es für uns Europäer ist, globalen Herausforderungen geeint zu begegnen. Wenn wir langfristig eine bedeutende Rolle spielen wollen, muss ganz Europa regelmäßig mit einer Stimme sprechen.

Auch im Hochschulbereich hat die grenzüberschreitende Verbundenheit eine neue Qualität erreicht: Hochschulen in Wallonien, Luxemburg, Lothringen, dem Saarland und Rheinland-Pfalz und die Universitäten Löwen, Eindhoven und Aachen werden künftig sogar noch intensiver zusammenarbeiten.

Vor 60 Jahren - am 13. März 1951 - hat Belgien trotz des unter der nationalsozialistischen Besatzung durch Deutsche erlittenen Unrechts als eines der ersten Länder nach dem Zweiten Weltkrieg wieder diplomatische Beziehungen mit Deutschland aufgenommen. Damit haben Sie unserem Land geholfen, seinen Platz als freiheitliche und friedliche Gesellschaft zu finden. Heute ist Belgien in Europa wie im Rahmen der Vereinten Nationen einer unserer engsten Partner. Brüssel verkörpert die wachsende Integration unseres Kontinents und beschützt als Sitz der NATO auch seine Sicherheit. Deutlich wird unsere Partnerschaft auch bei den Deutsch-Belgischen Konferenzen.

Belgien und Deutschland sind sich in ihren europapolitischen Grundüberzeugungen einig. Die belgische EU-Präsidentschaft unter Ihrer Leitung, sehr geehrter Herr Premierminister, hat im vergangenen Jahr eindrucksvoll belegt, wie gewichtig Belgiens Rolle in Europa ist. Sie zeigte auch, wie konstruktiv wir zusammenarbeiten.

Diese Tage sind geprägt durch die politischen Bemühungen, die Europäische Währungsunion zu stärken. Das Ziel ist eindeutig: Es gilt, den Euro zu sichern. Die gemeinsame Währung fördert unseren Wohlstand und unsere langfristigen nationalen Interessen, in Belgien genauso wie in Deutschland.

Das bei Gründung der Währungsunion abgegebene Stabilitätsversprechen gilt weiterhin. Um die Währungsunion dauerhaft stabil zu halten, geht es für die Mitgliedstaaten daher um strukturelle Reformen und solides Haushalten. Ihr Land, Majestät, hat sich aus der Wirtschaftskrise herausgearbeitet. Auch hat sich Belgien vor Ausbruch der Krise wegen seiner Anstrengungen beim Schuldenabbau in ganz Europa Anerkennung erworben. Ich darf Sie ermutigen, bald wieder auf dem Weg der Konsolidierung voranzuschreiten.

Wir alle haben ein Interesse an einem nachhaltig wettbewerbsfähigen Europa. Der Euro war von Beginn an ein gemeinsames Projekt, dessen Erfolg auf dem politischen Willen aller Partnerländer beruht, die nationale Politik konsequent stabilitätsorientiert auszurichten.

Um eine tragfähige Europäische Stabilitätskultur zu entwickeln, müssen wir jetzt das institutionelle Gefüge der Währungsunion vervollständigen. Die jüngsten Beschlüsse des Europäischen Rates und des ihn vorbereitenden Euro-Gipfels weisen den Weg: Es geht darum, die Entscheidungen zum permanenten Stabilitätsmechanismus und die verschärfte haushalts- und wirtschaftspolitische Überwachung mit Entschiedenheit umzusetzen. Zeigen wir der Welt, dass wir aus den Schwierigkeiten gelernt haben - auch, indem alle in der Haushalts- , Steuer- und Sozialpolitik ihre Aufgaben beherzt angehen und ihren Finanzsektor zukunftsfest machen. Europa, dieses politische Projekt, ist weit umfassender als es die Lösung der wirtschaftlichen und finanziellen Probleme nahe legt.

Das Projekt Europa betrifft aber nicht nur unsere inneren Angelegenheiten, es wirkt auch nach außen. Dass wir auf globale Herausforderungen gemeinsam als Europäer reagieren müssen, zeigen uns in diesen Tagen die Ereignisse in Japan: Die ungeheuerliche Naturkatastrophe und die Gefahren, die von den Atomreaktoren in Fukushima ausgehen, erfüllen viele Menschen mit Sorge. Offenheit und Vertrauensbildung müssen beim Umgang mit den Erkenntnissen, die wir aus dem Geschehenen gewinnen, ganz vorne stehen.

Am vergangenen Freitag habe ich in Hamburg zu Asien gesprochen. Die Botschafter aus Japan und Singapur haben mir vor allem zugestimmt, als ich über den Umgang in Europa zwischen großen und kleinen Ländern auf gleicher Augenhöhe gesprochen habe. Dieser sei vorbildhaft für Asien. Die Bevölkerungszahlen von Malta und Deutschland entsprechen im Verhältnis denen von China und Laos.

Sie wissen um das hohe Ansehen Ihres Landes in Deutschland und ich weise auf Ihr Land häufig als eines der sechs Gründungsländer Europas hin. In seiner Vielgestaltigkeit hat Belgien den Europäern immer wieder wichtige Impulse gegeben. Auf belgische Impulse für ein in Vielfalt geeintes Europa vertrauen wir auch in Zukunft. Deshalb haben wir großes Interesse, dass Belgien stark, solidarisch und geeint seinen Beitrag in Europa und der Welt leistet.

Das Königreich Belgien bezieht seinen Reichtum auch aus seiner kulturellen Vielfalt. Dazu gehört die deutsche Sprache als dritte Landessprache. Sie selbst, Majestät, sprechen in Ihrer Weihnachtsansprache mit den deutschsprachigen Belgiern unsere gemeinsame Sprache. Wir würden uns freuen, wenn sich den Schülern und Studierenden in allen Regionen des Königreichs mehr Gelegenheiten eröffneten, Deutsch als zweite Fremdsprache zu erlernen - zum Wohle unserer Beziehungen als Nachbarn wie als Wirtschaftspartner.

Sie, Majestät, haben in den vergangenen Monaten beharrlich darauf hingearbeitet, die Bildung einer neuen Regierung zu ermöglichen. Wir hoffen, dass die Bemühungen hierzu bald erfolgreich sein werden. Wir brauchen Belgien - als starken Partner, als Nachbar und als Freund.

Ich bitte Sie, mit mir das Glas zu erheben: Auf die Freundschaft zwischen Deutschland und Belgien und auf das persönliche Wohl Ihrer Majestäten.