Redner(in): Christian Wulff
Datum: 17. Juni 2011
Es ist mir eine Ehre und auch eine persönliche Freude, dass mein hoch geschätzter Kollege und Freund, Präsident Bronisław Komorowski, meiner Einladung gefolgt ist, zu uns zu sprechen auf den Tag genau 20 Jahre nach Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages, 58 Jahre nach dem blutig niedergeschlagenen Arbeiteraufstand in der DDR gegen die kommunistische Herrschaft und quasi am Vorabend der Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch unser Nachbarland Polen.
Wie mein Vorgänger Bundespräsident Roman Herzog will ich mit meiner Einladung an herausragende Persönlichkeiten aus dem Ausland den Blick über die innerdeutsche Debatte hinaus weiten und Fragen zur Diskussion stellen, die uns über Grenzen hinweg bewegen.
Dieser Gedanke überzeugt heute mehr denn je. Im 21. Jahrhundert sind wir täglich mit Herausforderungen konfrontiert, die wir nur noch in internationaler Zusammenarbeit lösen können oder sie bleiben ungelöst. Ich denke an zentrale Fragen wie die Wahrung des Friedens, die Terrorbekämpfung, den Schutz von Umwelt und Klima, die Energieversorgung, viele weltumspannende Finanz- und Währungsthemen oder den globalen Freihandel.
Wir machen es erfolgreich miteinander oder es wird nichts wirklich vorankommen.
Das gilt auch für die Debatte über die Zukunft der Einigung Europas vor dem Hintergrund der Erfolgsgeschichte des Euro, aber auch der Haushaltspolitik und der Schuldenkrise einzelner Mitgliedstaaten. Lassen Sie uns Polen und Deutschland die Erfolge der EU gemeinsam vertreten und verteidigen. Gerade weil wir Europäer uns in einer sich schnell wandelnden Welt weiterhin wohlfühlen wollen, müssen wir gemeinsam Antworten finden, Lösungen durchsetzen und mit einer Stimme sprechen. Einflüsse wie Wahlkämpfe und demoskopische Erwägungen dürfen dabei nicht die maßgebliche Rolle spielen. Erst dann werden wir entschlossen und mit einer Stimme für unsere gemeinsamen Werte und Überzeugungen in der Welt wirkungsvoll eintreten. Nur dann können wir Vorbild sein, zum Beispiel für die Staaten Nordafrikas.
Auf Deutschland und Polen kommt es dabei in besonderem Maße an. Unsere Länder können wichtige Beiträge liefern, wenn sie gleichzeitig bilaterale politische Fragen partnerschaftlich lösen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Vereinbarung, mit der die deutsche Minderheit in Polen sowie die polnischstämmigen Bürger und die Polen in Deutschland gefördert werden. Ich wünsche mir, dass beide Seiten diese gute Einigung nun umsetzen und lebendig werden lassen. Unsere Länder bieten so viele Möglichkeiten in der Zukunft.
Ihnen, Herr Präsident, Dir, lieber Bronek, bin ich sehr dankbar, dass Du Dich bereiterklärt hast, die erste Berliner Rede in meiner Amtszeit zu halten. Das ist ein wunderbares Zeichen, wie nah sich die Nachbarn Deutschland und Polen heute sind was vor dem Hintergrund der Geschichte nicht zu erwarten, allenfalls zu erträumen war. Es ist bewegend, Dich an diesem Tag als besonders glaubwürdigen Redner zu Europa und unseren gemeinsamen Werten zu haben, der Du in schwierigen Zeiten für die Freiheit Deines Landes und Europas zusammen mit Deinen Mitstreitern der Solidarność aufgestanden bist. Du hast Unfreiheit erlitten, für die Freiheit gekämpft, etwas riskiert und Benachteiligungen in Kauf genommen.
Dass ein ehemals von Diktatoren politisch Verfolgter als Staatspräsident seines Landes am 17. Juni in Berlin mitten im demokratisch freiheitlichen Europa zu uns spricht: das ist in der Tat ein starkes Zeichen für die Kraft der Freiheit und dafür, dass wir die Verdienste der Frauen und Männer der Solidarność und des 17. Juni 1953 in der ehemaligen DDR in besonderer Weise würdigen.
Dank unseren polnischen Freunden für ihren heldenhaften Kampf für die Freiheit, der unser Zusammensein hier in der Humboldt-Universität erst mit möglich gemacht hat. Deutschland weiß es zu schätzen, was wir Polen für den Fall der Mauer, die deutsche Wiedervereinigung und die Einigung Europas zu verdanken haben.