Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 29. Mai 2012

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck: "Dies ist ein ergreifender Moment für mich: Sieben Jahrzehnte nach dem am jüdischen Volk begangenen Menschheitsverbrechen der Schoah komme ich als höchster Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zu Ihnen. Ich spüre die Verantwortung, die damit einhergeht. Sie ist überall dort gegenwärtig, wo Deutsche und Israelis ihre auf immer besondere Partnerschaft leben. Diese Verantwortung darf nicht vergehen. Und sie wird nicht vergehen. Mit diesem Versprechen stehe ich heute vor Ihnen."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2012/05/120529-Israel-Empfang.html


Dies ist ein ergreifender Moment für mich: Sieben Jahrzehnte nach den von Deutschen am jüdischen Volk begangenen Menschheitsverbrechen der Schoah komme ich als höchster Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zu Ihnen.

Ich spüre die Verantwortung, die damit einhergeht. Sie ist überall dort gegenwärtig, wo Deutsche und Israelis ihre auf immer besondere Partnerschaft leben. In dieser Verantwortung stehen die Parteien des Deutschen Bundestages, die Regierung und selbstverständlich auch der Bundespräsident. Das war so in der Vergangenheit, das ist gegenwärtig so und das wird ganz gewiss auch in der Zukunft so sein. Unsere beiden Länder haben nach Schoah und Krieg gemeinsam Historisches geschaffen: eine nicht für möglich gehaltene Versöhnung und Verständigung. Das wurde Wirklichkeit, weil Israel Deutschland Vertrauen geschenkt hat. Das Vertrauen, uns die Lehren aus unserer Geschichte ziehen zu lassen und Verantwortung für Geschehenes und die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft zu zeigen.

An diesem Morgen, kurz bevor ich gemeinsam mit Präsident Peres die Gedenkstätte Yad Vashem besuchen werde, bekräftige ich: Das Eintreten für die Sicherheit und für das Existenzrecht Israels ist für deutsche Politik bestimmend. Israel soll in Frieden und in gesicherten Grenzen leben. Auf Dauer, davon bin ich überzeugt, wird dies nur mit einer durch beide Konfliktparteien direkt verhandelten Zwei-Staaten-Lösung möglich sein. Eine Lösung, die auch den berechtigten Belangen des palästinensischen Volkes Rechnung trägt. Eine Lösung, die Wirklichkeit werden kann, wenn beide Seiten aufeinander zugehen und die Rechte des jeweils anderen anerkennen.

Mein Staatsbesuch fällt in eine für die Region und besonders für die arabischen Länder lebhafte Zeit großer gesellschaftlicher und politischer Veränderungen und damit der historischen Chance für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ich verstehe aber auch Israels Bedenken, denn ob der Aufbruch in den arabischen Ländern sich wird behaupten können oder welche Richtung er nimmt, das ist einstweilen noch ungewiss. Meine Position ist eindeutig: Die Veränderungen in Ägypten und in der ganzen Region müssen zu mehr Demokratie und zur Achtung der Menschenrechte führen. Und sie müssen vor allem mit einer verantwortlichen Außenpolitik einhergehen, gerade gegenüber Israel. Dafür setze ich mich ein.

Was mich mit großer Sorge erfüllt, Herr Präsident, ist das iranische Nuklearprogramm. Sie haben soeben davon gesprochen. Es stellt angesichts der Äußerungen der iranischen Staatsführung nicht nur eine konkrete Gefahr für Israel, sondern auch für die Region und auch für uns in Europa eine potenzielle Bedrohung dar. Deutschland und seine Partner wollen in den Verhandlungen mit Iran konkrete Ergebnisse erzielen, die den Frieden sichern.

Heute beginne ich meinen Besuch bei einem der wichtigsten Partner und Freunde Deutschlands. Israel ist ein blühendes, ja ein boomendes Land mit einer stabilen Demokratie.

Diesen Erfolg verdanken Sie nicht zuletzt der Beharrlichkeit, der Lebensbejahung und dem Gottvertrauen Ihrer Bürger.

Deutschland und Israel sind enger verbunden, als jemals zuvor: durch gemeinsame Werte, aber auch gemeinsame Interessen. Neben der sehr schmerzhaften, uns trennenden gemeinsamen Vergangenheit, bin ich aber jetzt dankbar für eine freundschaftlich geprägte Gegenwart und die Hoffnung auf eine gute Zukunft miteinander.

Herr Präsident, es hat mich eben sehr bewegt, als Sie das Wort "Freundschaft" benutzt haben, um die Beziehungen unserer beiden Länder zu charakterisieren. Unsere Beziehungen sind breit gefächert: Neben den politischen Gesprächen unterhalten Geschäftsleute enge Kontakte; Forscher erkunden gemeinsam neue Bereiche des Wissens, israelische Künstler verzaubern Berlin und deutsche sind vom Charme des jungen Israels begeistert, Austauschschüler aus beiden Ländern entdecken die Gegenwart in einem Land, das sie nur aus Geschichtsbüchern kannten, Menschen lernen sich so kennen, schätzen und manchmal sogar lieben.

Ich freue mich auf Ihr Land, auf die Begegnungen mit Israel und mit seinen Menschen. Herzlichen Dank für dieses Willkommen! Ich wünsche mir, wie Sie, Herr Präsident, dass unsere Freundschaft bleibt und wird.