Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 19. Juni 2012

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 19. Juni über 600 Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie Forschungspreisträger der Alexander von Humboldt-Stiftung und ihre Familien aus rund 70 Ländern im Park von Schloss Bellevue empfangen und eine Ansprache gehalten.
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2012/06/120619-Humboldt-Stipendiaten.html


Danke für den freundlichen Applaus, aber ich habe doch noch gar nichts gesagt.

Das sind ja schöne Tage, die wir hier jetzt im Schloss Bellevue haben. Gestern eine Menge Kinder und Jugendlicher, die sich aktiv für eine lebendige Demokratie einsetzen. Und heute Sie, die lieben Gäste, die wir aus allen Teilen der Welt bei uns haben, die internationale Humboldt-Familie!

Ein herzliches Willkommen Ihnen allen im Schloss Bellevue, hier im Garten, unter einem schönen Himmel in Deutschlands Hauptstadt Berlin. Willkommen also in Deutschland oder welcome again! Es ist ja nicht das erste Mal, dass Sie alle hier sind. Herr Professor Schwarz hat einmal so schön gesagt: "Der größte Wunsch der Humboldt-Stiftung ist es, dass sich die Stipendiatinnen und Stipendiaten aus der ganzen Welt bei uns willkommen fühlen. Das ist die beste Voraussetzung für Spitzenforschung."

Das gefällt mir! Diese Haltung und dieses Wort, das gefällt mir. Ich glaube nämlich daran, dass Menschen immer dann besonders leistungsfähig sind, wenn sie nicht nur einer bestimmten Aufgabe sich annehmen, sondern in ihrer ganzen Persönlichkeit wahrgenommen und anerkannt werden. Das spürt man im täglichen Miteinander genauso wie in Forschungsprojekten, in denen unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten aufeinander treffen. Wenn unsere Seele offen für andere ist, dann öffnet sich auch unseren Geist. Dann kommt Bewegung in Herz und Hirn. Dann kann sich das entfalten, was wir Inspiration nennen und was Sie, sehr geehrte Damen und Herren, schon zu großen Erfolgen in Ihren unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen beflügelt hat.

Humboldtianer kommen aus über 130 Ländern der Welt zu uns. Sie gehören in der Regel zu den Besten in Ihrem Fach, sie sind schon von vielen Stellen ausgezeichnet und für exzellent befunden worden. Dazu gratuliere ich Ihnen von Herzen! Und ich möchte Ihnen danken, denn Sie haben sich entschieden, einen Teil Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn in Deutschland zu absolvieren. Das ist ein Vertrauensbeweis, ein Geschenk für unser Land. Sie bereichern nicht nur unsere Universitäten mit Ihrem Wissen und Können. Sie bereichern unsere ganze Gesellschaft. Ich möchte Ihnen deshalb im Namen meines ganzen Landes sagen, wie sehr wir das zu schätzen zu wissen!

Und ich möchte Sie einladen, Ihre Zeit bei uns in Deutschland zu einer ganz besonderen zu machen. Frei forschen zu können, das ist ein so großes Privileg! Diesen Satz hören Sie von jemandem, für den die Freiheit zu einem Lebensthema geworden ist, gerade weil er sie eben nicht hatte. Weil er einst erfahren hat, wie sich staatlich begrenzter Alltag anfühlt: auch in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, einfach überall. Damals hat uns in Ostdeutschland, wo ich herkomme, die Kraft der Gedanken gerettet, eine Sehnsucht nach Freiheit, die innere Überzeugung, etwas ändern zu müssen und auch ändern zu können. So ist dann der Umbruch 1989 Realität geworden.

An diese Kraft muss ich oft denken, wenn heute die großen politischen Themen diskutiert werden: die Nutzung erneuerbarer Energien, das Armutsproblem, die Milleniumsziele der Entwicklungszusammenarbeit oder der arabische Frühling, dem hoffentlich niemals ein kalter Winter folgt.

So viele Dinge, die Mut erfordern und nicht nur unsere Bereitschaft, sich zu fürchten oder zu flüchten. Wo entstehen heute die Gedanken, aus denen eine starke Überzeugung und dann die Kraft zum Wandel erwächst? Die Universitäten und Wissenschaftsorganisationen können und ich finde: sie müssen ein solches Feld für Vordenker und für langfristige gesellschaftliche Veränderungen sein.

Alexander von Humboldt hat einmal gesagt: "Überall geht ein früheres Ahnen dem späteren Wissen voraus." - Bitte, verehrte Stipendiatinnen und Stipendiaten, seien Sie mutig und gehen Sie Ihren Ahnungen, Ihrer Intuitionen nach! Ob nun in der Naturwissenschaft oder in der Philosophie: Wenn Sie Ihre Exzellenz mit der nötigen Entschlossenheit verbinden, dann kann aus Ihrem Forschungsaufenthalt in Deutschland etwas entstehen, was weit über die Dauer Ihres Stipendiums hinausreicht. 48 Nobelpreisträger stammen aus den Reihen der Humboldtianer! Eine tolle Zahl. Und die nächsten sehe ich vielleicht gerade vor mir. Wenn nicht unter den Erwachsenen, so vielleicht unter den Kindern, die Sie mitgebracht haben. Viele Alumni zog es auch schon in die Politik. Sie haben bei den Vereinten Nationen eine Mission gefunden oder gelegentlich wurde einer sogar Staatspräsident. In Ungarn war das Laszlo Solyom. Bei solchen Berufungen ist die Wahrscheinlichkeit übrigens groß, dass wir uns eines Tages wieder hier im Bellevue treffen könnten. Das würde mich freuen!

Freuen würde ich mich aber ganz besonders, wenn möglichst viele Humboldtianer Deutschland sogar länger, auf Dauer zum Arbeits- und Lebensmittelpunkt wählen. Dass wir hochqualifizierte Akademiker gern halten möchten, ist schon seit vielen Jahren kein Geheimnis mehr. Zu den noch nicht so bekannten Entwicklungen gehört, dass inzwischen auch für die mitziehenden Partnerinnen und Partner die Startbedingungen bei uns besser geworden sind. Die Anerkennung ausländischer Berufe und Studienabschlüsse kommt beispielsweise deutlich voran. Auch der Ausbau der Kindertagesstätten an den Hochschulen und in den Kommunen liegt uns am Herzen. Das soll eingewanderten Familien helfen, wenn beide Elternteile arbeiten wollen.

Einige von Ihnen haben ja heute das hört man und sieht man Kinder mitgebracht. Liebe Kinder, schön, Euch hier im Park zu sehen! Ihr sollt Euch wohl fühlen in Deutschland! Die Humboldt-Stiftung hat auch Euer Wohl und das Glück der ganzen Familie im Auge. Ich denke, darüber wird mir der Herr Professor Schwarz noch einiges erzählen und ich bedanke mich sehr dafür, dass das so ist. Wenn von "Willkommenskultur" gesprochen wird und das tun Sie ja häufig, dann ist das nicht nur ein Wort. Sie haben dafür mit der Stiftung und gemeinsam mit den Universitäten und Ausländerbehörden ganz wunderbare Geschichten fürs Leben geschrieben. Dafür danke ich Ihnen sehr!

Wer die Abschlussberichte der Humboldtianer liest, der versteht, dass gerade diese umfassende Unterstützung viel zu den guten Erinnerungen an Deutschland beiträgt. Oft sind übrigens in diesen Berichten lobende Worte zu finden, zum Beispiel über deutsche Pünktlichkeit und Ordnung. Ich dachte, das hätte sich schon aufgelöst, offensichtlich kommt es noch vor. Als ich anno dazumal es ist ziemlich lange her in einem Hörsaal saß, hätte man solche preußischen Tugenden lieber verschwiegen. Heute sind deutsche Universitäten sogar in offiziellen Umfragen auch ausdrücklich wegen ihrer Organisationsfreude und Zuverlässigkeit beliebt. Schön, so etwas zu hören!

Ich glaube, das Willkommensgefühl geht heute in sehr viele, erfreuliche Richtungen. Gerade eben durfte ich einem japanischen Professor den Philipp-Franz-von-Siebold-Preis verleihen. Herr Professor Takada, Sie haben sich eben so herzlich für meine Komplimente bedankt. Das gilt umgekehrt genauso. Für mich ist es das schönste Kompliment, dass Sie genauso wie 1.200 Humboldtianer bei uns in Deutschland sind. Dafür danke ich Ihnen!