Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 7. September 2012

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 7. September beim Benefizkonzert des Bundespräsidenten in Halle (Saale) eine Rede gehalten. Das Konzert bildete den Abschluss des eintägigen Antrittsbesuchs in Sachsen-Anhalt.
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2012/09/120907-Benefizkonzert.html


Weniges macht mehr Freude, als das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Man kann gleichzeitig etwas Gutes tun und etwas Gutes erleben.

Weil auch Bundespräsidenten etwas von der menschlichen Psyche verstehen, haben sie genau das ins Leben gerufen und am Leben erhalten, was auf besondere Weise Gutes tun und Gutes erleben verbindet: das Benefizkonzert des Bundespräsidenten.

Richard von Weizsäcker hat einmal diese Tradition, die es geworden ist, begründet, und seine Nachfolger haben sie fortgesetzt. Das war zuerst immer in Berlin. Horst Köhler hat dann entschieden, dass wir es reihum in den Ländern des Bundes machen.

Und nun findet es hier statt, in Sachsen-Anhalt, weil in der strengen Reihenfolge des Alphabets verfahren wird. Ich erlebe also in meiner noch kurzen Amtszeit nun schon das zweite Konzert. Das erste war in Sachsen. Ich weiß nicht, ob das immer so bleiben wird, dass wir zwei Konzerte pro Jahr haben werden, aber ich spüre schon, wie sehr hier eine Tradition ganz selbstverständlich gewachsen ist.

Ich freue mich auf das Konzert, auf die Staatskapelle. Darauf, dass ich Ragna Schirmer hören kann, freue ich mich besonders, und ich bin ganz gespannt auf das Dirigat von Generalmusikdirektor Karl-Heinz Steffens.

Wir werden alle ganz gewiss einen wunderbaren Abend erleben. Und wir werden ganz nebenbei wieder erfahren, dass wir viele kulturelle Zentren im Land haben. Das ist ja nicht in jedem Land in Europa und auf der Welt so. Es wird wieder deutlich: Was die Kultur betrifft, gibt es in Deutschland zwar viele Regionen, aber keine Provinz.

Ich freue mich immer wieder, wenn ich das erleben kann in den unterschiedlichen Städten, von Nord bis Süd, von Ost bis West: Überall gibt es exzellente Museen, Theater, Spitzenklangkörper. Es gibt ja über zwanzig Hochschulen, in denen Menschen Musik studieren können in Deutschland. Aus der ganzen Welt kommen Studierende hierher, um Anteil zu haben an einer Kultur mit regionalen Prägungen und regionalen Schwerpunkten. Wo so etwas geschieht, gibt es auch ein kulturinteressiertes Publikum. Oft kenntnisreich, oft anspruchsvoll, manchen Künstlern gar zu anspruchsvoll. So gibt es dann ein gegenseitiges Bemühen und den Ansporn für herausragende Qualität. Deutsche Kultur, soviel steht jedenfalls fest, hat viele Zentren und ich freue mich, dass ich hier bei meinem Besuch im Land Sachsen-Anhalt heute ein solches Zentrum kennenlernen kann.

Kultur ist aber nicht nur gleichmäßig über das Land verteilt, sondern kann überall und soll auch überall Menschen, gleich welcher Herkunft oder gleich welcher Disposition, ermuntern, berühren, erfreuen. Manche haben es da natürlich schwerer als andere. Ich freue mich deswegen über den Benefizzweck, den der Herr Ministerpräsident ausgesucht hat. Ich bin ausgesprochen dankbar dafür, denn das Projekt "Punkte voll Klang" hätte ja die Förderung schon allein wegen seines schönen Namens verdient. Aber noch mehr natürlich wegen des Zweckes. Es ist nicht nur die Poesie des Namens, die uns berührt, sondern es steckt etwas sehr Handfestes dahinter, Fingerfestes genau genommen. Menschen, die nicht lesen können, sollen Musik dadurch vertieft erfahren können, dass sie das tun, was sie auch, wenn sie Texte lesen tun: mit den Fingern zu erfahren, was da steht, um selber gestalten zu können. Durch dieses Projekt also werden Blinde und Sehbehinderte befähigt, die Notenschrift zu lesen.

Das ist ein ungewöhnliches Projekt. Ich wusste, bevor ich mich mit diesem Konzert befasst habe, gar nicht, dass es so ein Vorhaben gibt. Und ich freue mich ausgesprochen über diesen intelligenten und schönen Zweck. Und außerdem passt es sehr gut in dieses Jahr. Denn in diesem Jahr wird der Deutsche Blinden- und Sehbehinderten Verband 100 Jahre alt. Und ich bedanke mich und beglückwünsche alle diejenigen, die in diesem Verband tätig waren und sind und das, meine Damen und Herren, verdient schon einmal unseren Applaus.

Sie alle haben mit Ihrer Eintrittskarte dieses Projekt bereits gefördert. Ich danke Ihnen ebenfalls. Bleiben Sie verbunden mit Aufgaben, nicht nur dieser einen, für die es die Unterstützung der Bürgergesellschaft braucht. Ich freue mich immer, wenn Bürger aktiv werden und nicht einfach dasitzen und die Zeiten oder die mangelnde Unterstützung von oben beklagen, sondern wenn sie sich zusammentun in Vereinen oder Initiativen und etwas gestalten. Wir sind voller Energie und Elan, wenn wir entdeckt haben, dass da Aufgaben auf uns und unsere Fähigkeiten warten. Bei einigen sind diese Fähigkeiten die aktiven Eintretens, aktiven Handelns, Trainierens. Und bei anderen ist es einfach, dass man den Geldbeutel einmal für andere Dinge öffnet als nur für den persönlichen Konsum. Es gibt also sehr viele Möglichkeiten einzugreifen und als Bürger aktiv zu sein.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch all den Firmen danken, die es für richtig gehalten haben, hier einzusteigen und diesen Zweck zu fördern. Auch den Mitteldeutschen Rundfunk will ich erwähnen und alle anderen Helfer, die sichtbar und unsichtbar dazu beigetragen haben, dass wir diesen schönen Abend haben werden.

Aber dies ist ja kein Abend, der sich auf eine Rede konzentriert, auch nicht auf einen Mann, den Bundespräsidenten, sondern wir wollen etwas anderes haben, wir wollen die Töne haben, wir wollen eine Sprache hören, die unsere Seele öffnen kann, ganz anders als es Worte tun können. Und deshalb freuen wir uns jetzt auf das Konzert und gleichzeitig freuen wir uns darüber, dass wir miteinander die Kraft aufbringen, Dinge zu tun, die sonst liegenbleiben würden.

Einen wunderbaren Abend uns allen.