Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 25. Oktober 2012

Untertitel: Der Bundespräsident hat am 25. Oktober beim Konzert zum 50. Gründungsjubiläum der Deutschen Stiftung Musikleben in Schloss Bellevue eine Ansprache gehalten: "Wir feiern einen runden Geburtstag, einen 50. Das ist im einzelnen menschlichen Leben oft ein wichtiges Datum, an dem man auf ein Leben zurückblicken kann, das schon deutlich Gestalt angenommen hat, das aber auch noch so viel Zukunft hat, dass noch genügend Platz ist für Pläne, Hoffnungen und neue Ideen."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2012/10/121025-Stiftung-Musikleben.html


Wenn etwas mit "Pauken und Trompeten" angekündigt wird, dann ist das nach unserem Sprachgebrauch eine richtig große Sache. Mit "Pauken und Trompeten" : das ist im Deutschen ja ein Ausdruck dafür, dass etwas mit aller Kraft, mit aller Macht, mit aller Heftigkeit gemacht wird oder geschieht.

Wenn auch die Trompeten gerade gefehlt haben und auch im weiteren Verlauf dieses Abends leider nicht mehr auftauchen werden so war doch diese Pauken-Ouvertüre, dargeboten vom Stuttgarter Schlagzeugquartett, ein ganz deutliches Zeichen dafür, dass uns heute etwas Großes und Großartiges ins Haus steht. Und das ist in der Tat der Fall.

Wir feiern einen runden Geburtstag, einen 50. Das ist im einzelnen menschlichen Leben oft ein wichtiges Datum, an dem man auf ein Leben zurückblicken kann, das schon deutlich Gestalt angenommen hat, das aber auch noch so viel Zukunft hat, dass noch genügend Platz ist für Pläne, Hoffnungen und neue Ideen.

Für Institutionen wiederum sind 50 Jahre vielleicht keine allzu lange Zeit, aber das Erreichen dieser Marke ist doch ein Anlass, innezuhalten und Bilanz zu ziehen. Was wollten wir? Was haben wir erreicht? Braucht es uns eigentlich noch? Was fehlte, wenn es uns nicht gäbe?

Wir feiern heute die "Deutsche Stiftung Musikleben", die 50 Jahre alt wird. Und so eine Stiftung, erst recht und ganz besonders diese Stiftung, hat nun etwas von beidem. Ganz ohne Zweifel ist sie eine "Einrichtung", also eine Institution, sogar in jenem emphatischen Sinne, in dem man etwas, das ganz selbstverständlich da ist und das man sich gar nicht mehr wegdenken kann, eine "Institution" nennt.

Die Deutsche Stiftung Musikleben ist in diesem Sinne eine Institution, auch natürlich in dem ganz praktischen Sinne, dass dazu ein Stiftungsziel, eine Satzung, ein Präsidium, ein Kuratorium und so weiter gehören.

Aber sie ist mehr als das und das wissen und spüren alle, die kürzer oder länger mit ihr zu tun bekommen. Ich weiß das deswegen so genau, weil ich einerseits als Bürger Gauck ins Kuratorium aufgenommen wurde und weil ich nun andererseits, wie auch meine Vorgänger, Schirmherr der Stiftung bin.

Sie selbst ist vielleicht keine Persönlichkeit, kein Individuum aber sie wird doch in ganz hohem Maße von Individuen, von Persönlichkeiten geprägt und fördert nun ihrerseits auch wieder Individuen und individuelle Wege. Und das in einem ganz außergewöhnlichen Maß, mit außergewöhnlicher Leidenschaft, mit außergewöhnlicher Kennerschaft und mit außergewöhnlichem Erfolg.

Die Deutsche Stiftung Musikleben ist die Idee zweier Persönlichkeiten, ja auch zweier Individualisten, zweier Hamburger Bürger, Dr. Hans Sikorski und Wolfgang Essen. Und sie ist immer neu Herzensangelegenheit von Individualisten, von engagierten Bürgerinnen und Bürgern geworden und geblieben. Das zu betonen ist mir heute Abend ganz besonders wichtig.

In unserem Land kann man sich auf absolut unterschiedliche und vielfältige Weise engagieren. Das will ich immer wieder allen vor Augen stellen. Ich will allen sagen: Es gibt überhaupt keinen Grund, nichts zu tun. Es gibt keinen Grund, abseits zu stehen und es beim Kommentieren, beim Analysieren oder auch beim platten Schimpfen über die schlechte Welt und die böse Gesellschaft bewenden zu lassen.

Ich will sagen: Es gibt für jeden eine Möglichkeit, etwas zu tun, etwas zu bewegen oder zu fördern. Man muss nur hinsehen und anfangen, nur von etwas gepackt werden und dann etwas anpacken.

Die Deutsche Stiftung Musikleben und alle, die sich da engagieren, machen es vor. Ich freue mich darüber und verbinde diese Freude mit tiefempfundenem Dank. Seit über 25 Jahren, um jetzt einmal Ross und Reiter zu nennen, steht dafür als Beispiel Irene Schulte-Hillen. Wenn der Begriff "unermüdlich" menschliche Gestalt annehmen könnte, würde er wahrscheinlich so ähnlich aussehen wie Frau Schulte-Hillen. Natürlich schafft sie das alles nicht alleine, natürlich stehen dahinter die vielen, die Zeit und vor allem auch Geld opfern.

Moment: Ist das nicht ein sehr altmodischer Begriff? Ist das nicht sehr unattraktiv, gar weltfremd etwas zu "opfern" ? Nun, ich habe dieses Wort ganz bewusst gewählt. Denn dieses "bürgerliche" oder "zivilgesellschaftliche Engagement" klingt mir manchmal so ein bisschen aseptisch, so ein bisschen zu vornehm. Denn es geht doch buchstäblich um das, was uns teuer ist: nämlich Zeit und Geld und wer das so einsetzt, dass es etwas bringt, der opfert etwas davon. Das kann man doch ruhig einmal sagen und dabei alle die loben, die genau das tun.

Am schönsten ist es natürlich, wenn man sieht, dass das Engagement Früchte trägt. Und das tut es bei der Stiftung Musikleben in reichem Maße. Wie viele musikalische Karrieren konnten in den letzten 50 Jahren gefördert werden, wie viele wunderbare musikalische Wege konnten ermöglicht und ein Stück begleitet werden. Das war und ist ein unersetzlicher Dienst. Ein Dienst zuerst an den jungen Menschen, den jungen Künstlern. Ein Dienst aber auch an der Musiklandschaft und das sind ja wir alle, die wir gern in Konzerte gehen oder in die Oper. Und ein Dienst schließlich an unserem Land, das ja in so besonderer Weise eine Heimat der Musik ist, wie man in der ganzen Welt weiß und mit einer gewissen Ehrfurcht auch immer noch wahrnimmt.

Die Musik besteht aus lauten und leisen Tönen, aus Pauken und Zimbeln, wie schon der 150. Psalm wusste, sie lebt aus Emotion, verbunden mit Talent und Können. Wir alle werden das an diesem besonderen Abend wieder einmal erleben, der uns von Preisträgern und Stipendiaten der Stiftung beschert wird. Es wird uns sozusagen unüberhörbar zu Ohren gebracht, dass Zeit und Mühe und Geld, die für die Stiftung Musikleben und für die Zukunft junger Musikerinnen und Musiker aufgebracht werden, mehr als gut investiert sind.

Ich wünsche Ihnen allen einen bewegenden Abend.