Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 10. Januar 2013
Ich sage Ihnen ein besonderes herzliches Willkommen. Besonders herzlich ist es, weil Sie der Schmuck unseres Landes sind. Neben Ihnen gibt es noch anderen Schmuck. Aber Sie gehören zu dem Schmuck unseres Landes, den ich für noch wichtiger halte als die großen Gebäude und die prachtvollen Kunstwerke, die unser Land schmücken. All das mag ich auch. Aber noch lieber mag ich aktive Bürger, die den Schmuck eines Landes bilden. Wenn Sie dann noch aus so vielen unterschiedlichen Bereichen unseres öffentlichen Lebens kommen und wenn aus dem Privaten Kräfte mit hinübergenommen werden ins Öffentliche, dann ist das etwas, was mir unglaublich gut gefällt.
Manchmal frage ich mich, was wäre, wenn unser Land in schwierige Zeiten käme, wie wir sie schon gehabt haben. Dass zum Beispiel unsere Institutionen plötzlich nicht mehr so stark wären wie sie sind, unsere Regierung wankelmütig, sogar unser Bundesverfassungsgericht, vielleicht in der Hand eines übermütigen Regierungschefs, der Bundespräsident in der Bredouille und alles irgendwie zweifelhaft. Und dann wüsste ich, es könnte sofort einen Neustart geben. Weil Sie da sind. Weil Leute wie Sie da sind. Schauen Sie, ich bin, wie Sie, aus der Mitte unserer Gesellschaft hierher gekommen, an diese Stelle. Ich darf Sie heute empfangen und ich bin ziemlich sicher, aus Ihrer Mitte würden wir auch ganz schnell wieder eine Bundespräsidentin oder einen Bundespräsidenten finden, wenn es mit mir nun irgendwie nicht hinhaut.
Wenn ich Sie hier preise als Schmuck unseres Landes, dann sagt der eine oder andere vielleicht: Wieso, ich mache doch nur das, was ich immer gemacht habe. Ja, aber das ist es eben. Dass wir manchmal entdecken, dass unsere ganz normalen Menschenkräfte, unser Herz und unser Verstand, dass wir die nicht nur für unser eigenes Fortkommen und für unseren eigenen Erfolg einsetzen können, sondern dass wir die alle zusammen in unseren großen Topf werfen, in dem unsere Gemeinschaft ist. Wir sind aufeinander bezogene Menschen und deshalb reihe ich mich gerne ein in die Reihe all meiner Vorgänger, die in diesem Amt tätig waren. Sie alle hatten ein Faible für die aktive Bürgergesellschaft. Das bin ich nicht alleine, ich bin nicht der Erste, der diesen Schwerpunkt setzt, sondern alle Bundespräsidenten haben die Deutschen ermutigt: Schaut Euch an und erinnert Euch daran, was Ihr könnt!
An Tagen wie diesen spüren wir es: Bürgergesellschaft ist möglich, sie lebt, sie gedeiht, sie blüht. Einige blühen schon etwas länger, die haben dann schon ein paar Falten mehr als die anderen. Umso erfreulicher ist es, dass es bei einigen auch erst seit Kurzem zu blühen angefangen hat. Wir haben unter uns ja eine ganz junge Frau, die den meisten hier vielleicht vorkommen würde, als müsste man ihr noch dies oder das beibringen. Und tatsächlich ist sie aber aktiv, so wie Sie, die Älteren es sind.
Machen wir uns bewusst, dass es nicht so ist, wie wir Älteren gerne sagen: Es gehe alles den Bach herunter. Viele denken ja, wenn ich meinen Verein verlasse, oh Gott, was wird dann aus ihm. Mancher hat den Verein auch so hingetrimmt, dass er praktisch ein Personalverein ist. Aber es geht eben nicht den Bach herunter. Und dafür gibt es interessante Zahlen. Die Bundesregierung erhebt ja regelmäßig Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland freiwillig dies oder jenes tun. Und es ist so, dass sich die Zahlen nicht vermindern. Sondern Freiwilligkeit nimmt zu. Und davon müssen wir erzählen. Es ist ja schick, über die Politik und über Politiker zu sprechen, und dass die alle nichts taugen und so weiter und so fort. Das stimmt nur sehr selten. Manchmal stimmt es ein bisschen, aber in der Regel ist es stark übertrieben. Politik aber machen wir Bürgerinnen und Bürger auch. Und deshalb macht der Bundespräsident Veranstaltungen wie diese, deshalb macht er sein Bürgerfest, deshalb zeichnet er Menschen mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland aus.
Ich bin tief dankbar, dass ich mich stützen kann auf Ihre Tatkraft und Ihren Idealismus. Und neben der Dankbarkeit ist noch ein Stück ganz gediegenes Zutrauen. Ich traue diesem unserem Land zu, dass es zukunftsfähig ist. Und nicht deshalb, weil es alle Probleme gelöst hätte. Wir haben eine Menge Probleme nicht gelöst. Im sozialen Bereich, im ökologischen Bereich, im kulturellen Bereich. Überall gibt es Probleme. Sie sind ja aktiv dort, wo es Defizite gibt. Aber weil Sie aktiv sind und weil dies eine lernfähige Gesellschaft ist, deshalb ist unsere Gesellschaft zukunftsfähig. Und deshalb nehme ich Sie als Zeugen für diese Zukunftsfähigkeit. Sie haben begriffen, warum ich immer so viel von Freiheit rede. Weil für mich Freiheit nicht heißt, ich darf alles, sondern, ich bin zuständig, ich bin verantwortlich. Freiheit für uns erwachsene Menschen heiß Freiheit zu etwas und Freiheit für etwas. Dafür braucht unsere Gesellschaft auch Vorbilder, deshalb werden Sie hier ein bisschen herausgehoben aus dieser großen breiten Bevölkerung. Wir brauchen für unsere jüngeren, nachwachsenden Menschen im Land dieses Zeichen: Du kannst Freiheit leben, indem Du ausflippst, aber Du kannst sie auch leben, indem Du Dich für etwas zuständig erklärst. Das ist der Kern einer Bürgergesinnung. Wir klagen also nicht nur und jammern, wie viele unserer Landsleute das so gerne tun, sondern wir wissen, Strukturen, sogar Mentalitäten, sind mit Geduld und Tatkraft veränderbar.
Wenn ich jetzt noch einmal die Seiten aufschlagen würde mit den Begründungen, warum Sie hier eingeladen sind, und wenn ich vorlesen würde, was da steht, dann wäre das eine Vorlesung mit lebendigen Beispielen über Fähigkeit, Bedeutung und Vollmacht des Bürgers. Das kann ich nun heute nicht tun, aber eines lese ich Ihnen doch vor. Da heißt es über einen unter Ihnen: "Unterrichtet seit 60 Jahren ohne Unterbrechung Gefangene in der Justizvollzugsanstalt Straubing im Schach. […] Mitinitiator der von den Gefangenen […] erstellten Zeitschrift ' Kleine Schachpost ' , die 1964 zum ersten Mal erschien." Ich wäre niemals darauf gekommen, dass es so etwas gibt. Dass sich einer von uns dahin verirrt, wo die Knackis sitzen, und ihnen in aller Ruhe beibringt, wo man Energie auch einsetzen kann. Was für ein interessantes Engagement!
Und so könnten wir all diesen Begründungen gespannt zuhören. Denn Sie alle helfen Menschen, Mensch zu sein. Auf diese einfache Formel können wir das bringen. Mit all Ihrem Vermögen, mit Ihren Talenten, manchmal helfen Sie mit Geld, sehr viele mit Zeit. Sie helfen der Kultur, der Natur, der Bildung. Oder Sie geben Menschen am Ende ihres Lebens Halt oder führen Menschen verschiedener Herkunft oder unterschiedlichen Glaubens, unterschiedlicher Kulturen zusammen, wollen also Menschen beieinander halten. Und all das tun Sie, egal ob Sie dafür nun viel Anerkennung bekommen oder nicht. Und mancher von Ihnen hat sicher auch manchen Ärger gehabt durch sein Engagement. Er tritt anderen auf die Füße, erinnert andere Mitmenschen daran, dass es an Sensibilität fehlt, erinnert in einem reichen Land daran, warum es eigentlich soziale Probleme gibt oder warum an der Kultur gespart wird, oder erinnert gedankenlose Menschen daran, dass unsere ganze Welt eine Zukunft braucht und dass wir die nicht durch Klimasünden aufs Spiel setzen dürfen. All das tun Sie. Und das Schöne ist, dass Sie Schritt für Schritt dies gelernt haben. Sie sind nicht so geboren, als so aktive Leute, sondern Ihr Leben und Ihr Engagement hat Sie dorthin geführt.
Und so freue ich mich, heute mit Ihnen essen zu dürfen. Stärken Sie sich für kommende Taten!