Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 13. Mai 2013

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 13. Mai 2013 anlässlich des Eröffnungskonzertes des Jahres "Deutschlands Brasilien 2013-2014" ein Grußwort gesprochen: "Glückliche Beziehungen sind solche, bei denen man im Anderen Vertrautes findet zugleich aber auch immer wieder etwas entdeckt, was einen fasziniert und anregt, etwas, woran man sich reiben und wodurch man im besten Falle gemeinsam wachsen kann. Mir scheint, mein Land und Ihres stehen in genau so einer glücklichen Beziehung zueinander es wissen nur noch nicht alle! Und darum freue ich mich, heute mit Ihnen zusammen das Deutschlandjahr in Brasilien zu eröffnen. "
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2013/05/130513-Brasilien-Eroeffnungskonzert.html


Glückliche Beziehungen sind solche, bei denen man im Anderen Vertrautes findet zugleich aber auch immer wieder etwas entdeckt, was einen fasziniert und anregt, etwas, woran man sich reiben und wodurch man im besten Falle gemeinsam wachsen kann.

Mir scheint, mein Land und Ihres stehen in genau so einer glücklichen Beziehung zueinander es wissen nur noch nicht alle! Und darum freue ich mich, heute mit Ihnen zusammen das Deutschlandjahr in Brasilien zu eröffnen. Gut 400 Kulturveranstaltungen und Kongresse, Ausstellungen und Begegnungen sind bis jetzt geplant und es werden, so hörte ich, mehr hinzukommen ein beeindruckendes Programm!

Es zeigt, wie viel uns schon verbindet und wie viel wir noch voneinander lernen können.

In der kurzen Zeit, die ich nun bei Ihnen bin, habe ich beides schon erlebt, das Vertraute, Verbindende wie auch das Andere und Faszinierende. Zum Beispiel, wenn ich wie heute Nachmittag Mitgliedern der jüdischen Gemeinde von São Paulo begegne und mit ihnen zugleich auch der deutschen Geschichte. Wenn ich die Namen der ursprünglich deutschen Siedlungen höre: Blumenau und Rolândia, Novo Hamburgo und Nova Friburgo Zeugnisse jahrhundertealter Verbindungen zwischen Menschen unserer beiden Länder. Und ziemlich amüsant fand ich es zu erfahren, dass manch ein jüngerer Brasilianer Volkswagen für eine alte brasilianische Traditionsmarke hält!

Umgekehrt wissen nur wenige Deutsche, dass Thomas Mann, wohl einer unserer berühmtesten Schriftsteller, seine künstlerische Ader der in Brasilien geborenen Mutter zuschrieb die übrigens Zeit ihres Lebens sehnsüchtig an den Ort ihrer Kindheit, an Paraty zurückdachte. Ich habe selbst gestaunt in der Vorbereitung auf diesen Besuch, dass manches Brasilianische in Deutschland steckt. Wenn Sie mich etwa auf den "Edifício Copan" ansprechen, dann werde ich kontern: Haben wir auch! Ein paar hundert Meter neben meinem Berliner Amtssitz, dem Schloss Bellevue, steht nämlich auf Stelzen ein mehrstöckiges Wohnhaus von Oscar Niemeyer!

Was mir vor allem auffällt, was faszinierend und ungewohnt ist für einen älteren Deutschen zu sehen, wie viele Menschen mit verschiedenen Ursprüngen, wie viele Geschichten und Lebensschicksale sich in Brasilien kreuzen. Ich habe mir sagen lassen, Sie feiern heute den "Dia do Mulato", die offizielle Abschaffung der Sklaverei. Auf den Tag genau 125 Jahre ist es her. Der Tag erinnert an ein freudiges Ereignis und zugleich an die Not derer, die hierher verschleppt wurden. Andere Ihrer Vorfahren kamen aus wirtschaftlicher Not, aus Abenteuerlust oder als politische Flüchtlinge darunter, wie wir wissen, auch mehrere Hunderttausende Deutsche. Es ist bewundernswert, wie es Brasilien geschafft hat und noch immer schafft, aus dieser Vielfalt etwas Gemeinsames entstehen zu lassen. Hier können wir Deutsche von Ihnen lernen, denn auch Deutschland wird immer mehr und immer bewusster ein Einwanderungsland.

Lernen, Neugier, Offenheit für die Stärken und Erfahrungen des jeweils anderen: Das sind für mich ganz wesentliche Impulse des Deutschlandjahres. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, die Sie ja beide Länder vielfach schon gut und viel besser kennen als ich: Laden Sie andere ein, Deutschland unvoreingenommen zu begegnen.

Ich habe im Vorfeld meiner Reise in einem Buch von João Ubaldo Ribeiro geblättert. Es heißt "Ein Brasilianer in Berlin. Innenansichten eines Außenseiters" und entstand vor über 20 Jahren, als Ribeiro kurz nach dem Mauerfall für ein Jahr in Berlin lebte übrigens mit einem Stipendium des DAAD. Er portraitiert sehr liebevoll die pünktlichen, präzisen und disziplinierten Deutschen und ihr merkwürdiges Land, in dem Busse nach Fahrplan fahren und die Bäume Nummern tragen. Nun können Klischees durchaus auch Wahrheiten enthalten.

Und wenn sie so schön beschrieben werden wie von Ribeiro, kann es lustig sein, sich darin zu spiegeln. Aber Gesellschaften verändern sich, und vielleicht würde auch Ribeiro Deutschland heute etwas anders beschreiben. Unser Land ist in den letzten zwei Jahrzehnten offener geworden, internationaler und auch gelassener. Die Deutschen haben angefangen, sich selbst wieder zu mögen eine gute Voraussetzung dafür, auch anderen mit Wärme und Neugier zu begegnen.

Manchmal wünsche ich mir von den Deutschen allerdings noch etwas mehr Mut! Das Goethe-Institut, dem wir viele schöne Projekte des Deutschlandjahres zu verdanken haben, buchstabiert in seiner Ausstellung "Deutschland für Anfänger" unser Land gewissermaßen durch, von "A" wie "Arbeit" bis "Z" wie "Zukunft". Ich musste schmunzeln, als ich las, was bei "Z" steht. Ich zitiere: "Die Zukunft wird in Deutschland eher mit einem Hang zum Pessimismus betrachtet." Nun schimpfe ich selbst häufig über den deutschen Hang zur Ängstlichkeit. Aber vielleicht müssen wir diesen Hang auch bejahen: Es ist der Zweifel, der uns Deutsche zu Eigen ist. Positiv betrachtet heißt das: Wir geben uns nicht zufrieden, ruhen uns nicht auf dem Erreichten aus, sondern wollen immer noch ein bisschen besser werden.

Für mich steht jedenfalls fest, dass wir allen Grund haben, beim Buchstaben "Z" das Wort "Zuversicht" zu gebrauchen das können uns zum Beispiel die Brasilianer beibringen! Deutschland hat viel zu bieten. Wir haben in unterschiedlichen Epochen gern von anderen gelernt und heute teilen wir mit anderen auch unsere Erfahrungen. Auf ökonomischem Gebiet heißt das zum Beispiel: Wir haben einen soliden und unglaublich innovativen Mittelstand. Und mit unserer dualen Ausbildung haben wir Generationen von jungen Deutschen eine solide Basis für ein erfolgreiches Berufsleben geschaffen; sie mussten nicht studiert haben, um erfolgreich zu sein. Aber auch was die akademische Ausbildung betrifft, können wir Erfolge vermelden. Unsere Universitäten ziehen Studierende aus aller Welt an. Und mit der so genannten "Energiewende" hat sich Deutschland ein ehrgeiziges Ziel gesetzt.

Auf all diesen und noch vielen anderen Gebieten können Deutschland und Brasilien gemeinsam lernen, gemeinsam wachsen so wie es in einer guten Partnerschaft sein sollte. Das Fundament dafür ist unsere Wertegemeinschaft. Vielleicht gebrauchen wir das Wort manchmal etwas zu leichtfertig auf unsere beiden Länder trifft es tatsächlich zu!

Jetzt muss es aber endlich ans Eröffnen gehen. Wir könnten das Deutschlandjahr in Brasilien nicht passender eröffnen als mit Ihnen, liebe Gäste. Sie pflegen die deutsch-brasilianische Freundschaft, als Unternehmer, Kulturschaffende oder Politiker, als engagierte Menschen. Wir könnten es nicht schöner tun als mit einem Konzert schließlich heißt concerto "Übereinstimmung" und concertare "wetteifern". Und wir könnten es schließlich nicht besser tun als mit dem Orchester, das wir gleich wieder hören werden. Die jungen deutschen und brasilianischen Musiker werden sich in den kommenden Monaten noch besser kennenlernen, von gleich zu gleich, sie werden sich aufeinander einstimmen und dann, über alle sprachlichen und kulturellen Unterschiede hinweg, gemeinsam etwas schaffen, was uns bereichert: Was für ein schöner Ansatz für "Deutschlands Brasilien 2013 - 2014" !