Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 12. Juli 2013
Untertitel: Ansprache von Bundespräsident Joachim Gauck während seines Staatsbesuchs in der Republik Litauen beim Festkonzert des Bundesjugendjazzorchesters. In seiner Rede sagte er: "Es ist kein Wunder, dass der Jazz immer wieder neu gefunden und erfunden worden ist, wo es gesellschaftlich und politisch keine Freiheit gab. Jazz ist immer auch eine Musik des Widerstands in diktatorischen und totalitären Staaten und Gesellschaften gewesen."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2013/07/130712-Bundesjugendjazzorchesters_Litauen.html
Ich freue mich, Sie hier zum Konzert mit dem deutschen Bundesjugendjazzorchester begrüßen zu können und zwar aus mehreren Gründen:
Zunächst einmal freue ich mich immer, wenn ich Menschen überraschen kann, vor allem natürlich, wenn ich sie positiv überraschen kann. Und ich denke schon, dass man bei einem kulturellen Ereignis, das während eines Staatsbesuchs ja repräsentativ für die Bundesrepublik Deutschland stehen soll, nicht in erster Linie ein Jazzkonzert erwarten würde. Ein klassisches Streichquartett, ein Sinfoniekonzert, ein romantischer Liederabend mit Schubert und Brahms, vielleicht sogar kombiniert mit einem Zwölftonstück einer nun auch schon 100 Jahre alten Avantgarde: das erwartet man in der Regel, wenn sich Deutschland musikalisch repräsentieren lässt.
Heute und ganz bewusst auch hier in Litauen zeigt sich Deutschland anders. Das Bundesjugendjazzorchester spielt: Das ist ein besonderer musikalischer Gruß, der über die fantastische Musik hinaus, oder besser: gerade durch diese Musik einige Botschaften mitschwingen lässt, die mir gerade hier und heute wichtig sind.
Von den Ursprüngen des Jazz liegt vieles im Dunklen. Eines aber kann man mit Sicherheit sagen: Es verbinden sich hier der Rhythmus und die Phrasierung der afrikanischen Sklaven Amerikas, also afrikanischer Wurzeln, mit westlichen Melodien und Instrumentierungen. Was immer in den letzten hundert Jahren aus dem Jazz geworden ist, wie "cool" oder "hot" auch immer seine jeweilige Ausformung gerade ist: Diese Wurzeln in der Freiheitssehnsucht der Versklavten und diese Mischung unterschiedlicher Elemente bleiben konstitutiv, wo immer und von wem auch immer er gerade gespielt wird.
Das macht, dass Jazz auch außerhalb von New Orleans oder Louisiana, auch weit jenseits des Mississippi-Deltas und weit außerhalb von Amerika überhaupt zu einer Musik der Freiheit geworden ist, zu einem Symbol geradezu von Freiheit in der Musik und Freiheit durch Musik.
Es ist kein Wunder, dass der Jazz immer wieder neu gefunden und erfunden worden ist, wo es gesellschaftlich und politisch keine Freiheit gab. Jazz ist immer auch eine Musik des Widerstands in diktatorischen und totalitären Staaten und Gesellschaften gewesen. Jazz war immer auch ein Ärgernis für Sitten- und Kulturwächter aller Art, denn jeder spürt nach nur wenigen Takten: Diese Musik besteht aus Freiheit, diese Musik verlangt nach Freiheit.
Es ist deshalb kein Wunder, dass es in der ehemaligen Sowjetunion und vor allem in den sogenannten Brudervölkern, die sich meist nicht ganz so brüderlich behandelt fühlten, eine lebendige Jazzszene gegeben hat und dass daher bis heute viele spannende und innovative Formen des Jazz entstanden sind. Große Künstler und Ensembles sind auch uns im Westen nun nach und nach bekannt geworden: östlicher Jazz, nordischer Jazz und vor allem eben auch baltischer Jazz das sind nicht nur geographische Verortungen, sondern das sind Markenzeichen geworden. Hier in Litauen steht dafür beispielhaft das Ganelin-Trio.
Musik gehört gerade bei Ihnen in Litauen offenbar zur Identität des Landes und zum Stolz auf seine Unabhängigkeit. Für diese Verbindung stehen, wie ich gehört habe, unter anderem Ihr erster Staatspräsident Landsbergis, ein waschechter Pianist, den man vor kurzem zum Geburtstag mit Free-Jazz geehrt hat und auch der Bürgermeister von Klaipeida, Herr Grubliauskas, der auch heute Abend seine Trompete dabei haben soll.
Und dann gibt es da noch den jungen Jazzsaxophonisten Kestitis Vaiginis. Ich freue mich, ihm gleich einen Preis zu überreichen für seine großartigen Leistungen.
Also: Es ist genau richtig, dass wir heute Abend dieses Konzert hier erleben werden. Und das wird sicher ein wunderbares Erlebnis. Eines aber muss ich noch loswerden, sozusagen zum Hauptakteur des Abends, dem Bundesjugendjazzorchester.
Einige werden vielleicht so ein bisschen spöttisch sagen: Das ist mal wieder typisch deutsch, da gibt es eine Musik, die besonders für Freiheit steht, eine Musik durch die die Deutschen die große weite Welt entdeckten, und dann lassen sie dieses scheue freie Pflänzchen nicht einfach wachsen, sondern machen gleich eine nationale Institution daraus, eben das Bundesjugendjazzorchester.
Nein, damit soll der Jazz nicht deutsch sprechen lernen, damit soll auch keine aufrührerische Kadenz politisch eingefriedet werden. Damit soll nur ein Dank ausgedrückt werden, der Dank an eine Musik, die uns immer den Hauch von Freiheit verspüren ließ und die wir deswegen auf höchstem Niveau pflegen wollen und, das ist genauso wichtig: Damit wollen wir den begabten jungen Leuten, die in dieser Weise Musik machen wollen, eine Chance geben. Eine Bigband aus Tradition und Spaß am Neuen.
Ich wünsche Ihnen allen jetzt viel von diesem anspruchsvollen Vergnügen.