Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 15. September 2013
Untertitel: Der Bundespräsident hat am 15. September bei der Matinee aus Anlass des Musikfestes Berlin eine Ansprache gehalten. Darin heißt es: "Man darf Kultur nicht instrumentalisieren. Kunst und Kultur sind, mit Kant zu sprechen, immer Zweck, nie Mittel. Das interesselose Wohlgefallen, das sie hervorrufen, soll uns in der Regel genügen.Aber wir wissen auch: So ganz stimmt das nicht. Große Kunst erzählt immer etwas mit, das außerhalb ihrer selbst liegt. Große Kunst verrät uns immer auch etwas über den Künstler, seine Zeit, seine Herkunft. Begegnung mit großer Kunst erfreut nicht nur, sie belehrt auch, sie macht uns klüger, reifer, lebensweiser. Die Matinee beim Bundespräsidenten, die wir gemeinsam mit den Berliner Festspielen anlässlich des Berliner Musikfestes veranstalten, stellt diese Erkenntnis ganz bewusst in die Mitte."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2013/09/130915-Matinee.html
Ich weiß ja, man soll Kultur nicht instrumentalisieren. Kunst und Kultur sind, wie Kant wusste, immer Zweck und nie Mittel. Das interesselose Wohlgefallen ist es, was sie hervorrufen sollen. Aber wir wissen alle miteinander: So ganz stimmt das nicht. Große Kunst bringt ja immer etwas mit, das außerhalb ihrer selbst liegt. Große Kunst verrät uns immer auch etwas über den Künstler, über seine Zeit und seine Herkunft. Große Kunst erfreut nicht nur, sie belehrt auch, sie macht uns auch klüger, reifer und lebensweiser.
Die Matinee beim Bundespräsidenten, die wir gemeinsam mit den Berliner Festspielen anlässlich des Berliner Musikfestes veranstalten, stellt diese Erkenntnis ganz bewusst in die Mitte. Sie stellt große Kunst vor, das heißt in diesem Fall: große Musik, und sie begleitet diese Kunst mit Gedanken zu einem bestimmten Thema.
So instrumentalisiert diese Matinee Kunst nicht, weder politisch, noch moralisch, aber so entlockt sie der Kunst jeweils einen neuen Aspekt oder sie stellt einen neuen oder interessanten Zusammenhang dar. Der Gedanke, er kann ja das Hören klüger machen, das Hören kann dem Gedanken Sinnlichkeit geben.
Die Zusammenhänge dürften jedem klar vor Augen stehen, wenn Sie nur auf die Namen in Ihrem Programm schauen. Es gibt Musik von Béla Bartók und Antonín Dvořák und dazwischen wird Christoph Stölzl mit Karl Schlögel ein Gespräch führen.
Worüber, meine Herren, spricht man eigentlich zwischen Bartók und Dvořák? Vielleicht darüber, dass die Mitte, wie wir es bei Karl Schlögel lesen können, weiter ostwärts liegt, als es die meisten Europäer vermuten und empfinden dass sie also immer neu zu entdecken ist.
Karl Schlögel, wahrscheinlich einer unserer besten Kenner von Kultur, Geschichte und Geographie Ost- und Mitteleuropas, den will ich hier in Berlin nicht weiter vorstellen. Ich freue mich auf seinen Beitrag. Denn Karl Schlögel hat immer etwas Neues, Überraschendes oder noch nicht Gehörtes zu sagen, das aber, wenn der erste Verblüffungseffekt vorüber ist, sofort plausibel und selbstverständlich erscheint. Das ist ein großer Reiz seines Forschens und Schreibens, und ich glaube, dass er in Christoph Stölzl genau den richtigen Gesprächspartner haben wird. Hauptsache ist aber heute die Musik. Das Musikfest Berlin richtet in diesem Jahr den Blick auf den Osten Europas, stellt Musik aus Ungarn, Tschechien und Polen in den Mittelpunkt. Und so lassen wir heute zwei Werke von zwei ganz Großen aus diesen Gegenden erklingen. Es kennzeichnet beide Komponisten, Béla Bartók wie Antonín Dvořák, dass sie sich ganz klar zu ihrer jeweiligen Heimat bekannt haben, dass sie die Volksmusik schätzten, gründlich studierten und ihr in ihrem jeweiligen Werk Raum gaben. Ich habe mir erzählen lassen, dass Bartók sogar Volkslieder systematisch gesammelt hat und dass Dvořák gerade in seinem späteren Werk seine slawischen Wurzeln auch musikalisch hörbar gemacht hat.
Sie waren beide auf der Suche nach so etwas wie einem nationalen Stil, ohne in diesem bösen und immer wieder Unglück bringenden Sinne national oder sogar nationalistisch verengt zu sein. So konnten sie nicht denken und nicht musizieren.
Man sagt oft, dass Musik eine Weltsprache sei und dass Musik weltweit verstanden würde, also das interkulturelle Medium schlechthin sei. Na ja, wenn ich an Indien denke oder die Musik aus manchen arabischen Kulturkreisen, dann habe ich da so meine Zweifel. Für unsere mitteleuropäischen Ohren stellt sich dann doch, jedenfalls sehr häufig, nicht gleich Verständnis ein, sondern mancher ferne Klang geht uns nicht direkt ein. Das liegt zum Teil an der anderen Tonalität, aber auch daran, dass einige dieser Musiken so hochkomplex sind, dass wir sie erklärt bekommen müssten. Also hängt auch in der Musik vieles von Übung und Gewohnheit ab, auch eben von Herkunft und gewohnter Kultur und natürlich von geschickten Transporteuren.
Nun aber zurück zu Dvořák und Bartók. Es ist ihr großer Verdienst, dass sie es verstanden haben, ihre musikalische Herkunft nicht zu verschleiern, sondern ganz bewusst einzusetzen. Ich bin, wie Sie alle wissen, kein Musiker und will es einfach in meinen Worten ausdrücken: Sie haben das, was sie in ihren Heimaten national geprägt hat, eingebracht in Kompositionen, die in der ganzen Welt auf Zuwendung, Gehör und Liebe gestoßen sind. Sie haben ein internationales Publikum gefunden und wir gehören heute dazu. Wir sind ja, wenn wir sie beide hören, schon in einem Bereich, wo die Musik uns hoch vertraut ist.
So zeigen Dvořák und Bartók, dass Internationalität und weltweite Verständigung keine Leugnung der Prägung aus einer Herkunft sein müssen. Im Gegenteil: Nur wer weiß und aufscheinen lässt, woher er kommt, was ihn prägt und was ihn ausmacht, nur der hat auch etwas zu sagen, nur der hat auch etwas Substantielles beizutragen im Gespräch der Welt.
Nun will ich aber nicht weiter Lehren ziehen, weil dann mein Laientum immer deutlicher hervortreten würde. Vor allen Dingen will ich nicht mehr über Musik reden, weil wir alle ja Musik hören wollen. Und so freuen wir uns nun auf das Bennewitz-Quartett, junge Spitzenmusiker aus Tschechien, die viele musikalische Sprachen beherrschen, von Bach bis zur Moderne. Und sie beginnen mit dem Streichquartett Nummer 3 von Béla Bartók.
Herzlich willkommen!