Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 29. April 2014

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 29. April eine Rede anlässlich der Eröffnung der Türkisch-Deutschen Universität gehalten: "Ich freue mich darüber, wie eng die Beziehungen in Bildung und Wissenschaft zwischen unseren Ländern sind das kommt auch im Deutsch-Türkischen Wissenschaftsjahr zum Ausdruck. Nur gemeinsam können wir uns den zentralen Zukunftsfragen erfolgreich stellen."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/04/140429-Eroeffnung-TDU-Istanbul.html


Wer den Geist der Internationalität und des Aufbruchs auf diesem schönen Campus in Beykoz spürt, der mag an das Wort des türkischen Dichters Nâzım Hikmet denken: "Das schönste Meer ist das noch nicht befahrene." Etwas Neues zu wagen, das ist zwar stets mit Anstrengung verbunden, aber es ist auch in einem ganz positiven Sinne aufregend und beflügelnd.

Mit diesem Festakt eröffnen wir die Türkisch-Deutsche Universität nun auch offiziell. Welch große Bedeutung der heutige Tag für mein Land hat, unterstreicht auch die Anwesenheit der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Johanna Wanka. Die Türkei und die Bundesrepublik schlagen gemeinsam ein neues Kapitel in den Wissenschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern auf: Wir begründen eine Universität im Sinne der Partnerschaft und des Dialogs. Natürlich wurde dieser Schritt sorgfältig vorbereitet: Verhandlungen sind geführt worden, Vereinbarungen getroffen, und schon im vergangenen Herbst haben die ersten Studierenden hier ihr Studium begonnen. Und natürlich fügt sich jeder Anfang in eine längere Geschichte ein.

In der Geschichte der so vielfältigen türkisch-deutschen Verbindungen hat die Wissenschaft oft eine besondere Rolle gespielt. Die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern in der Wissenschaft geht zurück bis in die Zeit des Osmanischen Reiches. In der Bundesrepublik werden wir nicht vergessen, dass viele Deutsche, die vor Unterdrückung und Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime flüchteten, damals Zuflucht in der Türkei fanden. Und manche von ihnen auch eine neue Aufgabe an einer türkischen Universität: etwa der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter. Als Professor für Kommunalpolitik an der Hochschule für Politische Wissenschaften in Ankara trug er ab 1938 dazu bei, die Entwicklung der türkischen Städte voranzutreiben. Viele der nach dem Krieg nach Deutschland Zurückgekehrten blieben der Türkei verbunden, ob sie nun in Wirtschaft oder Wissenschaft, in Kultur oder Politik tätig waren. Und so ist es sehr passend, dass die Ernst-Reuter-Initiative für kulturellen Dialog und Verständigung einen entscheidenden Anstoß zur Gründung dieser Türkisch-Deutschen Universität gegeben hat.

Die türkisch-deutschen Beziehungen sind stetig enger und intensiver geworden. Auch deshalb ist Deutschland heute nach den USA das beliebteste Zielland für türkische Studierende. Umgekehrt ziehen die Hochschulen in der Türkei zahlreiche Studierende aus Deutschland an.

Ich freue mich darüber, wie eng die Beziehungen in Bildung und Wissenschaft zwischen unseren Ländern sind das kommt auch im Deutsch-Türkischen Wissenschaftsjahr zum Ausdruck. Nur gemeinsam können wir uns den zentralen Zukunftsfragen erfolgreich stellen. Dafür ist die Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung entscheidend.

Innerhalb einer Generation haben sich die Möglichkeiten junger Menschen drastisch verbessert, im Ausland zu studieren. Heute können sie international ausgerichtete Studiengänge im eigenen Land, im europäischen Ausland und in anderen Teilen der Welt belegen. Sie können sich über Ländergrenzen hinweg mit anderen jungen Menschen vernetzen. Ich erfuhr, dass die Middle East Technical University, an der ich gestern sprach, mit der Humboldt-Universität zu Berlin einen gemeinsamen sozialwissenschaftlichen Studiengang mit interkulturellem Blickwinkel anbietet: Ein Jahr lang studieren die Teilnehmer in Ankara, ein Jahr lang in Berlin.

Die Türkisch-Deutsche Universität markiert die nächste Etappe auf dem Weg der Internationalisierung: Wie bereits andere Universitäten mit Deutschlandbezug ist sie einerseits ein Instrument der bilateralen Zusammenarbeit. Damit ist die Türkisch-Deutsche Universität schon jetzt ein Beispiel der gelingenden Partnerschaft zwischen unseren Ländern. Sie hat die Chance, durch den Austausch mit deutschen Partnerhochschulen sowie durch exzellente Leistungen in Forschung und Lehre ein "Leuchtturm" der Wissenschaft zu werden. Sie kann durch enge Zusammenarbeit mit türkischen und deutschen Unternehmen auch dazu beitragen, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern noch dynamischer, noch stärker werden.

So kann es der Türkisch-Deutschen Universität gelingen, ein Signal auszusenden: dass Zusammenarbeit alle Partner stärker macht. Diese Universität ist etwas ganz Besonderes, weil sie ein Forum für Dialog und für den Austausch von Wissen und Ideen zwischen der Türkei und Deutschland ist. Sie liegt an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien. Sie ist ein Ort interkultureller Begegnung, der besonders dafür prädestiniert ist, junge Menschen aus der Türkei und aus Deutschland zusammenzuführen. Hier werden sie Verbindungen knüpfen, von denen viele ein Leben lang halten werden und die sie voranbringen werden.

Es ist ein gemeinsames Anliegen unserer beiden Länder, ein Studium an der Türkisch-Deutschen Universität für mehr junge Menschen aus der Türkei, aus Deutschland, aber auch aus anderen Ländern attraktiv zu machen. Und ich wünsche mir, dass diese Universität vielen jungen Türkinnen und Türken die Chance eröffnet, Deutsch zu lernen und vielleicht für einen längeren Aufenthalt nach Deutschland zu kommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass gerade die Mehrsprachigkeit mit dem Türkischen, Deutschen und auch dem Englischen zu einer großen Stärke dieser Universität werden kann.

Ich wünsche der Türkisch-Deutschen Universität: Möge sie ein Ort der Exzellenz werden und ein Ort der Begegnung. Und ich danke allen, die daran mitgearbeitet haben, dass wir diese großartige Einrichtung heute offiziell eröffnen können den türkischen Partnern ebenso wie den Mitgliedern des deutschen Konsortiums.

Sie, die Studierenden des ersten Jahrgangs, die Dozentinnen und Dozenten und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Türkisch-Deutschen Universität, stehen am Anfang des Weges. Dieser Weg wird möglicherweise nicht immer geradlinig sein. Er folgt einem Plan, aber wann und wie weitere Entwicklungsschritte erfolgen, ist heute teilweise noch ungewiss. Ihnen, den Studierenden wie den Lehrenden, wünsche ich, dass Sie mit Phantasie und Entschlossenheit an den kommenden Entwicklungen mitwirken können. Dafür wünsche ich Ihnen Mut, Gelassenheit und viel Freude am Lernen und Lehren.