Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 6. März 2014

Untertitel: Der Bundespräsident hat am 6. März beim Staatsbankett gegeben vom Präsidenten der Hellenischen Republik eine Rede gehalten: "Deutschland unterstützt Griechenland bei den Strukturreformen und bei der wirtschaftlichen Neuorientierung aus Freundschaft, aber auch, weil wir fest an die Zukunft Griechenlands und an unsere gemeinsame Zukunft glauben. Die griechische Wirtschaft hat gute Chancen, in traditionellen und neuen Feldern ihre Stärken zu entfalten."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/03/140306-Staatsbankett-Athen.html


Zuallererst: Haben Sie Dank für den herzlichen Empfang, den Sie Frau Schadt und mir und meiner Delegation bereitet haben! Die griechisch-deutschen Beziehungen sind reicher als jede Statistik. Das war der schönste Satz, den ich in Vorbereitung meiner Reise gehört habe. Und er hat sich als wahr erwiesen. Seit meiner Ankunft ist dieser Reichtum, den man nicht in Zahlen messen kann, für mich sichtbar, greifbar, fühlbar geworden. Die Freundschaft unserer Länder bedeutet mir viel gerade in schwierigen Zeiten, wie wir sie seit Beginn der Schuldenkrise 2010 erleben. Im Akropolis-Museum habe ich am Nachmittag darüber gesprochen, was uns in der großen Gemeinschaft der 28 zusammenhält. Heute Abend möchte ich unsere bilaterale Verbundenheit in den Mittelpunkt rücken.

Wo anfangen: bei Otto, dem Bayern, oder Otto, dem Rehakles? Beim ersten Goethe-Institut, das Deutschland in der Welt nämlich hier in Athen eröffnet hat? Oder bei den rund 300.000 Griechinnen und Griechen, die dauerhaft zwischen Hamburg und München heimisch geworden sind? Vom deutschen Wirtschaftswunder, das Einwanderer aus Griechenland einst mit erarbeitet haben, bis hin zu den griechischen Erfolgsgeschichten und Persönlichkeiten, die heute Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft in Deutschland prägen: Es gibt ein gewachsenes Miteinander, eine deutsch-griechische Selbstverständlichkeit, die ich sehr kostbar finde. Dieses Miteinander zu pflegen und weiterzuentwickeln, dazu will ich mit meinem Besuch gerne beitragen.

An gemeinsamen Themen mangelt es ja nun keineswegs. Im Mittelpunkt steht weiterhin die dauerhafte Stabilisierung unserer gemeinsamen Währung und der eng verflochtenen Volkswirtschaften Europas. Erste Anzeichen, dass wir dabei vorankommen, sollten uns zuversichtlich stimmen. Es gab jedoch auch Situationen, in denen genau diese politischen Herausforderungen unsere Länder zu entfremden drohten. Ich denke an Vorurteile oder Fehlurteile auf beiden Seiten, die durch die Meinungs- und Pressefreiheit vielleicht gedeckt waren, aber weniger durch die Regeln von Anstand und gegenseitigem Respekt, die wir bei befreundeten Völkern eigentlich voraussetzen. Der Frust verstellte oft den Blick auf die Fakten, vor allem auf die Tatsache: Diese Krise ist keine deutsch-griechische Krise, und ihre Ursachen liegen nicht im Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland begründet.

Verehrter Herr Staatspräsident,

Sie haben eben in Ihrer Rede Fragen zur Vergangenheit angesprochen. Ich verstehe, was Sie und was die griechische Gesellschaft bewegt. Davon will ich in Deutschland berichten. Und ich will Ihnen versichern: Deutschland weiß um seine Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg und die begangenen Grausamkeiten. In langen Nachkriegsjahren haben wir Deutsche Schritt für Schritt die Fakten der blutigen NS-Zeit anerkannt und haben zu fundamentaler Selbstkritik gefunden. Wir konnten Schuld Schuld nennen und unterschiedliche Formen von Wiedergutmachung ins Werk setzen.

Aber: Was Griechenland betrifft, sind die Untaten des NS-Regimes in Deutschland weitgehend unbekannt und leider auch ungesühnt geblieben. Heute schmerzt es mich, dass wir bislang so wenig Empathie für die Leiden der griechischen Bevölkerung aufgebracht haben. Gerade deshalb bin ich jenen Menschen dankbar, die zum Teil seit vielen Jahren die vergessenen Untaten ins öffentliche Bewusstsein heben. Und ich bin froh, dass wir uns heute in Deutschland noch einmal danach fragen, was aus unserer politischen und moralischen Verantwortung gegenüber Griechenland resultiert.

Schon für dieses Jahr ist die Gründung eines deutsch-griechischen Zukunftsfonds geplant. Er soll Mittel bereitstellen für eine Aufarbeitung der gemeinsamen Vergangenheit wissenschaftlich, aber auch gesellschaftlich. Ich kann mir vorstellen, dass Zeitzeugenprojekte gefördert werden, die Erforschung des griechischen Widerstands, auch das Wirken der wenigen Deutschen, die auf Seiten der Griechen gegen die Nazi-Diktatur gekämpft haben. Es sollen auch Mittel bereitgestellt werden zur Unterstützung des jüdischen Lebens in Thessaloniki.

Wirkliche Wiedergutmachung das wissen wir die kann es eigentlich nicht geben. Aber wir haben schon erfahren, dass Interesse, Respekt, Mitgefühl und Solidarität Einzelnen den Weg zur Versöhnung erleichtert und Völker einander angenähert hat.

Wenn wir unsere Augen und unsere Seele nicht vor der belastenden Vergangenheit verschließen, können wir umso klarer und kraftvoller unsere europäische Gegenwart und Zukunft meistern.

Ich wünsche den Griechinnen und Griechen jetzt die Kraft, den Reformweg weiter zu gehen.

Und ich bin allen dankbar, die in der Krise immer wieder zur Besonnenheit aufgerufen haben. Besonders Ihnen, lieber Herr Staatspräsident.

Viele Partner auf der nationalen wie internationalen Bühne schätzen Ihre ausgleichende Art. Als Sie 2005 zum Präsidenten gewählt wurden, haben Sie "Ehrlichkeit, politische Reife, Maß und Einsicht" als leitende Tugenden bezeichnet. Das bleibt aktuell. Genau diese Tugenden schaffen die Voraussetzungen dafür, dass sich die Lage der griechischen Volkswirtschaft und der Bevölkerung spürbar verbessern kann. Was Millionen Menschen derzeit in Griechenland erleben, kann niemanden unberührt lassen. Die Griechinnen und Griechen haben in den zurückliegenden Jahren viel auf sich nehmen müssen und persönliche Opfer gebracht, um ihrer Heimat und sich selbst eine Perspektive zu schaffen. Seien Sie versichert: Das wird wahrgenommen in Deutschland, und es wird in hohem Maße anerkannt!

Woher lässt sich diese Kraft nehmen? Eine erste Antwort lautet: aus der tiefen Überzeugung, das Richtige zu tun. Herr Ministerpräsident Samaras hat in einer viel beachteten Rede kürzlich beschrieben, wie stark Europa in einer Tradition der Reformen steht. Nur durch mutige Reformen schon seit der Antike sind kleine Dörfer zu wohlhabenden Stadtstaaten, zu Königreichen und zu Republiken aufgestiegen. Ich kann ihm nur beipflichten. Erneuerung ist kein Schicksal, auch kein Geschenk. Sie gelingt dort, wo sich Entschlossene zusammentun. Und sie gelingt in einer solidarischen Gesellschaft, in der alle Gruppen die Verantwortung mittragen und keine Gruppe der anderen einen übergroßen Teil der Lasten zumutet. So kann dann aus Reformen soziale Gerechtigkeit erwachsen.

Erlauben Sie mir, dass ich eine zweite Kraftquelle ergänze das ist die Solidarität der Europäer.

Über den Zusammenhalt in der Europäischen Union haben wir heute schon gesprochen. Auch die bilaterale Solidarität möchte ich hier noch einmal bekräftigen: Deutschland unterstützt Griechenland bei den Strukturreformen und bei der wirtschaftlichen Neuorientierung aus Freundschaft, aber auch, weil wir fest an die Zukunft Griechenlands und an unsere gemeinsame Zukunft glauben. Die griechische Wirtschaft hat gute Chancen, in traditionellen und neuen Feldern ihre Stärken zu entfalten. Morgen werde ich mit Unternehmern und Gründern darüber sprechen, welche Hindernisse sie noch sehen, aber vor allem: welche Perspektiven.

Zahlreiche Kooperationen sind bereits angelaufen und sollen verstetigt werden. Im Rahmen der Deutsch-Griechischen Partnerschaft werden bilaterale Forschungsprogramme finanziert. Und deutsche Experten arbeiten gemeinsam mit griechischen Fachleuten an den Reformen im Gesundheitsbereich bekanntlich ein hochkomplexes, mit divergierenden Interessen aufgeladenes Thema. Da sind Geduld und Tatkraft gefragt.

Was mir persönlich besonders am Herzen liegt, ist die Kooperation der Kommunen und der Regionen. Denn genau auf dieser Ebene wächst eine starke Zivilgesellschaft. Mehr noch: Wo selbstbewusste Bürger für ihre Interessen einstehen, wo öffentliche Verwaltung dieses Engagement fördert und nicht lähmt, da öffnen sich Räume für Kommunikation, Transparenz, Effektivität. Deshalb bin ich vom bürgernahen Ansatz der Deutsch-Griechischen Versammlung sehr angetan. In den vergangenen Jahren ist ein Netzwerk von vielen hundert Menschen in Dörfern und Städten aller Landesteile geknüpft worden. Etwas, das die Griechen seit jeher auszeichnet, die unermüdliche Hilfsbereitschaft, beflügelt inzwischen immer mehr kommunale Projekte: Man spricht miteinander, man probiert Neues aus, man findet gemeinsam Lösungen schon bei einer Fülle von Themen, von der kommunalen Verwaltung über Energiewirtschaft und Katastrophenschutz bis hin zur Jugendarbeit.

Auch wenn ich nun die Jugend erst am Schluss meiner Rede erwähne, sie gehört für mich ganz oben auf die europäische Agenda. Ich werde mich noch mit Jugendlichen einer Berufsschule treffen, an der mit deutscher Hilfe das Konzept der dualen Ausbildung erprobt werden soll. Dieses Land hat so viele talentierte, hoch motivierte junge Menschen! Wir dürfen nicht zulassen, dass sie ihrer Perspektiven beraubt werden.

Und ein weiteres Vorhaben will ich nach Kräften unterstützen: den Aufbau des Deutsch-Griechischen Jugendwerkes. Ich habe mich sehr gefreut zu hören, dass dieses Projekt sich so gut entwickelt. Wenn ich an die wunderbaren Begegnungen denke, die schon das Deutsch-Französische und das Deutsch-Polnische Jugendwerk ermöglicht haben, dann bin ich sicher: Die jungen Griechen und Deutschen werden deutlich zu einer vertieften Verständigung zwischen unseren Nationen beitragen.

Sie merken, manche Neuerungen hätte ich lieber schon heute als morgen. Natürlich ist mir bewusst: Veränderungen brauchen Zeit. Daran kann auch das leidenschaftlichste Plädoyer nichts ändern. Was wir jedoch anpassen können, ist unsere Einstellung zu solchen Prozessen. Lassen Sie uns alles dafür tun, dass nicht die Zweifler und Verzagten, nicht die Populisten das letzte Wort haben.

Einer der größten Reichtümer im Leben ist die Zuversicht. Lassen Sie uns genau darauf das Glas erheben und anstoßen auf die deutsch-griechische Freundschaft, auf eine gute Entwicklung unserer gegenseitigen Beziehungen und auf die Gesundheit von Staatspräsident Papoulias und Frau Papoulia!