Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 25. September 2014

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 25. September bei einem Mittagessen, gegeben vom kanadischen Senatspräsidenten, eine Rede gehalten. Zum Abkommen CETA sagte er: "Transparenz, Information und Aufklärung sind unverzichtbare Voraussetzungen für Vertrauen. Nur dann kann das, was Kanada und die Europäische Union miteinander vereinbaren wollen, in unseren Demokratien Bestand haben, nur dann wird es von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen und mit Leben erfüllt."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/09/140925-Kanada-Mittagessen.html


Deutschland trifft Kanada, und Wirtschaft trifft Politik. Wahrhaft eine gelungene Kombination! Da gibt es vieles, was mich interessiert. Drei Punkte würde ich gern herausgreifen und in aller Kürze umreißen, in der Hoffnung, dazu später näher mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.

Ganz oben auf meiner Liste steht der Föderalismus. Deutschland und Kanada ähneln sich in diesem Punkt, allerdings mit dem bemerkenswerten Unterschied, dass in Ihrem Land ein einziger Wahlkreis größer sein kann als die Bundesrepublik in Gänze. Wie gelingt es Ihnen trotzdem, im Mehr-Ebenen-System zu guten und effizienten politischen Entscheidungen zu kommen? Wie lassen Sie die Bürgerinnen und Bürger an diesem Prozess teilhaben? Ihre Erfahrungen dazu würden mich sehr interessieren.

An zweiter Stelle steht für mich ein ganz aktuelles Thema: Wenige Kilometer von hier tagen morgen die Spitzen Kanadas und der Europäischen Union, um das strategische Partnerschaftsabkommen zu würdigen und die Verhandlungen zum Wirtschafts- und Handelsabkommen CETA feierlich zu beschließen.

Die Bemühungen um so weitreichende Verträge kommen bekanntlich nicht von ungefähr. Dass die Wirtschaftswelt mit fortschreitender Globalisierung immer komplexer wird, erleben viele von Ihnen in Ihrer täglichen Arbeit. Umso wichtiger ist es, dass wir diese Entwicklung verstehen, um das Wünschenswerte vom Gefährlichen unterscheiden zu können. Es geht darum, dass wir unseren Wohlstand auf kluge Weise mehren, und zwar mit Hilfe gemeinsamer, für beide Seiten verbindlicher Maßstäbe. Gemeinsam haben wir die Chance, für eine faire, soziale Marktwirtschaft einzutreten, die Regeln kennt und Regeln achtet. Gerade wenn große demokratische Räume wie Kanada und die Europäische Union sich füreinander öffnen, entstehen konkrete Möglichkeiten, den Globalisierungsprozess mitzugestalten im gemeinsamen Interesse an einer freien Welthandels- und Wirtschaftsordnung.

Die immer intensivere internationale Zusammenarbeit in Industrie, Wissenschaft und Forschung erfordert belastbare Verabredungen: Denken wir etwa an Fragen des Wettbewerbs und der Marktordnung, der Industrienormen und der Produktionssicherheit, des Verbraucherschutzes oder der Arbeitnehmerrechte. Deshalb begrüße ich die Anstrengungen Kanadas und der Europäischen Union, ein umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen abzuschließen. Es kann die Voraussetzungen dafür schaffen, unsere Wirtschaftsbeziehungen auf ein neues Fundament zu stellen und Wohlstand und Beschäftigung auf beiden Seiten des Atlantiks zu mehren.

Freiheit braucht einen Rahmen. Darin liegt die große gemeinsame Aufgabe und wenn Sie mich fragen auch eine Verpflichtung, der sich Kanada und Deutschland als führende Wirtschaftsnationen stellen müssen.

Das Abkommen CETA kann unseren Beziehungen eine neue Qualität geben. Die Prüfung des Vertragswerks liegt jetzt bei den Gesetzgebern in den Parlamenten, also auch bei unseren heutigen Gastgebern, verehrte Abgeordnete des Kanadischen Parlaments und des Senats. Den Ergebnissen Ihrer Beratungen können und wollen wir nicht vorgreifen. Aber wir wissen: Transparenz, Information und Aufklärung sind unverzichtbare Voraussetzungen für Vertrauen. Nur dann kann das, was Kanada und die Europäische Union miteinander vereinbaren wollen, in unseren Demokratien Bestand haben, nur dann wird es von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen und mit Leben erfüllt. Das setzt einen offenen Diskurs voraus, in dem die Bürgerinnen und Bürger Antworten finden auf ihre Sorgen, etwa wenn sie danach fragen, was CETA für die Verbraucher- , Sozial- und Umweltrechte bedeutet.

In den Jahren meiner politischen Tätigkeit habe ich immer nach dem Leitsatz gelebt: Diskussion ist nicht das Problem, sie ist Teil der Lösung. Das gilt für die Handelspolitik genauso wie für mein drittes Thema heute, die Energiepolitik. Sie wird in Deutschland ähnlich wie hier in Kanada mitunter kontrovers diskutiert. Viele Fragen sind dabei zu berücksichtigen: nach Umweltschutz und Kosten, auch nach der Versorgungssicherheit. Es geht um die Wünsche der Wählerinnen und Wähler von heute und um unsere gemeinsame Verantwortung für die Generation von morgen.

Wenn meine Reise Anstöße geben kann, diesen Diskurs über den Atlantik hinweg zu beleben, dann hätte sie eines ihrer Ziele schon erfüllt. Ich wünsche uns, dass wir nicht nur den Austausch von Waren und Gütern, sondern auch von Ideen und Konzepten beflügeln. Gut, dass wir heute weitere Stimmen von kanadischer und deutscher Seite hören, insbesondere zu Zukunftsprojekten.

Bitte erheben Sie mit mir das Glas auf unsere Partnerschaft, auf die Tatkraft unserer Experten, auf die großen Potentiale unserer Völker und damit auf eine Verbindung, in der auch komplexe Fragen ihren Raum finden und am Ende eine Lösung!