Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 3. November 2014

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 3. November beim Staatsbankett in Luxemburg eine Ansprache gehalten. Zur Bedeutung von Europa sagte er: "Sicher ist aber, dass Sie aus luxemburgischer Perspektive genau erkennen, was auf dem Spiel steht, wenn Europa nicht funktioniert. Große Länder können sich immer einbilden, wenn auch letztlich zum eigenen Schaden, sie könnten es alleine, sie bräuchten möglicherweise keine Partner. Luxemburg ist durch seine Größe klüger."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/11/141103-Luxemburg-Empfang.html


Mit der Einladung ins Rathaus von Luxemburg haben Sie Daniela Schadt, meiner Delegation und mir eine große Freude bereitet. Bei Auslandsreisen eröffnet sich uns die Chance, in kürzester Zeit sehr viele Facetten eines Landes kennenzulernen: von der weltpolitischen Perspektive bis hin zum kommunalen Leben. Als ich erfuhr, dass ich Sie treffen würde, verehrte Frau Bürgermeisterin, da wusste ich: Hier wird das alles sogar an einem Ort gelingen. Als ehemalige Außenministerin Ihres Landes kennen Sie das internationale Parkett, und als Bürgermeisterin wissen Sie, was notwendig ist, um hier in Luxemburg Entscheidungen zu treffen, die für das tagtägliche Zusammenleben der Menschen in dieser vielschichtigen Stadt wichtig sind. Sie sind eine Weltbürgerin, aber auch fest in Ihrer Heimat verwurzelt, also ganz luxemburgisch im besten Sinne des Wortes.

Hier bei Ihnen, so nehme ich an, endet Kommunalpolitik nicht an den Stadtgrenzen, sie kann ja gar nicht an der Stadtgrenze enden. Dazu trägt sicher die geografische Lage mit gleich drei europäischen Nachbarn bei und auch die Rolle Luxemburgs als Heimat zahlreicher europäischer Einrichtungen. Aber ausschlaggebend ist wohl die Haltung, die man sich in einem solchen Umfeld leichter als anderswo erarbeiten kann. Wer schon im eigenen Wohnviertel mehrere Kulturen erlebt und mehrsprachig aufwächst, der tut sich oftmals leichter mit Fragen der Einwanderung und der Integration, auch des politischen Asyls. Der ist leichter ansprechbar, wenn es darum geht, die Welt als "Eine Welt", als unsere Welt zu begreifen. Leider ist es in Europa vielerorts immer noch so, gelegentlich auch in Deutschland, dass Vorbehalte gegenüber den "Anderen" wer immer damit gemeint ist besonders dort verbreitet sind, wo es wenig Vielfalt gibt. Dort gibt es im Alltag also zu wenig Übungsmöglichkeiten, um Berührungsängste abzubauen und Konflikte friedlich auszutragen. Toleranz ist dem Menschen nicht in die Wiege gelegt. Sie muss erlernt, sie muss errungen werden. Vor allem: Sie kann erlernt, sie kann errungen werden. Ich glaube, Luxemburg ist ein guter Ort, um sich das vor Augen zu führen.

Mir ist natürlich bewusst, dass es sogar hier in Ihrer weltoffenen Stadt gelegentlich Interessenunterschiede und Spannungen gibt. Deshalb freut es mich, bei meinem Besuch zu erfahren, wie Sie damit umgehen und welche Herangehensweisen sich bewährt haben.

Interessant ist für mich auch die Frage, wie sich unsere bilateralen Beziehungen in einer Stadt auswirken, die so viele Partner kennt. Wo gelingt unsere Zusammenarbeit schon gut, wo würden sich die Luxemburger vielleicht mehr oder neue Formen der Kooperation mit der Bundesrepublik wünschen? Nicht zuletzt: Was könnte Deutschland von Luxemburg lernen?

Voneinander zu lernen, das ist ja eines unserer Ziele in Europa. Auch deshalb haben wir uns erst in der Europäischen Gemeinschaft, dann in der Europäischen Union zusammengeschlossen. Unser Europa, das Europa der Freiheit und der Freizügigkeit, der Demokratie und der Menschenrechte, der Solidarität und der Subsidiarität das ist etwas, das wir gemeinsam bewahren und beschützen müssen."Wir wollen bleiben, was wir sind", so lautet Ihr Wahlspruch hier in Luxemburg. Wer das sagt, der hat das, was er ist und hat, zutiefst schätzen gelernt. Der weiß um seine Identität und um seine Herkunft und der weiß, dass es eine gute Zukunft nur gibt, wenn das Gute bewahrt und in die Zukunft mitgenommen wird.

Insofern wollen wir auch in Europa bleiben, was wir sind, nicht zuletzt weil wir wissen, was es uns gekostet hat und mit welch großen Anstrengungen wir es aufgebaut haben. Wir wissen aber auch, dass wir die Zukunft ständig neu gestalten und auf aktuelle Herausforderungen entschlossen reagieren müssen.

Abschließend möchte ich aber nicht versäumen, was mir bei meinem Besuch in Luxemburg am wichtigsten erscheint: Ich weiß, wie kostbar die gewachsene Freundschaft unserer Länder ist, wie kostbar das selbstbewusste Miteinander der Nationen in Europa und das aus Erfahrung gewonnene Weltbürgertum sind. Das, was hier im Rathaus "Akademische Stunde" heißt, ist für mich deshalb vor allem eines: eine Stunde der Dankbarkeit und der Begegnung.