Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 27. April 2015

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 27. April beim Staatsbankett, gegeben von Präsident Beji Caid Essebsi, eine Ansprache gehalten: "Gut vier Jahre ist es jetzt her, dass Tunesien mit dem Arabischen Frühling der Welt gezeigt hat: Wir wollen Veränderung. Wir bringen enorme Kraft dafür auf. Vor allem: Wir wollen es friedlich schaffen. Sie haben seither eine beeindruckende Wegstrecke hinter sich gebracht in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, haben zwei Wahlen absolviert und eine Verfassung verabschiedet."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2015/04/150427-Tunesien-Staatsbankett.html


Kaum acht Stunden bin ich jetzt in Ihrem schönen Land und habe doch längst das Gefühl, hier von Herzen willkommen zu sein. Danke für die herzliche Begrüßung, die Sie Daniela Schadt, meiner Delegation und mir haben zu Teil werden lassen. Wir freuen uns, dass wir in Tunis sind. Wir kommen zu Freunden, und wir haben Freude daran!

Ihre Einladung, Herr Präsident, bedeutet mir viel. Gut vier Jahre ist es jetzt her, dass Tunesien mit dem Arabischen Frühling der Welt gezeigt hat: Wir wollen Veränderung. Wir bringen enorme Kraft dafür auf. Vor allem: Wir wollen es friedlich schaffen.

Sie haben seither eine beeindruckende Wegstrecke hinter sich gebracht in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, haben zwei Wahlen absolviert und eine Verfassung verabschiedet. Und Sie haben Stärke bewiesen. Ich denke daran, als Terroristen vor wenigen Wochen, am 18. März, Ihr Land mit einem feigen Anschlag verunsichern wollten.

Das Datum 18. März hat in Deutschland eine ganz besondere Bedeutung. In meiner Heimat steht dieser Tag für eine lange Freiheitstradition, die bis ins Jahr 1793 zurückreicht, als der Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent einen kleinen Landstrich in Deutschland zum freien und unabhängigen Staat erklärte.

Das war ein Novum auf deutschen Boden! Der 18. März 1848 wurde später zu einem bedeutsamen Datum der Revolution für Freiheit und Demokratie in Deutschland. Und für viele Ostdeutsche wie auch für mich persönlich wurde der 18. März 1990 ein ganz besonderes Datum. Da fand nämlich die erste freie Volkskammerwahl in der Deutschen Demokratischen Republik statt, in dem Teil Deutschlands, in dem ich damals lebte. Es war die erste freie Wahl meines Lebens ich war 50 Jahre alt. Bald darauf gelang die Einheit Deutschlands.

Bei dankbaren Rückblicken auf den 18. März werde ich von nun an auch an die entschlossenen Tunesierinnen und Tunesier denken, die 2015 an genau diesem Tag gesagt haben: Wir lassen uns von den Fanatikern die Freiheit nicht nehmen! Dieser Haltung zolle ich großen Respekt, und ich weiß, dass meine Landsleute es auch tun.

Auf unterschiedlichsten Ebenen ist zu spüren: Die tunesisch-deutschen Beziehungen sind enger und intensiver als je zuvor. Die hohe Zahl der gegenseitigen Besuche ist seit 2011 eindrücklich gestiegen. Unsere Regierungen, Parlamente, auch unsere Zivilgesellschaften haben sich wechselseitig neu entdeckt und einander viel Verständnis, Wertschätzung und Sympathie entgegen gebracht Partnerschaften, ja Freundschaften, sind entstanden.

Eine dieser neuen Brücken hat einen besonders treffenden Namen: Transformationspartnerschaft. Allein in diesem Rahmen wurden seit 2012 über 150 Projekte durchgeführt in Bereichen wie Berufsbildung und Beschäftigung, Demokratie und Menschenrechte, Förderung der Zivilgesellschaft, in der Medienarbeit genauso wie in der Bildungsarbeit und im Hochschulsektor. Ich freue mich sehr, Ihnen ausrichten zu können: Die Bundesregierung hat die Mittel bis 2017 bereitgestellt, um diese Transformationspartnerschaft fortzusetzen.

Daneben soll es weiterhin die klassische Entwicklungs-zusammenarbeit geben. Ihr jährliches Volumen hat sich seit der Revolution vervierfacht aus gutem Grund, wie Sie wissen. Jede Infrastruktur, die in Tunesien aufgebaut wird, ist auch eine Investition in die demokratische Entwicklung. Die Lebensqualität der Bevölkerung bemisst sich ja nicht allein in Freiheit, sondern auch in so wichtigen Kategorien wie Sicherheit, Versorgung und Prosperität. Keine Frage: Tunesien braucht jetzt ganz gezielte wirtschaftliche Investitionen. Die Pläne Ihrer Regierung, Tunesien besser in die Weltwirtschaft zu integrieren und die Wertschöpfung im Land zu steigern, kann ich nur unterstützen.

Es liegt mir sehr daran, diesen Prozess von deutscher Seite zu befördern. Das wird eines der Hauptthemen meiner Reise sein. Dem will ich nicht vorgreifen. Wichtig ist mir jedoch, schon heute zu sagen: Es geht dabei nicht um Almosen oder paternalistische Konzepte. Es geht darum, die Stärken Tunesiens zu erkennen und für wirtschaftliche Kooperationen nutzbar zu machen. Ihr Land bietet für Investitionen einen fruchtbaren Boden. Denken wir etwa an die Landwirtschaft, künftig vielleicht im besonders hochwertigen Bio-Segment. Oder denken wir an die Möglichkeit, Tunesiens Sonne zu nutzen und zwar nicht nur für Touristen aus aller Welt, für die sie hier scheint, sondern auch für die Photovoltaikbranche.

Tunesien hat längst noch nicht alle seine Trümpfe ausgespielt. Zu den größten gehört zweifellos das Bildungs- und Hochschulsystem, bekanntlich offen für beide Geschlechter, was im arabischen Raum nicht selbstverständlich ist. Davon kann die industrielle Basis profitieren. Gerade die qualifizierten Arbeitskräfte machen Tunesien attraktiv für in- und ausländische Investitionen in Branchen wie Textil, Autozubehör oder Elektronik. Die deutsche Wirtschaft hat das früh erkannt und ist seit Jahrzehnten in Tunesien präsent zum Vorteil beider Staaten. Es ist kein Zufall, dass während der nicht immer einfachen Umbruchphase der vergangenen Jahre kein einziges größeres deutsches Unternehmen Tunesien den Rücken gekehrt hat. Die Fakten sprechen für sich. Rund 250 deutsche Unternehmen beschäftigen hier mehr als 55.000 Menschen. Die deutsche Wirtschaft setzt also großes Vertrauen in Tunesien.

Über Vertrauen und das gerade in Zeiten der Transformation werde ich morgen bei der Konferenz der Bertelsmann-Stiftung noch ausführlicher sprechen. Dann wird Zeit sein, der Vielschichtigkeit dieses Themas nachzugehen und über tunesische wie deutsche Erfahrungen ins Gespräch zu kommen. Zeit auch, um sich über Ideen für neue Projekte auszutauschen.

Auf diese erfreuliche Perspektive möchte ich nun gern mit Ihnen das Glas erheben: auf unsere gemeinsamen Werte und Vorhaben, auf Präsident Essebsi, seine Frau und die guten Beziehungen zwischen unseren Ländern! Es lebe die deutsch-tunesische Freundschaft!