Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 30. Mai 2015

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 30. Mai bei der Preisverleihung zum 50. Bundeswettbewerb "Jugend forscht" eine Rede gehalten: "So kam ein bis dahin einzigartiger Versuchsaufbau zustande: Unternehmen, ehrenamtlich Engagierte und öffentliche Hand in einem Bildungsvorhaben vereint. Spitzenförderung, die zugleich Breitenwirkung erzielen konnte."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2015/05/150530-Jugend-forscht.html


Dies ist ein Versuch."So stand es im ersten Wettbewerbsaufruf" Jugend forscht " im Dezember 1965. Heute wissen wir: Dieser Versuch ist gelungen. Und nicht nur einmal. Ganze fünfzig Mal ist er gelungen! Wir feiern hier also eine Bundespreisverleihung, und wir feiern gleichzeitig ein stolzes Jubiläum. Herzlichen Glückwunsch allen, die dazu beigetragen haben!

Wer wüsste besser als Sie, liebe Gäste: Ein guter Versuch ist meist mehr als ein glücklicher Zufall. Das beginnt schon beim Faktor Zeit, beim richtigen Zeitpunkt. Der war bei "Jugend forscht" klug gewählt. Nur wenige Jahre nach dem sogenannten Sputnik-Schock von 1957 die Älteren wissen noch genau, was ich meine, die Jüngeren können es im Internet nachlesen, jedenfalls damals noch unter dem Eindruck der viel beklagten "Bildungskatastrophe" war es Henri Nannen, der langjährige Chefredakteur und Herausgeber des Magazins "stern", der überzeugt war: Es reicht eben nicht, Missstände einfach nur zu benennen. Es geht auch darum, die Dinge zum Besseren zu wenden durch eigene Aktion. Deshalb rief er "Jugend forscht" ins Leben.

Viele andere folgten ihm bei diesem Experiment. Sie wurden zu Geldgebern, Mentoren oder Jurymitgliedern. Sie unterstützten den Wettbewerb politisch, publizistisch oder ideell. So kam ein bis dahin einzigartiger Versuchsaufbau zustande: Unternehmen, ehrenamtlich Engagierte und öffentliche Hand in einem Bildungsvorhaben vereint. Spitzenförderung, die zugleich Breitenwirkung erzielen konnte. Vor allem: "Jugend forscht" wurde zu einem Leistungswettbewerb, der bis heute Spaß und Freude an der Sache nicht nur erlaubt, sondern sogar schafft und steigert in meinen Augen eine der besten Bildungs-innovationen, die unser Land hervorgebracht hat.

Der wichtigste Bestandteil dieses Versuchsaufbaus sind Sie, liebe Jungforscherinnen und -forscher, oder Jufos, wie Sie so schön genannt werden. Denn Sie sind der lebende Beweis dafür, wie leistungsbereit, wie kreativ und wie produktiv junge Menschen sein können. Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas verraten, das Sie möglicherweise nicht wissen. Es gibt eine Menge Menschen meiner Altersgehorte, die denken, wenn sie einmal abtreten von der Bühne, dann geht alles so langsam zu Ende. Das ist nicht erst in diesen Jahren so, das ist eigentlich seit der Zeit der alten Griechen so. Große Philosophen haben schon diese Klage im Munde geführt, und wenn ich Sie heute treffe, liebe Jufos, dann weiß ich: Ich kann beruhigt auf mein Rentenalter zugehen, weil Sie dann da sind. Sie entwickeln Aufklärungsroboter, forschen nach neuen Möglichkeiten für Energiegewinnung oder sind im Umweltschutz unterwegs. Sie bringen Ergebnisse auf den Labortisch oder zu Papier, vor denen ausgewiesene Experten den Hut ziehen.

Allerdings gilt auch dies: Sie schaffen all das, weil Sie in Ihrem Umfeld die nötige Anregung und Unterstützung finden. Weil es eben diese Lehrerinnen und Lehrer, diese inspirierenden Menschen gibt, die Ihnen Mut machen. Weil Ihre Schulen mehr sein wollen als bloße Kopieranstalten für schon bekanntes Wissen. Und weil Sie Ansprechpartner finden für offene Fragen. Weil Sie Raum finden für neugieriges Ausprobieren, aber auch, und das gehört unbedingt dazu, für Scheitern und Neubeginn. Denn das ist doch eigentlich einer der bedeutenden Unterschiede zwischen Auswendiglernen und Forschen: Beim Forschen lassen wir uns immer auch auf ein Risiko ein. Es kann ja auch einmal Nichts herauskommen, oder es kommt etwas völlig Unerwartetes zutage. Das macht die Sache so aufregend. Eben weil das so ist, brauchen wir Freiräume, und an diesen Freiräumen fehlt es im traditionellen Unterricht doch sehr oft. Deshalb ist es so wichtig, dass engagierte Menschen für die Extras von "Jugend forscht" immer wieder Zeit und Raum schaffen: Wir hätten diese Ergebnisse nicht, und wir hätten diese fünfzig Jahre nicht ohne die engagierten Menschen, die im Hintergrund stehen. Ihnen will ich ausdrücklich danken!

Ich komme aus Berlin und dort steht oft in den Zeitungen, wie problematisch es an den Schulen ist, wie viel Unterricht ausfällt, wie unzufrieden dann die Eltern sind. Bei den Schülern weiß ich es nicht so genau. Jedenfalls stelle ich mir dann vor, wie das ist, wenn Lehrerinnen und Lehrer, Direktorinnen und Direktoren den zusätzlichen Aufwand betreiben, die Energie aufbringen und diese Zeiträume, diese offenen Häuser für Gedanken und Begegnungen, für Projekte schaffen. All das ist nicht selbstverständlich und gerade deshalb ist es unverzichtbar, um "Jugend forscht" jedes Jahr wieder zum Erfolg zu führen.

Ähnliches sehen wir auch bei anderen Wettbewerben wie "Jugend debattiert" oder beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. Allen Verantwortlichen, die sich mit großem Einsatz solchen Formaten an der Schnittstelle zwischen schulischer und außerschulischer Bildung widmen, gilt mein großer Respekt!

An einem Tag wie heute möchte ich auch gerne alle diejenigen ermutigen, die schon bei den Allerjüngsten die Lust am Experimentieren wecken. Wie wichtig frühe Impulse sind, haben die Verantwortlichen von "Jugend forscht" früh erkannt und die Ausschreibung 1969 um die Kategorie "Schüler experimentieren" für unter 14-Jährige erweitert. Initiativen wie das "Haus der kleinen Forscher" fangen sogar bei den ganz Kleinen an, im Vorschul- und Grundschulalter. Und das ist richtig so. Gern mehr davon!

Noch einmal zurück zu Ihnen, liebe junge Forscherinnen und Forscher hier im Saal. Etliche von Ihnen gehören nun schon zu den Größeren, zu den Alumni und haben nicht nur die eigenen Versuche und Platzierungen gefeiert, sondern auch die Folgereaktionen genossen: etwa Einladungen zu internationalen Wettbewerben oder Reisen, Praktika und Stipendien. Einigen bin ich bei der Verleihung des Deutschen Zukunftspreises begegnet und habe mich sehr gefreut, dass Sie bei der Studienfachwahl dem MINT-Bereich treu geblieben sind.

Vor zehn Jahren und davor haben wir ja heftig Klage geführt über den mangelnden Nachwuchs in diesem Bereich. Ich bin sehr froh, dass durch Bemühungen, die Sie, liebe Gäste, miteinander gestartet haben auch von Seiten der Wirtschaft und Politik aus, dass wir heute deswegen nicht mehr diese bewegte Klage führen müssen, auch wenn wir sicher noch den einen oder anderen Ingenieur mehr brauchen würden in diesem Land der Technik, der Innovation und der Zukunft. Da hat sich etwas getan, und es zeigt sich, dass tatsächlich Erfolge zu erwarten sind, wenn alle Betroffenen zusammenarbeiten. Deutschlands jüngste Gründer und die jüngste Hochschuldozentin kommen aus Ihren Reihen, liebe Jufos, liebe Forscherinnen und Forscher.

Ich hoffe, dass viele von Ihnen auch zu dem Ergebnis kommen: Nach der Schule kommt die Schule dass also nicht nur künftige Unternehmerinnen und Unternehmer oder Erfinderinnen und Erfinder, vielleicht sogar Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger, Professorinnen und Professoren aus Ihnen werden, sondern dass auch Lehrerinnen und Lehrer für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik unter Ihnen sind, am besten quer durch alle Schultypen. Man dient dem Gemeinwesen ja nicht nur, indem man große Medaillen und Preise erringt und die berühmten Lehrstühle innehat. Man dient der Gesellschaft, indem man seine Potentiale auch an diejenigen weitergibt, die noch nichts ahnen von den großen Möglichkeiten, die in Kindern und Jugendlichen stecken. Und darum ist es mir sehr lieb, wenn viele von Ihnen nicht nur von den Unternehmen träumen, die Sie vielleicht einmal gründen werden, oder vom Sitz im Vorstand eines großen Dax-Unternehmens, sondern dass Sie stattdessen einfach sagen: Es macht mir Spaß, anderen beizubringen, was mich glücklich gemacht hat, als ich es entdeckt habe.

Besonders die jungen Damen hier im Saal möchte ich ermutigen. Die meisten von Ihnen hatten ja wohl doch noch männliche Mentoren. Und die meisten von Ihnen waren bei den Wettbewerbsrunden in der Minderheit. Wenn sich das ändern soll und meine Damen, es soll sich ändern, dann brauchen wir allerdings neue Rollenvorbilder in den Schulen. Lassen Sie uns damit nicht bis zum 100. Jubiläum von "Jugend forscht" warten.

Ich bin sicher, der nächste Schirmherr oder die nächste Schirmherrin würde gerne schon recht bald sagen: Mädchen nehmen hier genauso oft teil wie Jungen. Und sie sind genauso erfolgreich!

Ich glaube: Botschafterinnen und Botschafter für Technik und Wissenschaft brauchen wir mehr denn je nicht nur für die nächste Schülergeneration. Wir brauchen sie überall in der Gesellschaft. Wir leben ja in einer Zeit, in der viele Menschen die Geräte, die sie täglich nutzen, nicht mehr verstehen, verstehen können oder verstehen wollen. Viele begnügen sich damit, passive Konsumenten zu sein. Sie hinterfragen nicht, was im Inneren dieser zugegeben komplexen Produkte vor sich geht. Ich meine nicht, dass jeder alles perfekt verstehen und beherrschen muss. Aber ich glaube schon, dass wir durchaus Ansprüche an das technische Grundwissen einer Bevölkerung stellen können und stellen sollten, die mit uns zusammen doch die Welt begreifen und gestalten will. Nur wenn wir etwas von uns erwarten, uns etwas abverlangen, dann bleiben wir eine innovative und leistungsfähige Nation.

Sie ahnen vielleicht, warum ich das gerade hier und heute erwähne. Wer einmal mit Freude bei "Jugend forscht" teilgenommen hat, kann besonders anschaulich vom Abenteuer und vom Reiz dessen erzählen, was sich hinter dem Kürzel MINT verbirgt. Dass dieser Funke in den letzten Jahren bei uns besonders häufig übergesprungen ist, hat nicht nur "Jugend forscht" vorangebracht, es hat unser Land, es hat den Standort Deutschland insgesamt zukunftsfähiger gemacht. Mit Freude stelle ich fest: Was einst als Versuch begann, steht heute als Erfolgsgeschichte vor uns. Danke!