Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 2. März 2015

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 2. März beim Mittagessen anlässlich des Antrittsbesuchs des italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella eine Rede gehalten: "In einer Zeit, die vieles in Unordnung geraten lässt, müssen wir in Europa gemeinsame Antworten finden. Das sind wir den betroffenen Menschen schuldig, aber auch unseren Werten und Überzeugungen."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2015/03/150302-Italienischer-Praesident.html


Herzlich willkommen in Schloss Bellevue!

Dies ist Ihre erste Auslandsreise als Präsident der Republik Italien. Ich danke Ihnen, dass Sie so schnell zu uns nach Deutschland gekommen sind. Das ist ein Zeichen der besonderen Verbundenheit unserer beiden Staaten und eine Geste der Freundschaft, die nicht selbstverständlich ist. Der enge und vertrauensvolle Dialog, den ich mit Ihrem Amtsvorgänger Giorgio Napolitano geführt habe, war mir immer eine Herzensangelegenheit. Ich freue mich, dass wir diese Tradition des Austauschs heute fortsetzen können.

Als ich im Dezember vergangenen Jahres zu Gast in Turin war, habe ich neuerlich erleben können, wie vielfältig und lebendig die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sind. Ich habe aber auch gespürt, wie wichtig es ist, dass wir neugierig bleiben und uns immer wieder auf den anderen einlassen. Der vertrauensvolle Dialog ist keine Selbstverständlichkeit, wir müssen ihn immer wieder aufs Neue fördern, in Politik und Wirtschaft ebenso wie in Kultur und Gesellschaft.

Was mir besonders am Herzen liegt: Wir müssen das Interesse füreinander weitergeben an die junge Generation. Wer heute hier in Berlin unterwegs ist, der hört überall den schönen Klang der italienischen Sprache. Viele Italiener kommen zum Studieren nach Deutschland, und auch an italienischen Universitäten ist die Zahl deutscher Studenten gestiegen. Die "Generation Erasmus" ist längst in ganz Europa zu Hause, und das ist ein ermutigendes Zeichen.

Wie belastbar die Freundschaft zwischen unseren Ländern inzwischen ist, zeigt sich gerade dann, wenn es um Schmerzhaftes geht. In diesem Jahr erinnern wir an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren. Herr Präsident, unmittelbar nach Ihrer Wahl sind Sie zu den Ardeatinischen Höhlen vor den Toren Roms gefahren, um der Menschen zu gedenken, die dort von Deutschen erschossen wurden. Ich habe vor fast genau zwei Jahren Sant ' Anna di Stazzema besucht, jenen Ort, an dem die Nationalsozialisten eines ihrer schrecklichen Verbrechen auf italienischem Boden verübten. Ich werde diesen Besuch nicht vergessen.

Die italienisch-deutsche Historikerkommission hat zur Aufarbeitung dieser Kapitel unserer Geschichte beigetragen, und der Zukunftsfonds wird diese Arbeit weiter fördern. Es bleibt eine wichtige Aufgabe für Italiener und Deutsche, eine gemeinsame Erinnerungskultur zu schaffen. Die Opfer dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Sie sollen uns eine stete Mahnung sein, gemeinsam gegen Hass, Antisemitismus und Totalitarismus zu kämpfen und gegen jene, die neuen Terror und neue Gewalt verbreiten.

Herr Präsident, Sie haben in Ihrer Antrittsrede im Palazzo Montecitorio das Bild eines verwundeten Landes gezeichnet. Wir in Deutschland wissen, dass viele Italiener unter der langen Wirtschaftskrise leiden mussten. Wir sind uns bewusst, dass vor allem junge Menschen noch immer keine Arbeit und keine Perspektive haben. Umso größer ist unser Respekt, dass es der Regierung von Matteo Renzi gelungen ist, dem Land neue Hoffnung auf Veränderung zu geben und ehrgeizige Reformen anzustoßen. Ich spüre in Deutschland große Anerkennung für diese Politik der Modernisierung und große Dankbarkeit für Ihr klares Bekenntnis zu Europa.

Errungenschaften kann nur bewahren, wer sich Veränderungen nicht verschließt dieser Satz gilt auch auf europäischer Ebene. Hier müssen unsere Länder weiter alles tun, um Wachstum dauerhaft zu stärken, Beschäftigung zu fördern und den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen voranzutreiben. Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen von europakritischen Stimmen, die einen Rückzug in den Nationalstaat fordern. Wir können darauf vertrauen, dass wir gemeinsam einen Weg aus der Wirtschaftskrise finden werden. Und wir wissen: Konstruktive Debatte ist kein Zeichen von Krise, sondern das Lebenselixier der Demokratie.

Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik steht die europäische Staatengemeinschaft vor großen Herausforderungen. Terroranschläge und die militärischen Auseinandersetzungen im Osten unseres Kontinents verunsichern und besorgen Italiener wie Deutsche. An vielen Orten der Welt werden Menschenrechte mit Füßen getreten. Zahllose Flüchtlinge riskieren an den Grenzen Europas ihr Leben. Marine und Küstenwache Ihres Landes haben Tausende aus den Fluten gerettet. In einer Zeit, die vieles in Unordnung geraten lässt, müssen wir in Europa gemeinsame Antworten finden. Das sind wir den betroffenen Menschen schuldig, aber auch unseren Werten und Überzeugungen.

Gestatten Sie mir zum Schluss ein persönliches Wort. Es war ein tragisches Erlebnis, das Sie vor vielen Jahren veranlasste, in die Politik zu gehen: Im Jahr 1980 wurde Ihr Bruder in Ihrer Heimatstadt Palermo von der Mafia ermordet. Seitdem haben Sie den italienischen Rechtsstaat beharrlich verteidigt und sich in ganz unterschiedlichen Ämtern gegen Korruption und organisierte Kriminalität engagiert. Ich habe großen Respekt vor Ihrem Mut und Ihrer Prinzipientreue.

Wir wurden beide während des Zweiten Weltkrieges geboren, wir gehören zur selben Generation. Und so verschieden die Lebensgeschichten eines Sizilianers aus Palermo und eines Mecklenburgers aus Rostock auch sind, so gibt es doch eines, was wir beide gelernt haben und was uns verbindet: Es ist die Einsicht, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Wir Bürger müssen uns immer wieder engagieren und unsere Freiheit verteidigen.

Heute bilden Demokratie und Menschenrechte das feste Fundament der Europäischen Union. Wir, Italiener und Deutsche, dürfen nicht nachlassen, diese großartigen Errungenschaften gemeinsam mit unseren Partnern zu verteidigen.

In diesem Sinne erhebe ich mein Glas: Auf Ihr Wohl, Herr Präsident, auf die Republik Italien, die italienisch-deutsche Freundschaft und die Einheit Europas.