Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 5. Juni 2015
Untertitel: Der Bundespräsident hat am 5. Juni bei der Verleihung des Verdienstordens an 24 junge Frauen und Männer eine Rede gehalten: "Es ist diese Haltung des selbstbewussten Bürgers, die unsere Demokratie zum Blühen bringt. Menschen wie Sie, die Begegnungen suchen und Solidarität leben, die machen das Miteinander in einer offenen demokratischen Gesellschaft erst möglich und Sie machen es lebenswert."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2015/06/150605-OV-Junge-Menschen.html
So viele junge Gesichter bei einer Ordensverleihung das ist mal etwas ganz Besonderes. Es kommt nicht oft vor, dass Frauen und Männer Ihres Alters mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet werden. Die allermeisten Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die den Verdienstorden bekommen, sind etwa in meinem Alter oder kommen aus der Generation davor. Wir richten aber heute den Blick exklusiv auf die junge Generation, auf die Bereiche, in denen Sie mit Ihren Altersgenossen leben, arbeiten und das Leben gestalten. Wir machen uns damit klar, dass es natürlich nicht eine Frage des Alters ist, ob sich jemand für Demokratie, Toleranz oder Chancengerechtigkeit einsetzt.
Ich freue mich, dass Sie hier sind und auf die Gelegenheit, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich freue mich auch, dass Sie nicht alleine hierher gekommen sind. Schön, dass Sie jemanden mitgebracht haben aus der Familie, aus dem Freundeskreis. Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil Sie Anerkennung auch aus dem engeren Kreis brauchen. Vor allem aber wollen wir auch Menschen bewegen, draußen zu erzählen, was Sie zusätzlich zu Ihren zahlreichen Verpflichtungen leisten.
Sie sind hier stellvertretend für die vielen Menschen zwischen zwanzig und Mitte dreißig, die sich in unserem Land ehrenamtlich einbringen, Tag für Tag, viele schon seit dem Kindesalter oder seit der frühen Jugend. Und Sie stehen in der "Rush Hour" Ihres Lebens, in einer Phase in der Sie Verdichtung erfahren, in der Sie oftmals in kurzer Zeit sehr wichtige Entscheidungen fürs Leben treffen müssen, viele davon gleichzeitig: also Ausbildung und Studium abschließen; einen Job finden, der fordert und interessiert; vielleicht über Karrierepläne nachdenken; nicht zu vergessen die entscheidende Frage, gibt es da jemanden, der mich durchs Leben begleitet oder jedenfalls ein Stück begleitet, einen Partner, eine Partnerin? Und Vielleicht möchten Sie auch eine Familie gründen und Kinder bekommen. Zugleich gibt es den verständlichen Wunsch, auch den Kontakt zu denen zu behalten, die bisher wichtig waren, seien das nun Eltern oder Freunde oder beide oder noch andere. Und dann möchte man möglichst auch noch mobil und flexibel bleiben. All das zusammen drängt sich in diesen Lebensabschnitt hinein, in dem Sie sind. Und mancher, der weiß noch gar nicht wie es weiter geht, welche Entscheidung nun die richtige ist. Mancher fühlt sich, als sei die Quadratur des Kreises zu bewältigen.
Gerade wenn man sich das klar macht, dann ist es schön zu erfahren, dass gemeinsam mit Ihnen hunderttausende junge Frauen und Männer in diesem Land in dieser herausfordernden Zeit ihres Lebens ehrenamtlich aktiv sind und sich mit ganz großer Ausdauer in ganz unterschiedlichen Bereichen einsetzen. Ob Sie nun aus einer Partei kommen, aus einer Gewerkschaft, aus einem Sportverein, aus einer kirchlichen oder karitativen Gruppe; ob Sie in einer Bürgerinitiative aktiv sind, die sich gerade erst gegründet hat, oder in einer traditionsreichen Institution wie dem Arbeiter-Samariter-Bund; ob Sie sich in der Stadt mit ganz vielen engagieren, die ähnlich ambitioniert sind wie Sie, oder auf dem Dorf, wo Sie vielleicht nur zu zweit oder zu dritt sind das ist egal. Jeder beteiligt sich mit zusätzlichem Aufwand an Geist, an Kraft, an Initiativen, an Ideen, an Lebenszeit. Davor habe ich einen Riesenrespekt. Und ich danke Ihnen allen, die Sie sich schon in jungen Jahren engagieren, im Namen unseres Landes von ganzem Herzen. Uns ist bewusst, dass Sie unsere Gesellschaft bereichern, weil Sie den Zusammenhalt stärken und weil Sie Zukunft mitgestalten. So machen Sie sich verdient um unser Land! Deshalb erhalten Sie diese Auszeichnung. Und ganz nebenbei widerlegen Sie das hartnäckige Vorurteil mancher Älterer, dass früher alles besser gewesen sei und dass "die Jugend von heute", wenn überhaupt, nur an sich selbst denke.
Wie vielfältig das bürgerschaftliche Engagement heute ist, wie viel Kreativität darin steckt, davon zeugen Sie, die vierzehn Frauen und zehn Männer, die wir gleich auszeichnen wollen. Ich nenne diese Zahlen ganz bewusst, denn wenn wir uns umschauen in einer Kirchengemeinde, in einem Verein in einem sozialen Werk, in einer Bürgerinitiative, dann sind es oft die Frauen, die sich mehrheitlich engagieren. Auch das wollen wir heute würdigen. Eine junge Frau ist hier, die eine Spendenkampagne für Afrika mitentwickelt hat. Die Idee: An einem Tag im Jahr gehen deutsche Schülerinnen und Schüler arbeiten und spenden ihren Lohn für Bildungsprojekte in Afrika. Und einer der jungen Männer hier hat ein Treffen von deutschen und russischen Pfadfindern organisiert, um gegenseitige Vorurteile abzubauen. So reisten Jugendliche aus ganz Deutschland mit der transsibirischen Eisenbahn bis an den Baikalsee, um dort Verbindungen zu knüpfen und Freundschaften zu begründen Völkerverständigung von unten.
Ein weiteres Beispiel: Eine von Ihnen hat schon im Alter von zwölf Jahren einen Geschichtenklub für junge Schriftsteller gegründet und sich später dafür eingesetzt, dass Lübecker Kinder aus bedürftigen Familien mit Büchergutscheinen versorgt wurden. Eine andere junge Frau aus Ihrer Gruppe war erst vierzehn, als sie einen Mädchensportverein gründete, der auch für Menschen mit Behinderungen offen ist. Ein junger Mann wiederum betreut seit vielen Jahren ein Naturschutzgebiet. Dabei bindet er die Anwohner mit ein und wirbt öffentlich für den Naturschutz.
Es ist wirklich faszinierend zu sehen, was Sie alles anpacken! Kaum ein Feld, auf dem Sie Ihre Ideen oder Ihre Perspektive und Ihr Lebensgefühl nicht einbringen. Sie nutzen die völkerverbindende Kraft des Fußballs, den kulturellen Austausch und fördernden Gemeinsinn. Sie sammeln Spenden für schwer kranke Kinder und erfüllen ihnen Herzenswünsche. Sie halten Erinnerungen an den Holocaust wach und bringen junge Menschen mit Überlebenden ins Gespräch. Ob es um die Gestaltung der eigenen Universitätsstadt geht oder die Jugendarbeit der "Youth-Bank-Bewegung", um Verkehrserziehung oder Schwimmunterricht, Filmfeste, Rockkonzerte, internationale Zeltlager: Sie alle stehen für beeindruckende Projekte, Sie alle engagieren sich auf Ihre Weise und über Grenzen hinweg, in Deutschland, in Europa und in unserer Einen Welt.
Was Sie dabei verbindet, ist eine Haltung, die mir sehr am Herzen liegt. Sie finden sich nicht einfach ab mit den Gegebenheiten, sondern Sie wollen etwas ändern. Sie erklären sich für zuständig und übernehmen Verantwortung, statt sich nur zu beschweren oder aber noch schlimmer, sich einfach nur stillschweigend anzupassen. Sie vertrauen damit auf ihre Kräfte und wenden sich anderen zu und zwar nicht von oben herab, sondern mit Interesse, mit Empathie. Es ist diese Haltung des selbstbewussten Bürgers, die unsere Demokratie zum Blühen bringt. Menschen wie Sie, die Begegnungen suchen und Solidarität leben, die machen das Miteinander in einer offenen demokratischen Gesellschaft erst möglich und Sie machen es lebenswert.
So ist es passiert, dass Sie in Ihrem Alter von mir schon als Vorbilder bezeichnet werden. Sie sind Vorbilder! So könnte ich Sie eigentlich überall hinschicken, in die weite Welt als Botschafter des Bürgersinns! Denn ich wünsche mir doch, dass Sie Nachahmer finden. Ich weiß: Oft sind es gerade die Engagierten, die zurückhaltend sind, die nicht über sich sprechen mögen und die bescheiden auftreten, wenn es um ihre eigenen Verdienste geht. Das ist auch eine Tugend, zweifellos, das finde ich sehr sympathisch. Aber wenn ich ehrlich sein darf: Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie ein wenig Werbung machen würden. Werbung für die Arbeit zum Wohle der Vielen. Und Sie dürfen dabei den Orden, den Sie gleich bekommen, ruhig vorzeigen! Der ist nicht zum Verstecken gedacht, stecken Sie ihn an! Und stecken Sie andere an mit Ihrer Leidenschaft. So können Sie auch den Zögernden Mut machen, erzählen Sie von Ihren Erlebnissen!
Sie können dabei auch ruhig erzählen, dass Ehrenamt manchmal durchaus Zeit und Mühe kostet und dass es auch mal anstrengend sein kann und schrecklich frustrierend. Aber wenn man ausgetretene Pfade verlässt und sich selbst ausprobiert, kann das eben auch Glück bedeuten. Deshalb gilt es auch, von dieser anderen, schönen Seite zu erzählen, dass Bürgerschaftliches Engagement einem unglaublich viel zurückgibt, dass es Beziehungen und Sinn stiftet. Ehrenamtliches Engagement ist ein Geschenk an die Gesellschaft und es macht uns alle miteinander glücklich.
Ich habe nun auch etwas zu geben: Ich freue mich, Ihnen den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland zu überreichen jeder und jedem Einzelnen. Ich danke Ihnen.