Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 11. Juni 2015
Untertitel: Der Bundespräsident hat am 11. Juni beim Empfang für die Stipendiaten der Humboldt-Stiftung aus mehr als 75 Ländern eine Ansprache gehalten: "Forscher wie Sie verändern die Welt, und sie tun es gemeinsam. Die Humboldt-Familie ist das beste Beispiel für diese wissenschaftliche Zusammenarbeit nicht nur über Landesgrenzen, sondern auch über Fachgrenzen hinaus."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2015/06/150611-Humboldt-Stipendiaten.html
Was für ein schöner Tag, und was für ein schönes Bild, wenn ich Sie hier sehe, meine lieben Stipendiaten der Humboldt-Stiftung aus allen Teilen der Welt. Herzlich Willkommen!
Auf diesen Termin freuen wir uns im Hause jedes Jahr sehr. Immer im Frühsommer treffen sich hier im Park von Schloss Bellevue die Stipendiaten der Humboldt-Stiftung mit ihren Familien. Dann verwandelt sich unser Schlosspark in eine Art Weltbühne, wo Menschen aus allen Teilen der Welt die Schönheit dieses Fleckchens Erde noch einmal vergrößern. Also ich freue mich, Sie hier zu sehen. Ich freue mich über die Aktivitäten der Alexander von Humboldt-Stiftung. Herzlich willkommen, herzlich willkommen in Berlin!
Alexander von Humboldt, der große Naturforscher und Humanist, verließ als junger Mann Berlin, um die Welt zu bereisen und den Kosmos des Wissens zu erweitern. Sie, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten, sind den umgekehrten Weg gegangen: Sie sind aus fast allen Teilen der Erde zu uns nach Deutschland gekommen, um hier eine Zeit lang wissenschaftlich zu arbeiten in "Einsamkeit und Freiheit", so hat es Wilhelm von Humboldt, Alexanders älterer Bruder, gesagt. Hier im Park sieht es jetzt nicht so direkt nach Einsamkeit aus, aber ich glaube, gelegentlich forschen Sie in der Weise, wie Sie eben gehört haben.
Ich danke Ihnen, dass Sie sich entschieden haben, hier in Deutschland zu forschen. Manche von Ihnen werden in Laboren arbeiten, andere in Archiven und Bibliotheken. Was auch immer Sie sich vorgenommen haben: Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Projekte gelingen, dass Sie Neues entdecken und Kreativität entfalten können. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien aber auch, dass Sie jenseits der Wissenschaft viele gute Erfahrungen machen, wenn Sie Menschen hier in Deutschland begegnen. Seien Sie neugierig, gehen Sie auf die Menschen zu, schließen Sie Freundschaften! Sie werden sehen: Deutschland ist ein weltoffenes Land.
Und Sie, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten, sind eine Bereicherung für dieses Land, nicht nur wissenschaftlich, sondern auch kulturell und menschlich. Ich wünsche Ihnen, dass auch Deutschland Sie bereichert, dass es Sie inspiriert und beflügelt. Und ich wünsche mir, dass Sie etwas von Deutschland mitnehmen, wenn Sie wieder zurückkehren in Ihre Heimat. Man kann es gar nicht oft genug sagen: Die Alumni der Alexander von Humboldt-Stiftung zählen zu den besten Botschaftern unseres Landes in der Welt, und das nun schon seit vielen Jahren. Sie tragen dazu bei, dass gegenseitiges Vertrauen weiter wachsen kann.
Aber nun sind Sie ja gerade erst einmal angekommen und haben sich hoffentlich schon ein wenig eingelebt. Immer wieder höre ich von Stipendiatinnen und Stipendiaten, dass sie sich von der Humboldt-Stiftung sehr gut betreut fühlen, wenn sie nach Deutschland kommen. Es ist beeindruckend, was die Mitarbeiter der Stiftung alles tun, worum sie sich kümmern, von der Wohnungssuche bis zur Kinderbetreuung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Humboldt-Stiftung sind Gastgeber, wie ich es mir wünsche: So danke ich Ihnen, lieber Herr Professor Schwarz, stellvertretend für die ganze Humboldt-Stiftung, für Ihre Gastfreundschaft! Ich finde es schön, dass Deutschland jemanden wie Sie hat.
Staaten und Volkwirtschaften, Kulturen und Gesellschaften sind heute miteinander verflochten, das wissen wir alle. Auch Krisen und Konflikte machen nicht vor Grenzen halt und lassen sich von nationalen Akteuren allein nicht bewältigen. Es ist deshalb heute wichtiger denn je, dass wir uns austauschen, dass wir zusammenarbeiten. Wir müssen in Zukunft noch enger zusammenrücken und noch mehr Kräfte bündeln, um möglichst vielen Menschen in unserer Einen Welt ein gutes Leben zu ermöglichen. Und wir müssen dabei an die kommenden Generationen denken, an die Kinder unserer Kinder und an deren Kinder. Es zählt zu unseren größten Verpflichtungen, ihnen einen Planeten zu hinterlassen, auf dem sie die Chance haben, ein selbstbestimmtes Leben in Frieden, in Freiheit und in Wohlstand zu führen.
Gerade wenn es um die nachhaltige Entwicklung geht, leisten Wissenschaftler einen bedeutenden Beitrag: Forscher verändern die Welt, und sie können hoffentlich daran mitwirken, dass die Welt von schädlichen Veränderungen verschont bleibt. Die Humboldt-Familie steht in besonderer Weise für weltweites Engagement, das auch zukünftige Generationen im Blick hat. Ob es um Klimaschutz geht, um Konfliktprävention oder um die Menschenrechte, um die Förderung der wissenschaftlichen Exzellenz und des wissenschaftlichen Fortschritts in Afrika, oder um den kulturellen Austausch zwischen Indien und den deutschsprachigen Ländern: Humboldtianer, sie haben eine Mission, und sie sind ein Vorbild für alle, die Verantwortung übernehmen wollen.
Forscher wie Sie verändern die Welt, und sie tun es gemeinsam. Die Humboldt-Familie ist das beste Beispiel für diese wissenschaftliche Zusammenarbeit nicht nur über Landesgrenzen, sondern auch über Fachgrenzen hinaus. Sie fördert ein umfassendes Wissenschaftsverständnis, das für uns heute unverzichtbar ist. Wir brauchen die Kooperation von Natur- und Geisteswissenschaftlern, von Medizinern und Ingenieuren, von Ökonomen und Soziologen, um die Herausforderungen unserer Zeit bewältigen zu können. Wir brauchen das Zusammenspiel der Disziplinen, wenn es zum Beispiel darum geht, den Hunger auf der Welt zu bekämpfen, oder dem Klimawandel Einhalt zu gebieten, Krankheiten einzudämmen oder Kriege zu verhindern.
Hinzu kommt etwas anderes, was mir sehr am Herzen liegt: Es geht an Hochschulen und Forschungsinstituten nicht nur darum, konkrete Probleme zu bearbeiten und gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen. Es geht darum, Grundlagen zu erforschen und den Boden für Innovationen zu bereiten. Wissenschaftler brauchen auch in Zukunft Freiräume, um Schätze zu heben, deren gesellschaftlicher Wert sich womöglich erst viele Jahre später erweist. Sie brauchen Freiräume, um Ideen auszuprobieren und Wege einzuschlagen, deren Ergebnis und Ziel nicht von vornherein klar ist. Nur im permanenten Prozess von Versuch und Irrtum, von rationaler Kritik und offener Debatte können wir uns der Wahrheit annähern und Neues entdecken.
Die Alexander von Humboldt-Stiftung schafft solche Freiräume. Sie fördert damit nicht nur die Innovationskraft, sondern auch die Fähigkeiten, auf die demokratische Gesellschaften angewiesen sind, heute vielleicht mehr denn je. In einer Zeit, in der die Welt unübersichtlicher und komplizierter geworden ist, in der Wissen in einem nie abreißenden Strom der Informationen unterzugehen droht, brauchen wir Bürgerinnen und Bürger, die eigene Fragen stellen und eigene Antworten finden. Wir brauchen Bürgerinnen und Bürger, die sich eine gesunde Skepsis bewahrt haben und auf der anderen Seite die kindliche Fähigkeit zum Staunen, die dem Neuen mit Offenheit begegnen und aus dem Alten ihre Lehren gezogen haben. Deshalb meine Bitte an Sie, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten: Machen Sie Werbung für den Kosmos des Wissens, für die Freiheit von Forschung und Lehre, und stecken Sie andere an mit Ihrer Neugier und Ihrem Entdeckungsgeist!
Sie alle machen Mut, dass es gelingen kann, unsere Eine Welt gemeinsam zu gestalten. Die Wissenschaft, das ist hier heute Vormittag wieder zu spüren, ist eine universelle Kraft mit völkerverständigender Wirkung. Sie verbindet, denn ihre Regeln, ihre Methoden und Standards helfen Menschen dabei, zu verstehen und sich zu verständigen, über Grenzen hinweg. Dass Sie, liebe Gäste, daran mitwirken können mit Leidenschaft und mit Interesse, dass ist mein Wunsch an diesem Tag der Begegnung hier im Garten von Schloss Bellevue. Alles Gute!