Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 25. Mai 2016
Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 25. Mai bei der Eröffnung des 100. Katholikentages eine Ansprache gehalten: "Wir sehen und das sage ich ganz bewusst im Jahr vor dem großen Jubiläum der Reformation: Geschichte kann sich eben auch in eine gute Richtung entwickeln, nämlich in Richtung Verständnis, Toleranz und Versöhnung. Und das wollen wir inmitten der meist schlimmen oder bedrohlichen Nachrichten der jüngsten Zeit nicht vergessen."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2016/05/160525-Katholikentag.html
Liebe Besucherinnen und Besucher des 100. Deutschen Katholikentages, verehrte Festgäste aus nah und fern!
Ich freue mich wirklich ganz besonders, hier zu sein, und zwar natürlich als Bundespräsident, als der bin ich gekommen, aber auch als evangelischer Mitchrist, der lange in der evangelischen Kirchentagsarbeit aktiv war. Ich weiß, dass neben den Katholiken viele evangelische Christen hier nach Leipzig zum einhundertsten Katholikentag gekommen sind, auch viele Menschen anderer Überzeugungen und auch nicht wenige, die auf der Suche danach sind, was ihnen im Leben wirklich Orientierung gibt.
Eigentlich sind wir das ja alle, Menschen auf der Suche: Wir alle wissen manchmal nicht, wie der Weg weitergeht, wie wir als einzelne oder als Kirche, als Gesellschaft den richtigen Weg finden sollen. Aber die Gemeinsamkeit, die wir an Tagen wie diesen hier erleben können, die trägt und ermutigt, die stärkt uns und lässt uns vielleicht am Ende wieder ein Stück klarer sehen.
Schauen wir zurück: Die katholischen Männer, die sich 1848 in Mainz zum ersten Katholikentag getroffen haben, die hätten sich gewiss nicht träumen lassen, was heute und in den kommenden Tagen hier in Leipzig geschieht.
Aber eine der wichtigsten Lehren von Jubiläen und Jahrestagen ist ja, dass die Geschichte voll von überraschenden Wendungen ist, die man nicht vorhersehen kann. Das wissen die Leipziger Bürgerinnen und Bürger seit etwa 26 Jahren ganz besonders gut.
Aber wenn wir zurück denken an die Männer von 1848 in Mainz, die hätten zum Beispiel darüber gestaunt, wie aktiv und selbstverständlich beim 100. Katholikentag die Frauen dabei sind und dass sich heute längst niemand mehr darüber wundert.
Ein wichtiges Ziel des Mainzer Treffens war es, ein Zeichen katholischer Selbstbehauptung zu setzen in einer mehr oder weniger abweisenden Gesellschaft und gegen ein oft feindlich gesinntes Staatswesen. Heute dagegen ist das anders, Gesellschaft und Staat sind dankbar für den selbstlosen Einsatz vieler katholischer und evangelischer Christen für das Gemeinwesen. Sie sehen und schätzen, was in Caritas und Diakonie, aber auch weit darüber hinaus, hauptamtlich wie vor allem ehrenamtlich geleistet wird. Ein gutes Beispiel ist das, was in den Gemeinden geleistet worden ist, als wir die Aufnahme und die Hilfe für die Flüchtlinge organisiert haben.
Gerade hier haben sich auch sehr viele junge Menschen engagiert. Wenn wir ehrlich sind, weht der Zeitgeist junge Menschen ja nicht allzu häufig ins kirchliche Engagement. Umso mehr haben alle diejenigen meine Hochachtung, die sich zum Beispiel als Leiterinnen und Leiter in der kirchlichen Jugendarbeit einsetzen. Oft sind sie nur wenig älter als die Kinder oder Jugendlichen, mit denen sie arbeiten, aber sie leisten doch einen unschätzbaren und wertvollen Dienst.
Ob bei den Pfadfindern oder bei den Messdienern, ob in der KJG oder bei Kolping, ob beim Sternsingen oder bei Ferienfreizeiten: Hier werden Haltungen vorgelebt und eingeübt, aus denen Verantwortungsbewusstsein und Menschenliebe wachsen. Für all das und heute ganz speziell für die Arbeiten zur Vorbereitung am Katholikentag, sage ich allen Ehrenamtlichen von ganzem Herzen Dank.
Das diesjährige Motto "Seht, da ist der Mensch" ist in unzähligen kirchlichen Gruppen, Aktionen und Projekten täglich gelebte Wirklichkeit.
Übrigens hätten die Männer in Mainz im Jahre 1848 es für ganz und gar undenkbar gehalten, dass ein evangelisches deutsches Staatsoberhaupt zu einem Katholikentag eingeladen, diese Einladung dann sogar annimmt und zu ihnen sprechen wird.
Das kam natürlich daher, dass zu ihrer Zeit das Verhältnis der Konfessionen vor allem als polemisch und voll von eifersüchtiger Konkurrenz zu erleben war. Damals hätten sie es auch kaum für möglich gehalten, dass evangelische und katholische Christen nicht nur miteinander sprechen, sondern miteinander beten und Gottesdienst feiern.
So sehen wir und das sage ich ganz bewusst im Jahr vor dem großen Jubiläum der Reformation: Geschichte kann sich eben auch in eine gute Richtung entwickeln, nämlich in Richtung Verständnis, Toleranz und Versöhnung. Und das wollen wir inmitten der meist schlimmen oder bedrohlichen Nachrichten der jüngsten Zeit nicht vergessen. Ja, wir sollten das für besonders kostbar halten und dafür dankbar sein, was wir an Gutem erreicht haben. Das ist nie selbstverständlich, wir müssen es deswegen beschützen, bewahren und ausbauen.
Der evangelische Theologe Jürgen Moltmann hat vor kurzem das, wie man früher gesagt hätte, biblische Alter von neunzig Jahren erreicht. Als eine seiner Maximen zitierte er in einem Interview einen Satz seines Freundes, meines Amtsvorgängers Johannes Rau und zwar lautete der Satz: "Die Welt liegt im Argen. Aber da muss sie nicht liegenbleiben."
Das gefällt uns, denn das ist die echte christliche Antwort auf die Nöte der Welt und der Menschen. Christen wissen um die Realität des Bösen in der Welt, sie sind nicht blind. Christen wissen, dass Menschen schuldig werden können. Das Gute ist immer Ergebnis unserer entschiedenen Anstrengung, unseres guten Willens, der allerdings ohne Gnade allein machtlos wäre.
Deswegen passt es nicht zu Christen, Jammerlieder über die Schlechtigkeit der Welt anzustimmen. Sie treffen sich, sie überlegen, was man tun kann, sie beten um gnädige Hilfe, und sie fangen an zu handeln. So war es 1848 in Mainz beim ersten deutschen Katholikentag und so wird es immer und überall sein, wo Christen sich um die Welt und die Mitmenschen kümmern in Leipzig, in Sachsen und überall dort, wo glaubende Menschen einander dabei helfen, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen.