Redner(in): Johannes Rau
Datum: 17. Dezember 1999

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/1999/12/19991217_Rede.html


Ich bin dankbar dafür und erleichtert darüber, dass endlich eine Vereinbarung über die Entschädigung der Zwangsarbeiter zustande gekommen ist. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben.

Seit dem Ende des Krieges, 54 Jahre lang, mussten Menschen, die von der Kriegsmaschinerie der Nationalsozialisten missbraucht worden sind, auf eine Entschädigung warten.

Erst nachdem die Teilung Europas überwunden worden war, wurde es möglich, auch über diese Frage zu verhandeln.

An den Zwangsarbeitern haben sich damals viele Unternehmen bereichert. Einige von ihnen haben sich schon bisher zu ihrer Verantwortung öffentlich bekannt und sich um materielle Entschädigung bemüht. Aber erst die Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen wird dieses Engagement auf eine breitere Grundlage stellen. Jetzt müssen möglichst schnell möglichst viele Unternehmen dazu kommen, damit deutlich wird: Die deutsche Wirtschaft steht zu ihrer Verantwortung. Einige Unternehmen beteiligen sich, ohne selber Zwangsarbeiter beschäftigt zu haben.

Der deutsche Staat trägt einen ganz wesentlichen Teil bei. Damit bekennen sich alle, die die Stiftungsinitiative mittragen, Staat und Unternehmen, zu der gemeinsamen Verantwortung und der moralischen Pflicht, die aus dem begangenen Unrecht entstanden sind.

Wir alle wissen, dass man die Opfer von Verbrechen mit Geld nicht wirklich entschädigen kann. Wir alle wissen, dass das Leid, das Millionen Frauen und Männern zugefügt wurde, nicht wiedergutgemacht werden kann. Es macht auch keinen Sinn, begangenes Unrecht gegeneinander aufzurechnen.

Sklaven- und Zwangsarbeit bedeutete nicht nur das Vorenthalten des gerechten Lohnes. Sie bedeutete Verschleppung, Heimatlosigkeit, Entrechtung, die brutale Missachtung der Menschenwürde. Oft war sie planvoll darauf angelegt, die Menschen durch Arbeit zu vernichten.

Für alle, die damals ihr Leben verloren haben, kommt die Entschädigung genauso zu spät wie für alle, die inzwischen gestorben sind.

Umso wichtiger ist es, dass jetzt alle Überlebenden möglichst bald die heute vereinbarte humanitäre Leistung bekommen. Ich weiß, dass für viele gar nicht das Geld entscheidend ist. Sie wollen, dass ihr Leid als Leid anerkannt und dass das Unrecht, das ihnen angetan worden ist, Unrecht genannt wird.

Ich gedenke heute aller, die unter deutscher Herrschaft Sklavenarbeit und Zwangsarbeit leisten mussten und bitte im Namen des deutschen Volkes um Vergebung.

Ihre Leiden werden wir nicht vergessen.