Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 12. März 2017

Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 12. März beim Benefizkonzert mit den Berliner Philharmonikern zugunsten von UNICEF eine Ansprache gehalten: "Einsatz für andere bedeutet den Engagierten selbst eine tiefe menschliche Erfüllung. Es gibt eine positive Dialektik zwischen Selbstlosigkeit und Selbstverwirklichung, die man vielleicht nicht ganz verstehen, die man aber erfahren und erleben kann."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2017/03/170312-Benefizkonzert-Philharmonie.html


Die Kunst der Fuge ist eine ganz besondere musikalische Form, Bach war ihr größter Meister. Vielleicht liegt in der Fuge das Geheimnis der Musik überhaupt: dass nämlich alles zusammen passt und zueinander eine unauflösliche Beziehung hat, auch da, wo jede einzelne Stimme für sich stehen und ein Eigenleben führen kann. Die Fuge hat sprachlich auch mit der Fügung zu tun davon sprechen wir, wenn etwas im Leben auf geheimnisvolle Weise zusammenpasst: dem eigenen Willen nicht verfügbar, aber auch mehr als reiner Zufall.

Heute Abend fügt sich für mich so manches: Verschiedene Themen und Stimmen, die mich in meiner Amtszeit begleitet haben, kommen an einem meiner letzten offiziellen Termine zusammen darüber freue ich mich, und ich nehme das als ein Geschenk an, das ich gerne mit Ihnen teile.

Da ist zunächst das Benefizkonzert des Bundespräsidenten als Institution: eine Erfindung von Richard von Weizsäcker vielleicht ist heute noch der eine oder andere unter uns, der die legendären frühen Benefizkonzerte mit Sergiu Celibidache oder Carlos Kleiber hier in diesem Saal und mit diesem Orchester erlebt hat. Alle Nachfolger im Amt haben diese Tradition fortgeführt ja, durch diese Fortsetzung erst zu einer Tradition werden lassen. So weiß ich mich gerade an einem solchen Abend als Teil einer Reihe von Vorgängern und wohl auch Nachfolgern, und wir werden gemeinsam daran erinnert, dass das menschliche Leben immer gleichzeitig durch Neuanfang und Abschied, durch Erneuerung und Kontinuität, durch Thema und Variation geprägt ist.

Das Benefizkonzert steht dann auch symbolisch für eine Verbindung, die mir in den fünf Jahren meiner Amtszeit bei den unzähligen Begegnungen mit engagierten Menschen immer stärker aufgefallen ist: nämlich die Verbindung zwischen der Bereitschaft und der Fähigkeit Gutes zu tun, sich einzusetzen für die Belange anderer und dabei gleichzeitig selber Gutes für sich zu erfahren und zu erleben.

Ich finde, wir können stolz darauf sein, dass Menschen in unserem Land millionenfach und ganz freiwillig Verantwortung für andere und füreinander übernehmen indem sie sich ehrenamtlich engagieren, zum Beispiel in Schulen und Vereinen, in den Kirchen, in der Flüchtlingshilfe, in Sport und Kultur. Und solcher Einsatz für andere bedeutet den Engagierten selbst eine tiefe menschliche Erfüllung. Es gibt eine positive Dialektik zwischen Selbstlosigkeit und Selbstverwirklichung, die man vielleicht nicht ganz verstehen, die man aber erfahren und erleben kann.

Es freut mich auch die glückliche Fügung, dass das letzte Benefizkonzert in meiner Amtszeit hier in der Berliner Philharmonie mit den Berliner Philharmonikern stattfindet. Seit der Amtszeit von Horst Köhler wandert ja das Benefizkonzert durch die Bundesländer und nicht unser Wille, sondern allein die kalte Strenge des Alphabets hat dazu geführt, dass heute Berlin an der Reihe ist.

Die Philharmonie, diese goldene Musikschatztruhe, die uns Hans Scharoun geschenkt hat, hat lange am Rande des wüsten und leeren Potsdamer Platz gestanden. Seit dem Fall der Mauer steht dieses Konzerthaus, das zu seiner Einweihung weltweit nicht seinesgleichen hatte, inmitten des pulsierenden, lebendigen, vor allem aber vereinigten Berlin. Und ich bin, zusammen mit Millionen Deutschen in allen Landesteilen, auch über ein Vierteljahrhundert später noch immer zutiefst dankbar für das große Glück der Einheit.

Heute nun, wenige Tage vor dem Ende meiner Amtszeit und erfüllt von großer Dankbarkeit, sehe ich noch einmal auf diesen wunderschönen Raum. Seine Eleganz wird nur noch von zwei Dingen übertroffen: einmal von seiner Zweckmäßigkeit, dass man nämlich überall phantastisch hört und eigentlich nur beste und vielleicht einige allerbeste Plätze hat, und dann natürlich davon, dass hier das, wie nicht wenige meinen, beste Orchester der Welt zu Hause ist, das auch heute Abend für uns spielt.

Und zwar unter der Leitung von Zubin Mehta, was mich zur Nennung einer letzten Fügung ermuntert. Seit 1969 ist Maestro Mehta mit dem Israel Philharmonic Orchestra verbunden, inzwischen als Direktor auf Lebenszeit. Am 26. Dezember 1936 hatte Arturo Toscanini, der sich weigerte, jemals wieder in Deutschland aufzutreten, in Tel Aviv das erste Konzert des neugegründeten israelischen Orchesters geleitet. Wer hätte sich damals vorstellen können, dass einer seiner Nachfolger eines Tages mitten in Deutschlands Hauptstadt in Anwesenheit des Staatsoberhauptes die Berliner Philharmoniker dirigieren würde?

Es gibt, und das kann uns allen in diesen Zeiten Hoffnung machen, auch glückliche Wendungen und Fügungen in der Geschichte.

Mit dem Kauf Ihrer Karte haben Sie sich nicht nur selber einen Gefallen getan, sondern auch anderen Menschen, indem Sie die Arbeit des Kinderhilfswerks UNICEF unterstützen, so wie der Regierende Bürgermeister von Berlin und ich es uns gewünscht haben. Als Schirmherrin des Kinderhilfswerks hat sich Daniela Schadt besonders für jene Kinder eingesetzt, die vor Krieg, Gewalt und Verfolgung haben flüchten müssen. Und die Hilfe von UNICEF hat Kinderleben in vielen Teilen der Welt lebenswerter gemacht.

Ich danke Ihnen für die Unterstützung dieser wichtigen Mission und wünsche Ihnen nun einen unvergesslichen Abend.