Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 7. März 2017
Untertitel: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 7. März beim Kulturabend zu Robert und Clara Schumann in der Villa Hammerschmidt in Bonn eine Ansprache gehalten: "Was Aufklärung und Rationalismus den Menschen an Gewissheiten über ihre Herkunft und ihr Sein genommen hatte, begriffen die Romantiker als Verlust, mit dem sie sich nicht abfinden wollten. Sie legen damit den Finger in eine Wunde, die sich bis heute nicht geschlossen hat."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2017/03/170307-Schumann-Soiree.html
Wie schön, dass Sie alle der Einladung gefolgt sind, heute Abend an zwei große Musiker zu erinnern, an Clara und Robert Schumann. Die Villa Hammerschmidt ist ein wunderbarer Ort, das zu tun. Ich freue mich auf die musikalischen Beiträge, die wir in der nächsten Stunde hören werden: auf den Pianisten Zhang Cheng und auf Claar ter Horst, die die Sänger Anne-Theresa Møller und Jean-Christophe Fillol am Flügel begleiten werden. Alle Künstler sind der Musik, die sie vortragen werden, entweder als Preisträger des Robert-Schumann-Wettbewerbs oder als deren Liedbegleiter bei diesem Wettbewerb verbunden. Wir dürfen also einen ganz besonderen Abend erwarten.
Dass der Abschied von meinem Bonner Amtssitz einen so schönen Ausklang findet, freut mich besonders. Mit den musikalischen Soireen in der Villa Hammerschmidt verbinde ich schöne Erinnerungen und seit wir im September vergangenen Jahres hier die Begriffe Heimat und Musik auf ganz besondere Weise zusammengeführt haben, ist mir der Bonner Amtssitz noch mehr ans Herz gewachsen.
Auch Robert Schumann mochte die Stadt offenkundig: "Mein Leben hier ist sehr einfach, und ich erfreue mich nur immer an der schönen Aussicht nach Bonn", heißt es in einem seiner späten Briefe. Wüssten wir nicht, dass sich sein Blick in dieser Zeit schon verdunkelt hatte und die Aussicht vergittert war, die Erinnerung an Robert und Clara Schumann fiele ein wenig heiterer und leichter aus.
Doch die Aussicht war trügerisch. Eine Perspektive, eine Zukunft gab es für Robert Schumann in Bonn nicht mehr. Er blieb von 1854 bis zu seinem Lebensende zwei Jahre später in der Richarz ‘ schen Anstalt für Behandlung und Pflege von Gemütskranken, ein paar Kilometer von hier, in Endenich. Und wer vom heutigen Schumann-Haus herunterblickt auf den Rhein, der weiß, dass die Geschichte der beiden kein glückliches Ende nahm.
Doch Glück ist für die Romantiker, zu deren bedeutendsten Komponisten Robert Schumann ohne Frage zählt, wohl auch nicht mehr als ein flüchtiger rauschhafter Moment. Glück ist kein Ideal, sagt Hölderlin, Glück ist "laues Wasser auf der Zunge". Die Romantik hatte nicht nur einen besonderen Hang zur Tragik, sie prägte den Begriff vollkommen neu. Ein Künstlerleben jedenfalls galt, sofern es nur dem leidenschaftlichen Selbstausdruck gewidmet war, nicht als gescheitert, nur weil es tragisch endete. Mir träumte, ich wäre im Rhein ertrunken ", schrieb der 18-jährige Robert in sein Tagebuch. 25 Jahre bevor er sich von einer Düsseldorfer Rheinbrücke stürzte. Das Leben, so hatte er 1829 vermutet, sei eine Dissonanz, die möglicherweise erst der Tod auflöse. Auf diese Auflösung, die auch eine Erlösung sein sollte, wartete Robert Schumann in seinem Endenicher Krankenzimmer.
Vor dieser Zeit aber lebten Robert und Clara Schumann eine glückliche Ehe, die zugleich eine ungeheuer produktive Künstlergemeinschaft war. Eine Ehe, die mit all ihrer Dramatik in diese romantische Epoche gehörte, eine Zeit des Widerspruchs, der Exaltiertheit, der Revolte, einer rastlosen Dynamik und Unbehaustheit, aber auch der Innerlichkeit und der Sehnsucht nach Heimkehr. Für kuschelige Heimeligkeit jedenfalls steht diese Romantik nicht.
Dass beide ihre Ehe als Arbeitsgemeinschaft überhaupt leben und gegen alle Widerstände durchsetzen konnten, beweist schließlich auch, dass der Romantik letzter Schluss Liberalität, Toleranz und wohl auch die Anerkennung aller Fährnisse und Unvollkommenheiten des Lebens ist.
Wir verdanken der Romantik die Idee der Freiheit des Künstlers und die Einsicht, dass man weder dem Künstler noch dem Menschen im Allgemeinen mit allzu vereinfachenden Ansichten gerecht wird.
Was Aufklärung und Rationalismus den Menschen an Gewissheiten über ihre Herkunft und ihr Sein genommen hatte, begriffen die Romantiker als Verlust, mit dem sie sich nicht abfinden wollten. Sie legen damit den Finger in eine Wunde, die sich bis heute nicht geschlossen hat. Das Gefühl des Ausgesetztseins, der Heimatlosigkeit und die Revolte dagegen ist ein die Moderne begleitendes und durchaus gegenwärtiges Lebensgefühl.
Zum Erbe der Romantik gehört schließlich auch die Reaktion auf diese Entwurzelung, der Versuch, die Wirklichkeit einem ästhetischen Modell, dem Willen eines Künstlermenschen zu unterwerfen. Die entstellte, verzerrte Form dieses Konzepts, der Glaube an eine speziell dem Deutschen eigene kulturelle Tiefe, die dem rationalen Politikdiskurs westlicher Länder überlegen sei, ja schließlich auch eine hysterische Selbstüberschätzung und nihilistische Zerstörungswut, auch das entwickelte sich im politischen Raum als Erbe der Romantik. Es ist hier nicht der Ort, aufzuweisen, wie sich dieses Erbe im NS-Deutschland darstellt. Aber sich die Abwege und die möglichen Abgründe der Epoche zu vergegenwärtigen, scheint mir notwendig und angemessen.
Wenn wir uns allerdings dem kulturellen und künstlerischen Erbe der Romantik widmen, nehmen wir einen großartigen Reichtum wahr. Und die Musik wird zur Leitdisziplin der Kunst in der Romantik. Die Musik verspricht Heilung. Für Novalis redet sie "eine allgemeine Sprache", macht den Geist frei und verhilft ihm dazu, auf einen kurzen Augenblick zurückzukehren in seine Heimat. Im romantischsten aller Lieder vertonte Robert Schumann Eichendorffs zauberschönes Gedicht "Mondnacht" und noch nach Generationen sind die Zuhörenden beglückt und inspiriert: Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus."
Schumann schrieb 1828 in sein Tagebuch: "Musik ist höhere Potenz der Poesie; die Engel müssen in Tönen reden". Diese Musik jetzt zu hören und mehr über die Lebens- und Liebesgeschichte Clara und Robert Schumanns zu erfahren, darauf freue ich mich nun. Und Ihnen und mir wünsche ich, dass wir das Geschenk der Musik, das uns gerade diese beiden besonderen Musiker gemacht haben, einmal mehr genießen und die Freude daran miteinander teilen können.