Redner(in): Johannes Rau
Datum: 14. April 2000

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2000/04/20000414_Rede.html


Namen seien wie Schall und Rauch, sagt man. Der Satz ist vor dem Hintergrund dessen, was uns heute Abend zusammengeführt hat, richtig falsch!

Falsch:

Weil der Name Dantes ebenso unvergessen ist wie der Botticellis.

Richtig:

Weil uns der Dantezyklus Botticellis in die Umgebung von Schall und Rauch führt:

An den Schlund der Hölle, so wie Dante sie beschrieb in der "Göttlichen Komödie"

und wie man sie sich vorstellte damals, im Mittelalter.

Wer die Federzeichnungen Botticellis betrachtet, der schmeckt den Schwefel auf der Zunge,

Gewiss:

Die Vorstellungen vom Fegefeuer, von der Hölle, sind uns heute fremd.

Bei "Inferno" fällt uns der schreckliche Brand im Mont Blanc-Tunnel ein.

Und unter dem Paradies stellen sich viele bestenfalls noch eine Südseeinsel vor.

Doch hinter den Metaphern Dantes steckt eine Wahrheit, die nicht gealtert ist und mit der auch unsere Zeit sich auseinander zusetzen hat:

Es ist die Frage nach dem Woher und Wohin des Lebens, nach seinem Sinn inmitten von Zweifel und Hoffnung.

Erfahrung und Sehnsucht sind abgebildet.

Reue und Angst in Bilder gebracht.

Hass und Liebe, aber auch Liebe und Lust.

Davon handeln die Zeichnungen Botticellis, die wir hier sehen können.

Es ist gezeichnete Ethik, in Bilder gebrachtes Gewissen.

Es ist eine Kunst,

Sandro Botticellis Name gehört in den Zusammenhang großer Namen Italiens.

Lorenzo der Prächtige ist zu nennen, einer aus der Familie der Medici, die auch Päpste hervorgebracht hat.

Er hat den Dante-Zyklus in Auftrag gegeben. Er forderte Kunst, indem er Künstler förderte.

An Michelangelo muss erinnert werden.

Botticelli hat mit ihm zusammengearbeitet an einem Ort, an den täglich Tausende pilgern, um das dort geschaffene Werk zu bewundern:

Das Deckenfresko der Sixtina in Rom.

Aber man stößt bei Botticelli auch auf Menschen, deren Namen uns an eine dunkle Zeit erinnern, in der die Kirche große Schuld auf sich lud.

Botticelli war ein Anhänger Savonarolas, dem die Kirche den Scheiterhaufen bereitete.

Das war 1498, vor mehr als 500 Jahren.

Auch davon wurde seine Arbeit geprägt.

Dann geschieht etwas mit der Kunst von Botticelli, was immer wieder geschieht:

Es wird still um sie.

Sein Werk scheint sich zu verlieren, bis es 400 Jahre später wieder auftaucht: In England.

Man schreibt das Jahr 1882. Von dort kommt es in die Obhut des Berliner Kupferstichkabinetts.

Und wird 50 Jahre später auseinandergerissen, weil Deutschland auseinandergerissen wurde.

Noch vor 10 Jahren hätte es diese Ausstellung nicht gegeben.

Zur Zeit der Teilung Berlins gab es keine Kooperation der beiden Kupferstichkabinette.

Es durfte sie nicht geben.

Es sollte sie nicht geben.

Wir sehen sie nun erstmals vereint und ergänzt durch Leihgaben aus Rom und Amerika.

Ich wünsche der Ausstellung "Sandro Botticelli - Der Bilderzyklus zu Dantes Göttlicher Komödie" viele interessierte Besucherinnen und Besucher bis zum Juni hier in Berlin, im Herbst dann in Rom und im Winter in London.