Redner(in): Johannes Rau
Datum: 4. Dezember 2000

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2000/12/20001204_Rede.html


Zur Person Otto Graf Lambsdorff muss ich wohl nichts sagen. Jeder der hier Anwesenden kennt ihn. Jeder von uns hat auch über viele Monate verfolgen und miterleben können, mit welchem Engagement Graf Lambsdorff als Beauftragter des Bundeskanzlers für einen Erfolg der Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen gearbeitet hat.

Fast jeden Tag waren ungezählte Gespräche und schwierige Verhandlungen diesseits oder jenseits des Atlantiks zu führen. Das ging nicht selten bis an die Grenzen der psychischen und der physischen Leistungsfähigkeit eines Menschen. Mit Ihrem Einsatz und mit Ihrer klugen, umsichtigen und an der Sache orientierten Verhandlungsführung haben Sie die Voraussetzung dafür geschaffen, dass der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Errichtung der Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" am 6. Juli 2000 beschließen konnte.

Sie haben wesentlichen Anteil daran, dass wir Deutschen endlich unserer historischen und moralischen Verantwortung nachkommen gegenüber Männern und Frauen, die in ganz besonderer Weise Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft waren. Dafür möchte ich Ihnen meine Hochachtung und meinen aufrichtigen Dank sagen: Sie haben sich in herausragender Weise um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht!

Uns allen ist bewusst, dass wir die Verbrechen nicht wiedergutmachen können, die Deutsche während der Zeit des Nationalsozialismus begangen haben. Wir alle wissen, dass man die Opfer von Verbrechen mit Geld nicht wirklich entschädigen kann. Viele Menschen wurden durch Sklaven- und Zwangsarbeit für die nationalsozialistische Kriegsmaschinerie planvoll zu Tode gequält. Für sie kommt jede Entschädigung zu spät. Aber mit der Errichtung der Stiftung wollen wir zeigen, dass wir auch ihr Schicksal nicht vergessen: Aus Verantwortung für das Geschehene und im Interesse einer friedlichen und menschenwürdigen Zukunft.

Für diejenigen, die heute noch leben, müssen wir so schnell es geht mit der Auszahlung der finanziellen Entschädigung beginnen. Das ist das mindeste, was wir den Opfern schuldig sind. Sie haben schon viel zu lange warten müssen.

Ich danke all den Unternehmen, die ihren finanziellen Anteil bis heute eingebracht haben. Ich danke ganz besonders jenen Unternehmen, die sich an der Initiative beteiligt haben, obwohl sie selber keine Zwangsarbeiter beschäftigt hatten. Sie haben verstanden, dass historische Verantwortung mehr bedeutet als persönliche Schuld oder Verstrickung und auch mehr als buchhalterisches Kalkül.

Noch vor einem Jahr hätte ich es aber kaum für möglich gehalten, dass manche Unternehmen offenbar anders denken. Dass die deutsche Wirtschaft bis heute noch nicht den ganzen finanziellen Beitrag aufgebracht hat, den sie zugesagt hat, das kann niemand in unserem Land verstehen, und das ist auch im Ausland nicht vermittelbar. Darum will ich noch einmal an die Adresse der Unternehmen, die sich bisher verweigern, wiederholen, was ich schon am 17. Dezember 1999 zum Abschluß der Verhandlungen über die Entschädigungsfragen an dieser Stelle gesagt habe: Stellen Sie sich Ihrer Verantwortung. Erfüllen Sie Ihre selbstgewählte Verpflichtung!

Graf Lambsdorff musste sich in den letzten Tagen Vorwürfe von einer Seite anhören, die eigentlich Grund zur Dankbarkeit hätte. Ich sehe jedenfalls keinen Anlass für solche Diskussionen. Ich sehe aber sehr wohl die großen Verdienste, die sich Graf Lambsdorff in der Regelung der Entschädigungsfrage erworben hat.

Dafür verleihe ich Ihnen nun das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.