Redner(in): Johannes Rau
Datum: 7. Januar 2002
Anrede: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2002/01/20020107_Rede.html
I. als das Land Nordrhein-Westfalen, das ich gut kenne und in dem die Kölner Philharmonie steht, 40 Jahre alt wurde, gab es einen Festakt.
Bei diesem Festakt sprach der frühere Kultusminister Mikat und entwickelte vor uns ein Feuerwerk über die 40 Jahre, von der indischen Mythologie bis zum Alten und Neuen Testament, bis zu den Schwaben, die mit 40 klug werden, das alles hat er vor uns ausgemalt.
Die Chance habe ich heute Abend nicht, denn, was die Zuhörer nicht wissen, aber ahnen:
Hinter mir sitzen Menschen, die die Absicht haben, auf natürliche Weise und liebenswert meine Redenszeit zu begrenzen: ein Orchester. Und was für ein Orchester!
Wir alle sind gekommen, weil wir uns auf diesen Kunstgenuss freuen, auf die Musik, auf das, was gelesen wird, auf das, was wir hören werden - übrigens an einem Tag, der für Köln eine ganz besondere Bedeutung hat.
Heute, am 7. Januar, wird Günter Wand, der hier viele Jahre Gürzenich-Kapellmeister war, 90 Jahre alt. Als ich in der Zeitung las, dass er gestürzt ist und verletzt ist, habe ich ihn angerufen, und ich denke, er ist ein treuer Hörer des Deutschlandfunks. Wir sagen ihm in die Schweiz alle guten Genesungswünsche und sagen, 90 ist kein Alter für einen Menschen wie Günter Wand. Wir wollen ihn noch lange bei uns haben.
II. Nun will ich über den Deutschlandfunk ein paar Sätze sagen. Den Deutschlandfunk mag ich allein schon deshalb, weil er ein Radiosender ist. Es hat Zeiten gegeben - sie sind 30, 40 und mehr Jahre her - , da ist uns gesagt worden, das Radio habe keine Überlebenschance. Die Bilder beherrschten die Welt, das Fernsehen sei das eigentliche Medium.
Nun ist das mit dem Fernsehen eine merkwürdige Sache. Die meisten Menschen versichern Ihnen, Sie sehen nicht oder nur sehr wenig fern. Das stimmt nicht. Im Schnitt sind es 232 Minuten pro Tag. Das Radio übertrifft das Fernsehen mit 256 Minuten, und das ist gut so.
Allein die Differenz von 232 zu 256 zu feiern, ist ein guter Anlass, denn das Radio verbindet Aktualität mit Nachdenklichkeit. Es bedarf nicht der Bilder, sondern der Sprache, der Stimme, der Geräusche.
Ich gestehe, dass ich seit früher Kindheit - und das ist lange her - ein ausgesprochener Radiomensch bin. Das hat bei mir angefangen in Zeiten des Volksempfängers. Der rauschte schrecklich und gab Propaganda von sich.
Heute haben wir Rundfunkanstalten, die keine Propaganda von sich geben, sondern hörbarer Teil unserer Mediendemokratie sind. Die Informationen und kontroversen Diskussionen, die sie anbieten, gehören zur lebendigen Demokratie wie die Luft zum Atmen. Darum ist es gut, dass es Radio gibt, und darum ist es gut, dass es den Deutschlandfunk gibt.
III. Der Deutschlandfunk - daran möchte ich erinnern - ist im Streit entstanden. Es gab vorher die Auseinandersetzung um das Adenauer-Fernsehen, um das sogenannte Staatsfernsehen, und viele in der Landespolitik waren der Meinung, wir brauchen diesen Wiedervereinigungssender nicht, jedenfalls nicht nach Bundesgesetz.
Als der Streit zu Ende war, entwickelte sich ein Sender, dessen qualifizierte Berichterstattung, dessen aufmerksame Kommentierung - für mich jedenfalls - so sehr dazugehört, dass ich mich für einen informierten Menschen halte.
Dann kam der Glücksfall der Wiedervereinigung vor nunmehr elf Jahren, und da gab es wieder Streit. Da gab es nämlich die Meinung, nun habe der Deutschlandfunk seinen eigentlichen Auftrag doch erfüllt, die Wiedervereinigung sei doch da, nun könnten wieder die Landesrundfunkanstalten ihres Amtes walten.
Das tun sie auch, und das ist richtig. Dass aber aus dem Kind Deutschlandfunk, das einmal die Wiedervereinigung herbeireden sollte, inzwischen ein Erwachsener geworden ist, der mithilft, dass wir in Ost und West besser zusammenwachsen, als das bisher gelungen ist, das wiederum ist ein Glücksfall für uns alle.
IV. Vierzig Jahre sind kein Alter, aber vierzig Jahre sind ein Erweis für Tüchtigkeit und Fairness, für gediegenes Programm, für gute Einfälle, für kritische Kommentierung und zuverlässige Nachrichtengebung.
Das alles ist nur das Gerüst, denn in dem Gerüst erleben wir Kultur, Wissenschaft, Musik, Unterhaltung, Berichterstattung auf allen Ebenen. Darum sage ich dem Deutschlandfunk und dem gesamten DeutschlandRadio alle guten Wünsche für die nächsten vier Jahrzehnte.
Vielleicht treffen wir uns zwischendurch gelegentlich, und dann wollen wir wieder einen so liebenswerten Abend erleben, einen solchen kulturellen Genuss, wie er uns für heute Abend versprochen worden ist.
Herzlichen Dank.