Redner(in): Johannes Rau
Datum: 25. Januar 2002
Anrede: Herr Präsident der Nationalversammlung,Herr Premierminister,meine Damen und Herren Abgeordnete,meine Damen und Herren,
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2002/01/20020125_Rede.html
I. ich empfinde es als große Ehre, und ich freue mich darüber, dass Sie, die gewählten Vertreter des malischen Volkes, mich eingeladen haben, zu Ihnen zu sprechen.
Unsere beiden Länder verbinden eine lange Freundschaft und gegenseitiger Respekt.
Der erste deutsche Forschungsreisende, der malischen Boden betrat, war Heinrich Barth. Vor bald 150 Jahren, am 7. September 1853, erreichte er Timbuktu. Dort wurde er von Sheikh Achmed El-Bakáy empfangen, einem großen Islamgelehrten, der Timbuktu in jenen Jahren regierte.
Beide Männer waren universal gebildet und haben mehrere Monate miteinander über religiöse und philosophische Fragen gesprochen. Sheikh Achmed gewährte Barth in Timbuktu Zuflucht und Schutz gegen religiöse Fanatiker, die Barth bedrohten, weil er Christ war. Der Sheikh bewies damit jene traditionelle Toleranz, die für Mali so typisch ist.
Heinrich Barth hat über seine Reisen ausführlich berichtet. Kein anderer Europäer hat so gründlich über den Norden Malis geforscht wie er. Der nächste Deutsche, der Timbuktu erreichte, war Oskar Lenz, ein Vierteljahrhundert später, im Jahre 1880. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts besuchte der berühmte deutsche Anthropologe Leo Frobenius die Orte Segu, Djené und Mopti.
Alle drei kamen als Forscher. Sie waren dem wissenschaftlichen Fortschritt verpflichtet und an Mali interessiert. Deutsche sind in den letzten 150 Jahren stets in friedlicher Absicht in Ihr Land gekommen. Die besonderen freundschaftlichen Beziehungen unserer Länder wurden auch deutlich, als Mali am 22. September 1960 unabhängig wurde und Deutschland der erste Staat war, der das unabhängige Mali völkerrechtlich anerkannte.
II. Anfang der neunziger Jahre haben Kämpfe im Norden Ihres Landes viele Opfer gefordert - Tausende wurden zur Flucht gezwungen. Vor sechs Jahren wurden in Timbuktu feierlich die Waffen verbrannt - mit dem Willen zur Vergebung und zur Versöhnung. Seither ist es gelungen, die Lebensverhältnisse der Menschen wieder zu ordnen, aber auch - und das ist mindestens ebenso wichtig - in den Köpfen und Herzen der Menschen die Grundlagen für ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben zu schaffen. Ich wünschte mir, dass Konfliktparteien in anderen Regionen der Welt sich an Ihnen ein Beispiel nähmen.
Ich freue mich besonders darüber, dass deutsche Entwicklungshelfer von Anfang an an diesem Friedensprozess mitgewirkt haben. Mein Land hat die Aussöhnung zwischen den streitenden Volksgruppen ideell und materiell unterstützt.
Wir haben den Aufbau der kommunalen Infrastruktur und die Gründung landwirtschaftlicher Existenzen im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit gefördert. Neues Land wurde urbar gemacht, und so wurden die Ursachen des Konflikts beseitigt.
Wir wollen auch weiterhin helfen, damit der Friede im Norden Malis dauerhaft bleibt.
Nicht nur in Deutschland wird gern behauptet, Entwicklungshilfe verbessere das Leben der Menschen nicht wirklich. Hier haben wir ein gelungenes Beispiel dafür, dass auch mit geringen Mitteln etwas Großes erreicht werden kann. Ich freue mich schon jetzt darauf, dass ich in den nächsten Tagen auch mit den Menschen in Timbuktu zusammenkommen kann.
III. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes hatten die Menschen weltweit gehofft, dass ein Zeitalter des Friedens beginnen werde. Diese Hoffnungen haben sich leider nicht erfüllt. Neue Konflikte sind ausgebrochen, besonders viele auch auf dem afrikanischen Kontinent. Unter den Kriegen an den Großen Seen, in Guinea, Sierra Leone und Liberia mussten Millionen Menschen leiden. Die schlimmen Folgen dieser Konflikte haben in manchen dieser Länder solche Ausmaße angenommen, dass die Regierungen kaum noch oder nicht mehr in der Lage sind, Ordnung, Stabilität und Sicherheit für ihre Bewohner herzustellen.
Es hat aber auch positive Entwicklungen gegeben, gerade in Westafrika. Die Staaten dieser Region haben gezeigt, dass sie bereit und fähig sind, Konflikte zu lösen. Die "Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten" hat sich bei der Beilegung von Bürgerkriegen in Liberia und in Sierra Leone große Verdienste erworben. Besonders wichtig scheint mir, dass diese regionale Organisation Vermittlungsausschüsse für fünf einzelne Gebiete in Westafrika eingerichtet hat. So können aufkeimende Konflikte schon frühzeitig zu erkannt und im Dialog gelöst werden. Ich wünsche dieser Idee Erfolg und Nachahmung.
IV. Mit der Unabhängigkeit der Kolonien in Afrika verbanden sich in den sechziger Jahren große Hoffnungen und Erwartungen. Vieles hat sich nicht erfüllt. Trotz aller Anstrengungen gehören die Völker Afrikas zu den ärmsten der Welt, ja, die Armut hat vielerorts noch zugenommen. Das darf niemanden gleichgültig lassen, am wenigstens uns Europäer. Afrika ist unser Nachbarkontinent, und wir fühlen uns ihm besonders verbunden. Ein friedlicher, ein prosperierender afrikanischer Kontinent ist auch in unserem ureigenen Interesse.
Mit der Initiative "Neue Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas" haben die afrikanischen Staaten einen mutigen und zukunftsweisenden Schritt getan. Sie nehmen ihr Geschick in die eigenen Hände. Damit haben die Staaten Afrikas einen Weg eingeschlagen, auf dem wir sie gerne begleiten und unterstützen wollen. Sie erwarten unsere Solidarität, und sie müssen sie bekommen.
Mit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes schien Afrika seine strategische Bedeutung verloren zu haben; das politische Interesse wandte sich anderen internationalen Brennpunkten zu. Im vergangenen Jahrzehnt haben die Länder des Nordens ihre politische und moralische Pflicht zur Unterstützung Afrikas nicht so wahrgenommen, wie das richtig gewesen wäre.
Ich sehe aber Anzeichen dafür, dass sich dieser Trend umkehrt. Um Afrikas schwere Schuldenlast drastisch zu vermindern, hat der Kölner G 8-Gipfel auf deutschen Vorschlag hin eine umfassende Entschuldungsinitiative beschlossen. Davon profitieren inzwischen mehr als zwanzig afrikanische Länder, auch Mali. Das hilft Ihnen und anderen Ländern, in Schulen und im Gesundheitswesen zu investieren, statt Zinsen an Banken zu zahlen.
V. Viele Menschen in Afrika sind von heimtückischen Krankheiten bedroht. Aids, Malaria und Tuberkulose treffen vor allem die Armen, jene, die die Gefahren nicht kennen und sich nicht vor ihnen schützen können. Diese Krankheiten, die zum Teil seuchenartige Ausmaße angenommen haben, untergraben alle Anstrengungen für eine nachhaltige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung.
Im Sommer vergangenen Jahres haben Generalsekretär Kofi Annan und die G 8-Staaten einen globalen Fonds für den Kampf gegen Aids, Tuberkulose und Malaria ins Leben gerufen, der privaten wie staatlichen Gebern offen steht. Über eine Milliarde Euro sind bereits zugesagt, 150 Millionen aus Deutschland. Erste Maßnahmen können bald beginnen.
Der Erfolg hängt entscheidend davon ab, dass jeder Mann und jede Frau weiß, wie sie sich vor Ansteckung schützen können. Aufklärung über diese Krankheiten, vor allem über Aids stößt auf Tabus. Wo aber angesehene Persönlichkeiten die Dinge beim Namen nennen, da werden Information über Schutz und Vorbeugung ernstgenommen, da erreichen sie die Menschen.
Ich freue mich daher besonders darüber, dass Sie in Ihrem Land eine Aufklärungskampagne begonnen haben. Bei meinen Fahrten durch die Stadt habe ich überall die Plakate sehen können, die darauf hinweisen.
VI. Mali hat sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entschieden. Es ist fest entschlossen, das Land wirtschaftlich und sozial voranzubringen. Daher fördert Mali besonders gern und besonders stark. Wir konzentrieren uns auf drei Felder: Das erste Feld ist die Dezentralisierung staatlicher Aufgaben. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnisse und Probleme der Menschen können dezentral viel besser erkannt und gelöst werden.
Die Förderung der ländlichen Entwicklung und Landwirtschaft ist das zweite Feld. Dabei unterstützen wir besonders den Erhalt der natürlichen Ressourcen.
Das dritte Feld ist die Versorgung mit Wasser und die Entsorgung von Abwässern. In Ihrem Land, am Rande der Sahara, das von der Wüste bedroht wird, ist Wasser lebenswichtig, für jeden einzelnen und für das ganze Land.
Deutschland setzt sich für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ein. In der deutschen UNO-Stadt Bonn befindet sich das Sekretariat der Internationalen Wüstenkonvention. Ich freue mich besonders darüber, dass Herr Hama Arba Diallo, der Exekutivsekretär des Sekretariats der Konvention der Vereinten Nationen zur Bekämpfung von Wüstenbildung, mich auf dieser Reise begleitet.
In den nächsten Jahren werden wir Sie beim Ausbau des Schul- und Erziehungswesens weiter unterstützen. Dazu gehört auch der muttersprachliche Unterricht an den Grundschulen. Ich freue mich besonders darauf, dass ich bei meinem Besuch im Dogonland auch eine Schule besuchen und mir so ein eigenes Bild machen kann.
VII. Ich möchte an eine Vereinbarung der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1970 erinnern, die wir nicht vergessen sollten. Damals haben sich die reicheren Länder der Welt verpflichtet, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Der Beschluss gilt schon dreißig Jahre, aber er wird nicht erfüllt. Kaum ein Land hat dieses Ziel bis heute erreicht. Das ist eine traurige Wahrheit. Nach meiner Überzeugung müssen wir an dem 0,7 Prozent-Ziel festhalten, weil es vernünftig und angemessen ist.
Zu einer erfolgreichen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit gehört auch die Förderung des Handels. Darum hat die Europäische Union im vergangenen Jahr den europäischen Markt für Produkte aus den Entwicklungsländern weit geöffnet. Damit steht auch der deutsche Markt für Erzeugnisse aus Mali offen. Handwerkskunst und tropische Früchte wie Mangos und Papayas treffen in Deutschland auf immer größere Nachfrage. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass die malische Baumwollwirtschaft Abnehmer in Deutschland finden kann, besonders dann, wenn die Baumwolle aus ökologischem Anbau kommt. Mit mir sind deutsche Unternehmer nach Mali gekommen, die vor Ort prüfen wollen, ob sie sich in Ihrem Land wirtschaftlich engagieren können.
Wenn sich ein deutscher Unternehmer entscheidet, in Mali zu investieren, dann ist die Bundesregierung bereit, dieses Engagement abzusichern. Die afrikanischen Regierungen müssen dafür sorgen, dass ihre Länder für ausländische Investitionen attraktiver werden.. Unternehmer investieren dort, wo die politischen Bedingungen stabil, wo das Rechtssystem und der Rechtsvollzug zuverlässig sind und wo sich der Einsatz lohnt.
VIII. Europa und Afrika haben die Chance für eine gute Entwicklung nach dem Ende der Kolonialzeit nicht genutzt. Jetzt bietet sich uns eine zweite Chance. Mali hat sie ergriffen. In Ihrem Land herrschen politischer Pluralismus, Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt in den Medien. In Kürze werden wichtige Wahlen stattfinden, und jeder kann darauf vertrauen, dass sie nach demokratischen Grundsätzen ablaufen werden.
Wir Europäer haben die Verpflichtung, Sie zu unterstützen. Deutschland wird das tun, - im Interesse von Freiheit und Gerechtigkeit im Interesse einer gedeihlichen Entwicklung zum Wohle der Menschen in Mali.