Redner(in): Johannes Rau
Datum: 14. Juni 2002

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2002/06/20020614_Rede2.html


vor ungefähr zehn Jahren kam die japanische Kaiserin auf die Idee, während ihres Besuches in Nordrhein-Westfalen Bethel zu besuchen. Ich fand das gar nicht gut und habe damals immer Gegenvorschläge gemacht, weil ich dachte, so ein Besuch eines Kaiserpaares in einer so großen Einrichtung wie Bethel, das wäre nicht so gut. Ich wollte verhindern und vermeiden, dass da Menschen ausgestellt werden. Aber die blieben stur, die wollten nach Bethel.

Dann sind wir hier eingeflogen, 1993, und das war so schön und so erfrischend. Als wir hier ankamen - die Neue Schmiede gab es ja noch nicht - hatte die Theatergruppe mit Frau Warns zur Begrüßung ein wunder-schönes Stück inszeniert. Dann bin ich mit dem Kaiser - der heißt ja Tenno in Japan - durch eine Werkstatt gegangen, und da hat einer, der da arbeitete, seine Arbeit mal liegenlassen und den Kaiser gefragt: "Wie bist ' e eigentlich hierher gekommen?" Ich gestehe, wenn man von einem Japanbesuch weiß, wie kaiserlich das Kaiserpaar ist, dann denkt man, jetzt gibt es eine Krise, aber dann hat der Kaiser diesem jungen Mann den Weg erklärt, aus dem Kaiserpalast nach Bethel. Erst mit dem Auto, dann mit dem Flugzeug, zwischendurch mit dem Schiff, im Hubschrauber, wieder mit dem Flugzeug, wieder mit dem Auto - das war gut und verständlich. Nun fahren meine Frau und ich nächste Woche zum Kaiser und - wir kennen jetzt den Weg!

Ich finde es einfach schön, dass ich neun Jahre nach dieser Begegnung hier in Bethel wieder mal nach Japan reisen kann. Wenn wir jetzt nach Thailand, nach Korea und dann nach Japan reisen - in ziemlich feuchtes Klima, weit entfernt, mit Zeitunterschied - dann wird die einzige Zeit der Erholung, die wir haben, die sein, die wir im Stadion bei der Fußballweltmeisterschaft verbringen; also mal sehen, wie das wird.

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die als Symbol nicht den Ellenbogen hat, sondern die ausgestreckte Hand. Bethel kann ein Stück weit für diese Gesellschaft stehen. Nicht alles ist wie in Bethel, es ist auch nicht alles gut in Bethel. Wer Bethel viele Jahre und Jahrzehnte kennt, der weiß: Das, was unsere Welt kennt, das kennt auch Bethel: Konkurrenzen, Futterneid, Stress, Überarbeitung, auch manche Überarbeitung weil andere sich vielleicht zu wenig einbringen. Das ist hier kein Paradies, sondern eine alltägliche Welt, aber Bethel ist zugleich ein Stück Gegenentwurf zu einer Welt, in der man ständig zu neuen Zielen rennt oder glaubt rennen zu müssen. Darum finde ich es gut, dass Bethel in Deutschland und weltweit ein Symbol geworden ist für die gelebte Mitmenschlichkeit und gleichzeitig ein Ort wissenschaftlicher Forschung und Erkenntnis und eine Stätte, in der Behinderte und Nichtbehinderte - oder besser Behinderte und solche, die ihre eigene Behinderung nicht kennen und spüren - zusammen leben.

Man muss ein bisschen die Geschichte Bethels in diesen 135 Jahren kennen, da gab es ja tolle Sachen. 1934 war in Bethel das Reichslager der Schülerbibelkreise. Damals war Friedrich von Bodelschwingh Reichsbischof - Fritz von Bodelschwingh. Da haben sie gesammelt für eine Glocke in Siebenbürgen. Die ist dann 1934 nach Siebenbürgen überbracht worden. Ich hab mir die Glocke jetzt mal angehört. Sie hat einen guten Klang.

Der alte Friedrich von Bodelschwingh aus Delwig wurde ja 1904 Abgeordneter im Preußischen Landtag. Ich habe hier in Bethel einmal einen Vortrag über sein Leben gehalten. Er schrieb immer Briefe an den Kronprinzen Wilhelm, den späteren Kaiser Wilhelm II. und forderte stärkere Sozialgesetze mit der Begründung, wenn er die nicht schaffe, würde die SPD noch mehr Stimmen kriegen. Das wolle er vermeiden, sagte Bodelschwingh. Politisch war Friedrich von Bodelschwingh ja durchaus. Er hat sich dann auch ab und zu mit August Bebel unterhalten und hat später sehr beeindruckt von Bebel berichtet. Besonders schön fand ich, dass auch August Bebel, der ja ein vornehmer und starrer Handwerks-meister war, wiederum von Bodelschwingh beeindruckt war.

Friedrich von Bodelschwingh hat ja Bethel nicht gegründet, aber er ist sehr früh gekommen, und er hat Bethel in einem Maße geprägt, wie das sicher von keiner anderen diakonischen Einrichtung und keinem Menschen so gesagt werden kann.

Dann möchte ich natürlich gerne etwas sagen über die Kirchliche Hochschule Bethel und über die Schulen überhaupt. Noch als Ministerpräsident habe ich ja Probleme mit der Finanzierung der einen hier gehabt - das war ja schwierig. Aber ich fand, wir haben das mit Fantasie und diesseits der Rechtsordnung einigermaßen zustande gebracht. Ich habe da also ganz viele Stichworte im Zusammenhang mit Bethel.

Ich darf aber nicht zu spät kommen, denn ich muss heute noch nach Bayern, genauer gesagt, nach Passau. Wir müssen sogar in Österreich landen, damit wir in Passau pünktlich ankommen. Da ist dann ein Fest, das der deutsch-amerikanischen Freundschaft dient, zu dem der amerikanische Botschafter kommt. So ist das auch wieder ein ausgefüllter Tag.