Redner(in): Johannes Rau
Datum: 23. Oktober 2002

Anrede: Meine Damen und Herren,
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2002/10/20021023_Rede.html


für mich besteht kein Zweifel: Die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit auch der Wohlstand, den wir erwirtschaften können, hängt entscheidend ab von der Qualifikation unserer Arbeitnehmer. Darum ist es so wichtig, dass wir ein modernes Ausbildungssystem haben und darum wird es zunehmend wichtiger werden, dass wir einen gut ausgebauten, einen modernen und einen flexiblen Weiterbildungssektor haben. Beides, Ausbildung und Weitbildung, ist kein Luxus, sondern ein existentielles Gut. II.

Die Betriebe begründen ihre Zurückhaltung bei der Ausbildung häufig damit, dass sie die Lehrlinge nach der Prüfung nicht übernehmen könnten. Mehr als eine Vermutung kann das aber doch nicht sein. Die wirtschaftliche Lage kann sich in drei Jahren ganz anders darstellen, aber auch wenn das nicht so wäre: Ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung hat ein junger Mensch auf dem Arbeitsmarkt heute keine Chance.

Viele sagen auch, die Ausbildung im eigenen Betrieb sei ihnen zu teuer. Sie erwarten offensichtlich, dass andere die Ausbildungskosten tragen und sie selber den Nutzen haben. Das ist weder vorausschauend noch verantwortungsvoll gedacht. Wer nur betriebswirtschaftlich rechnet, der fährt auf sehr kurze Sicht, denn er schafft sich und anderen heute die Probleme, die er dann morgen nicht lösen kann. Die duale Ausbildung darf jedenfalls nicht als Sündenbock herhalten dafür, dass sich mancher Betrieb seiner gesellschaftlichen Verantwortung entzieht.

Es bleibt dabei: Die berufliche Ausbildung junger Menschen ist eine Aufgabe, die die Betriebe erbringen müssen, für sich, für die jungen Frauen und Männer und in unser aller Interesse. Ich kenne viele Betriebe, die über ihren eigenen Bedarf hinaus ausbilden. Dafür bin ich dankbar und dafür sage ich den verantwortungsvollen Unternehmern und Handwerksmeistern meinen Dank.

Es ist nicht immer die Schuld der Politik, wenn notwendige Reformen verzögert oder ausgebremst werden. Beharrungstendenzen und Besitzstandswahrung kenne ich auch in der Wirtschaft und in ihren Verbänden.

III. IV.