Redner(in): Johannes Rau
Datum: 11. Dezember 2002

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2002/12/20021211_Rede.html


I. Herzlich willkommen im Schloss Bellevue.

Vielen Dank für das Gastgeschenk, das Sie mitgebracht haben.

Vielen Dank für den Zwischenbericht zur "Zukunft von Oper und Theater in Deutschland".

Ich danke allen, die daran mitgedacht, mitgearbeitet und mitgeschrieben haben.

Die Arbeitsgruppe hat in unterschiedlicher Zusammensetzung fünfmal getagt: In Hamburg und München, hier nebenan im Bundespräsidialamt und zweimal in der Villa Hammerschmidt in Bonn. Sie hat viele Stunden diskutiert, gestritten und sich dann auf den Text verständigt, den Sie mir heute mitgebracht haben.

Sie haben damit eine Bitte von mir erfüllt, die ich am 28. Juni des vergangenen Jahres ausgesprochen hatte. Damals hatte ich hier her ins Bellevue Intendanten und Regisseure, Vertreter von Bund, Ländern und Gemeinden eingeladen, um mit ihnen über die Situation der Theater und der Opern zu sprechen.

II. Die Arbeitsgruppe bezeichnet ihre Ergebnisse bewusst als "Zwischenbericht".

In kluger Selbstbescheidung hat sie darauf verzichtet, fertige Antworten oder gar Patentrezepte zu liefern.

Dieser Zwischenbericht soll eine breite Diskussion anstoßen, an der sich alle beteiligen sollten, die sich für Theater und für Oper interessieren oder damit zu tun haben - im engeren oder im weiteren Sinne.

Theater und Oper sind so wichtige Einrichtungen in unserer Gesellschaft, dass wir sie nicht den Fachleuten und den Spezialisten allein überlassen dürfen. Wir müssen uns als Gesellschaft darüber im Klaren werden, welche Zukunft wir Oper und Theater in Deutschland geben wollen. Von diesem Selbstverständnis hängt ab, welche konkreten Schritte nötig sind, damit Oper und Theater in Deutschland eine gute Zukunft haben.

III. Die Autoren des Zwischenberichts, der heute öffentlich gemacht wird, haben dazu eine klare Position. Sie sehen in den Theatern "ein großes historisches Erbe, dessen unvergleichliche Qualität und Quantität es zu erhalten und fortzuentwickeln gilt."

Ich stimme dem umso lieber zu, als die Autoren an anderer Stelle ebenso unmissverständlich sagen: Die Zukunft der Theater insgesamt zu sichern, das werde nicht gehen,"ohne dass sich die Theaterbetriebe wesentlich verändern. Zukunftssicherung liegt auch für die Theater in ihrer Modernisierung."

Änderungen sind nötig auf ganz unterschiedlichen Feldern:

Das beginnt beim Stellenwert und den Budgets der Kulturförderung, das geht über ein zeitgemäßes Theaterverständnis und die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Betrieb von Theatern und die Arbeit der Beschäftigten bis hin zu der Frage, wie die Erkenntnisse moderner Betriebsführung und des Marketing besser für den Theaterbetrieb genutzt werden können.

In vielen Punkten bezieht der vorliegende Zwischenbericht deutlich Position.

Bei anderen Themen wird deutlich, wie unterschiedlich der Blickwinkel auf ein und den selben Sachverhalt sein kann. Darum stehen am Ende des Zwischenberichtes Fragen; Fragen, die deutlich machen, worüber diskutiert werden muss, wenn man Veränderungen zugunsten von Oper und Theater erreichen will.

Ich nenne als Beispiele drei dieser Fragen, die sich auf ganz unterschiedliche Themen beziehen:

Schon diese drei Fragen machen deutlich: Das ist ein Papier von Praktikern, die mit Karl Valentin wissen, dass Kunst schön ist, aber viel Arbeit macht. Damit aus der vielen Arbeit möglichst viel und möglichst gute Kunst wird, sollte die Arbeit unter möglichst günstigen Bedingungen stattfinden und wenig behindert werden.

Ich habe die herzliche Bitte an alle, die auf ganz unterschiedliche Weise Verantwortung für Oper und Theater in Deutschland tragen: Stellen Sie sich den Fragen! Verschanzen Sie sich bitte nicht hinter Thesenpapieren und Beschlusslagen aus vergangenen Jahren! '

Wir brauchen auf vielen Feldern neue Antworten und nicht Reproduktionen aus der Klischeeanstalt. Wir brauchen einen neuen Anlauf, damit die Probleme, die es ja ganz offenbar gibt, vernünftig gelöst werden können.

IV."Kulturpolitiker und Theaterleute werden Hand in Hand arbeiten müssen, und sie werden sich mit den Haushaltsgewaltigen zusammenraufen müssen, um die derzeitige Krise, die zu aller erst eine Struktur- und eine allgemeine Finanzkrise der theatertragenden Städte ist, zu überwinden."

Das ist ein Zitat. Es klingt ganz aktuell, ist aber aus dem Jahr 1972. Das hat Willy Brandt am 17. September 1972 im Düsseldorfer Schauspielhaus gesagt.

Wie aktuell diese Mahnung leider ist, zeigt eine einzige Zahl:

In den vergangenen zehn Jahren ist an den deutschen Theatern und Opern jeder achte Arbeitsplatz abgebaut worden, mehr als fünfeinhalbtausend von fünfundvierzigtausend Arbeitsplätzen.

Darum muss es das gemeinsame Interesse aller am Theater Beteiligten und aller am Theater Interessierten sein, dass wir eine neue gesellschaftliche Selbstverständigung zugunsten von Oper und Theater erreichen, ein gesellschaftliches Bündnis zur Sicherung dieses großen kulturellen Erbes. Theater müssen zu modernen Betrieben werden, die künstlerisch erfolgreich arbeiten und möglichst viele Zuschauer für sich gewinnen.

Die Zukunft der Theater darf nicht eine Addition von Notlösungen sein. Ganz praktisch gesprochen: Lohnverzicht ist genauso wenig eine dauerhafte Lösung wie veraltete Berufsbilder, die den Theaterbetrieb erschweren und verteuern.

Es geht um nichts Geringeres als um unser Selbstverständnis als Kulturnation.

Das Theater, die Oper, die Musik, sie alle leben von der Kreativität derer, die sie schreiben, spielen, singen. Kreativität brauchen wir auch bei der Suche nach Antworten darauf, wie die Theater in Zukunft am Besten organisiert und finanziell gesichert werden können, unter welchen Bedingungen die Beschäftigten erfolgreich arbeiten können und was getan werden muss, damit Oper und Theater für möglichst viele Menschen attraktiv sind.

Ich nütze die Gelegenheit, dass heute so viel Theatersachverstand hier zu Gast ist und möchte mit Ihnen gleich über diese Fragen sprechen. Ich werde den Zwischenbericht den für Kunst und Kultur politisch Verantwortlichen in den Ländern, für die Städte und im Bund zur Kenntnis geben. Ich verbinde das mit der Bitte, dass alle ihre Beiträge zu dieser notwendigen Diskussion und zu den notwendigen Entscheidungen leisten.

Die Diskussion soll uns den neuen Schwung bringen, den wir brauchen. Stillstand können wir uns nicht leisten.

Für den kommenden Sommer möchte ich zu einer nächsten Gesprächsrunde einladen. Ich wünsche mir heute, dass ich dann werde sagen können:

Es ist etwas in Bewegung gekommen. Die Richtung stimmt. Wir wollen, dass Oper und Theater in Deutschland eine gute Zukunft haben und alle bereit sind, dazu ihren Beitrag zu leisten.

Zwischenbericht der Arbeitsgruppe "Zukunft von Theater und Oper in Deutschland"