Redner(in): Johannes Rau
Datum: 22. Januar 2003

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2003/01/20030122_Rede.html


Hinweis: Bundespräsident Johannes Rau konnte an dem Empfang nicht teilnehmen. Seine Frau Christina verlas sein Grußwort in Vertretung.

Vor einigen Wochen hat die bekannte Meinungsforscherin Frau Professor Noelle, die vor Jahrzehnten das Meinungsforschungsinstitut in Allensbach aufgebaut hat, einen langen Zeitungsartikel veröffentlicht.

Als ich den las, musste ich gleich an den Förderwettbewerb denken. Die Meinungsforscher sind, schrieb Frau Noelle, der Frage nachgegangen, ob die deutsche Einheit mittlerweile vollendet sei. Die Meinungsforscher befragten dazu viele Ostdeutsche und Westdeutsche und kamen zu dem Ergebnis: Es gibt noch immer eine anhaltende Fremdheit zwischen Ost und West, und nur jeweils ein Drittel der Ostdeutschen und der Westdeutschen hat einen ziemlich engen Kontakt mit Deutschen auf der anderen Seite der ehemaligen Grenze. Das sei auch bei den jungen Leuten in Ost und West nicht anders. Darum, so die Meinungsforscher, werde es wohl noch sehr lange deutliche Unterschiede geben.

Das Gefühl der Fremdheit zwischen den Ostdeutschen und den Westdeutschen bedeute aber nicht Feindseligkeit. Wenn man die Leute frage, wie denn das letzte Gespräch zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen abgelaufen sei, an dem sie teilgenommen hätten, dann antworteten sieben von zehn Befragten: "Wir haben uns gut verstanden." Und als man fragte, was denn geschehen müsse, damit die Deutschen in Ost und West einander näher kämen, da stand auf dem ersten Platz aller Vorschläge in Ost und West: Die Westdeutschen und die Ostdeutschen müssten mehr gemeinsam unternehmen und "mehr miteinander sprechen". Diese Antwort, schreibt Frau Professor Noelle, entspreche genau den Ergebnissen der Kommunikationsforschung: Am wirksamsten für mehr Gemeinsamkeit sei das persönliche Gespräch.

Mit anderen Worten: Nun haben wir den wissenschaftlichen Beweis und die wissenschaftliche Begründung dafür, warum der Förderwettbewerb von Anfang an bis heute so goldrichtig und so unglaublich erfolgreich war.

Diesen Erfolg kann man eigentlich nicht in Zahlen messen, denn seine wichtigste Wirkung ist ja die Veränderung in den Köpfen und in den Herzen, und die lässt sich nicht abzählen. Wenn man aber weiß, dass seit 1992 rund 60.000 Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer am Förderwettbewerb teilgenommen haben, wenn man weiß, dass rund 930 Projekte, also mehr als 1.800 beteiligte Schulen gefördert worden sind, dann beginnt man zu ahnen, was der Förderwettbewerb für die innere Einheit Deutschlands geleistet hat.

Ich danke allen, die diesen großartigen Erfolg möglich gemacht haben - den Stiftungen, allen voran der Robert Bosch Stiftung und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, den Ländern und all denen, die in der Geschäftsstelle des Wettbewerbs und in vielen anderen Institutionen unermüdlich für das gute Gelingen tätig waren.

Mit dem zehnten Durchgang endet der Förderwettbewerb in seiner bisherigen Form; aber das ist kein völliger Abschied: Die Idee und der Name des Förderwettbewerbs leben in dem Förderprogramm weiter, das die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und ihre Partner unter dem Dach meiner Initiative schulpartnerschaften.de eingerichtet haben. Dort läuft der Zwillingsbruder des Förderwettbewerbs schon seit 2002, und der Zuspruch bei den Schulen in Ost und West ist erfreulicherweise genauso rege, wie wir das vom Förderwettbewerb kennen.

Nun habe ich so einiges über die Geschichte des Förderwettbewerbs und über den großen Beitrag gesagt, den er im Lauf seiner zehn Jahre zum besseren Miteinander von Schülern und Lehrern aus Ost und West und damit auch zur inneren Einheit unseres Landes geleistet hat.

Eine solche Bilanz ist an einem Tag wie diesem angemessen und geboten, doch wollen wir darüber etwas anderes auch nicht vergessen: Der Förderwettbewerb hat vor allem ordentlich Leben in die Bude gebracht!

Es ist ein großes Abenteuer, gemeinsam ein Projekt zu entwickeln. Es macht Herzklopfen, zum Besuch der Partnerschule aufzubrechen und sich das erste Mal zu begegnen. Es kann geradezu nervenzerfetzend sein, wenn man sich bei der Projektarbeit zuerst nicht einigen kann oder wenn die gemeinsamen Pläne wieder und wieder fehlschlagen. Und es ist einfach grandios, schließlich doch gemeinsam Erfolg zu haben, vielleicht sogar auf der Bühne zu stehen und im Applaus zu baden und am Ende gemeinsam die Schlussfete zu feiern.

Einen kleinen Geschmack von all dem werden wir nun gleich durch die Präsentation einiger Projekte bekommen. Ich freue mich darauf und heiße Sie alle noch einmal ganz herzlich willkommen.