Redner(in): Johannes Rau
Datum: 26. Juni 2003

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2003/06/20030626_Rede2.html


I. Sehr geehrter Herr Präsident Ciampi,

Herr Professor Dr. Jürgen Mlynek, Präsident der Humboldt-Universität und

lieber Herr Professor Dr. Richard Schröder, Mitglied des Senats Deutsche Nationalstiftung,

meine Damen und Herren,

Präsident Ciampi und ich haben unsere Ämter als Staatsoberhaupt fast gleichzeitig angetreten. Er hat mich kurz darauf am 14. Juli 1999 in Berlin besucht. Ich war ziemlich aufgeregt, denn es war für mich als neugewähltes Staatsoberhaupt das erste Treffenmit einem ausländischen Staatsgast. Seitdem haben wir uns viele Male getroffen, und immer standen bei unseren Gesprächen Europa und die europäische Integration im Vordergrund.

Unsere gewachsene persönlich Freundschaft ist nur ein kleiner Teil der zahlreichen und intensiven deutsch-italienischen Begegnungen und der vielen Gemeinsamkeiten.

Lassen Sie mich gar nicht erst Goethe bemühen, sondern mich gleich der Gegenwart zuwenden:

Von der Liebe der Deutschen für die italienische Oper und die italienische Küche und von unserer gemeinsamen Leidenschaft für den Fußball muss ich nicht lange reden.

II. Meine Damen und Herren,

Präsident Ciampi und ich gehören einer Generation an, die das Europa der Feindschaft, das Europa des Hasses und der Kriege noch gekannt hat. Wir wissen, welche Bedeutung die europäische Zusammenarbeit für das friedliche Miteinander der europäischen Völker hat, für die Stabilität und für den wirtschaftlichen Wohlstand auf unserem Kontinent. Und darum haben wir uns bemüht, mit vielen gemeinsamen Initiativen und bei Veranstaltungen wie dieser hier dem europäischen Einigungsprozess neue Impulse zu geben. Denn wir wissen doch: Stillstand bedeutet Rückschritt und die Uneinigkeit der europäischen Staaten in der Irak-Krise muss Ansporn sein für mehr gemeinsames Handeln und für bessere Abstimmung.

Mit den Vorschlägen des Konvents für eine europäische Verfassung wird die richtige Richtung vorgegeben, auch wenn manche sich in einigen Punkten mehr erhofft haben. Ich glaube, dass das Ergebnis des Konvents eine gute Grundlage für den Beginn der Regierungskonferenz ist, so wie es auch der Europäische Rat in Thessaloniki festgestellt hat, und ich wünschte mir, dass die Regierungskonferenz sich schnell auf eine gemeinsame Verfassung einigen wird. Ein Abschluss der Verhandlungen unter italienischer Präsidentschaft in der zweiten Hälfte dieses Jahres hätte wahrlich große symbolische Wirkung.

III. Deutschland und Italien haben die europäische Zusammenarbeit von Beginn an aus Über-zeugung gefördert. Gemeinsam und oft in enger Verbundenheit mit anderen Partnern haben sie am europäischen Einigungswerk mitgearbeitet. Konrad Adenauer und Alcide de Gasperi gehörten zu den Gründervätern. Ihnen sind auf beiden Seiten der Alpen viele gefolgt. Ich nenne allein die Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Emilio Colombo, deren gemein-same Initiative zu einem weiteren Einigungsschritt geführt hat, der einheitlichen europäischen Akte. Nach Jahren der Stagnation war sie der erste große Reformschritt in der damaligen Europäischen Gemeinschaft.

Heute steht an der Spitze des italienischen Staates ein überzeugter und ein leidenschaftlicher Europäer. Carlo Azeglio Ciampi hat den europäischen Weg Italiens maßgeblich mitgestaltet. Er hat Italien in die europäische Wirtschafts- und Währungsunion geführt und er ist einer der Väter des Euro. Er hat immer wieder an die besondere Verantwortung erinnert, die Italien als "Gründerstaat" der Europäischen Gemeinschaften für Europa hat. Ich teile seine Über-zeugung, dass die Europäische Union nicht nur bloß eine Zweckgemeinschaft sein darf, sondern immer auch Wertegemeinschaft sein muss. Die europäische Zusammenarbeit ist der einzige Weg, um die europäische Mitsprache in der Welt auch langfristig zu sichern.

In weiß mich in vielen Punkten mit Carlo Ciampi einig:

Ich bin sicher, dass wir noch viele Gelegenheiten haben werden, um zu zeigen, dass wir "die italienisch-deutsche Freundschaft in den Dienst der europäischen Integration stellen" können. Weil das so ist, freue ich mich mit Ihnen auf die Rede des italienischen Staatspräsidenten.

Herzlich willkommen Carlo Ciampi.