Redner(in): Johannes Rau
Datum: 27. November 2003

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2003/11/20031127_Rede.html


Die wurde Rede vom Chef des Bundespräsidialamtes, Herrn Staatssekretär Rüdiger Frohn vorgetragen.

I. Am Anfang der deutsch-brasilianischen Entwicklungszusammenarbeit stand ein Dokument, das recht unscheinbar war. Das Rahmenabkommen für die technische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Brasilien vom 30. November 1963 regelte eher bürokratische Details.

Viele solcher Abkommen, das wissen wir alle, werden unterzeichnet und geraten dann in Vergessenheit.

Für die deutsch-brasilianische Zusammenarbeit aber war das Rahmenabkommen der Beginn einer fruchtbaren und erfolgreichen Kooperation, wie man sie nicht häufig findet.

Technische Zusammenarbeit und Entwicklungszusammenarbeit sind ein wichtiges Stück Friedenspolitik. Sie tragen dazu bei, die Lebensgrundlagen der Menschen dauerhaft zu verbessern. Sie haben das Ziel, Menschen aus Armut zu befreien und ihnen die Freiheiten zu geben, die sie brauchen, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Das alles stand so nicht im deutsch-brasilianischen Rahmenabkommen vom November 1963, aber das ist der Geist, der dieses Abkommen trägt.

II. Die Welt hat sich in den vergangenen vierzig Jahren gewandelt und damit haben sich auch viele Aufgaben der Zusammenarbeit weiter entwickelt und gewandelt.

Wir leben heute in einer Welt, in der wir stärker aufeinander angewiesen sind denn je, über alle trennenden nationalen Grenzen hinweg, über alle Kontinente hinweg.

Globalisierung ist ja nicht nur ein Schlagwort - und für manche ein Kampfbegriff. Globalisierung ist Wirklichkeit, in allen Bereichen des Lebens und Arbeitens.

Die Globalisierung kann helfen, mehr Wohlstand auf der Welt zu schaffen und den Wohlstand gerechter zu verteilen. Damit das gelingen kann, muss die Globalisierung aber politisch gestaltet werden.

Die Globalisierung darf kein Vorwand dafür sein, entwicklungspolitisch die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten.

Ganz im Gegenteil: Die Globalisierung bringt für die Entwicklungszusammenarbeit neue Herausforderungen, die wir gemeinsam meistern müssen und meistern können: aktiv und partnerschaftlich.

III. Eine der immer drängender werdenden Herausforderungen ist die fortschreitende Gefährdung und Zerstörung der Umwelt.

Vor elf Jahren fand hier in Brasilien, in Rio de Janeiro, eine Weltumweltkonferenz statt, die damals Anlass gab zu den kühnsten Hoffnungen. Die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung von 1992 schien einen ermutigenden Wendepunkt in der internationalen Umweltpolitik zu markieren.

Die Agenda 21 spiegelt den Willen eindrucksvoll wieder, weltweit und gemeinsam etwas zu tun.

Nach der Konferenz von Rio hat aber in vielen Teilen der Welt eine Phase der ökonomischen Stagnation und vielfach sogar der Rezession eingesetzt.

Ich nenne als Stichworte: Asienkrise, Rußlandkrise und auch Südamerikakrise.

Auch in Westeuropa wurden die zu geringe Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung und die mangelhaften Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zum alles beherrschenden Thema.

Häufig wurde die Umweltpolitik an den Rand gedrängt. Manche beschuldigen die Umweltpolitik sogar, die wirtschaftliche Krise zu verschärfen.

Das ist eine Fehleinschätzung. Ökonomie und Ökologie sind keine Gegensätze. Wer beides gegeneinander ausspielen will, der hat nicht verstanden, was Nachhaltigkeit bedeutet, dieser Kernbegriff der Konferenz von Rio.

Nachhaltigkeit heißt doch, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu erfüllen, dass die Entwicklung künftiger Generationen nicht gefährdet wird. Das muss der Maßstab unseres Handelns sein. Dazu kann jeder mit seinen eigenen Kräften beitragen, und wir können und müssen uns gegenseitig dabei unterstützen.

Es hat keinen Sinn, den Schutz der Umwelt gegen Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze auszuspielen. Wer das tut, der blockiert den Weg in eine gute Zukunft.

Das hat die Versicherungswirtschaft erkannt, eine Branche also, die sich an Fakten und Zahlen orientiert und nicht an oft belächelten guten Absichten.

Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft in Deutschland schrieb vor kurzem: "Mindestens so vernichtend wie Erdbeben und Überflutungen wirken schleichende Prozesse wie die Wüstenbildung oder auch das grassierende Artensterben. Heute gilt Wassermangel gemeinhin als die Kriegsursache der Zukunft. Das langsame Voranschreiten dieser Phänomene verstellt uns gern den Blick für ihre Brisanz - und für unsere Verantwortung."

Moderner Umweltschutz bedeutet ja nicht Askese und Verzicht, es geht nicht um "immer weniger" und "immer teurer", es geht um mehr Lebensqualität für alle in einer intakten Umwelt.

Es geht darum, den Umweltverbrauch weltweit mit moderner Technik zu vermindern. Das wird ohne technische und finanzielle Unterstützung der wirtschaftlich hoch entwickelten Länder nicht gelingen.

Dabei geht es nicht darum, westliche Hochtechnologie eins zu eins in andere Länder zu verpflanzen. Da sind die Voraussetzungen zu unterschiedlich.

Es geht vielmehr darum, angepasste Techniken zu entwickeln und Netze zu bilden zwischen Ländern mit ähnlichen Voraussetzungen.

Was sich unter vergleichbaren Bedingungen praktisch bewährt hat, das muss weitergegeben werden. Dabei müssen die Industrieländer des Nordens helfen.

Darum ist es auch so wichtig, die technische Zusammenarbeit zwischen den Ländern weiter auszubauen. Brasilien kann dafür im südamerikanischen Raum eine wichtige Rolle spielen.

IV. Brasilien ist ein Land mit einer faszinierenden Naturvielfalt. Fast jedes Kind in Deutschland kennt das Amazonasgebiet als die "grüne Lunge der Erde", als Synonym für die Vielfalt und die Schönheit der Schöpfung.

Brasilien ist auch eines der artenreichsten Länder der Welt. Zwischen 15 und 30 Prozent aller Spezies dieser Erde sind allein im Amazonasgebiet zu Hause. Das ist ein Geschenk, ein Reichtum der ganzen Menschheit, den wir auch alle gemeinsam bewahren müssen.

Das "Internationale Pilotprogramm zur Bewahrung der tropischen Regenwälder in Brasilien" ist ein guter Ansatz für dieses Ziel. Seit 1992 hat die deutsche Bundesregierung dafür mehr als 275 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Die Zerstörung der Natur hat ganz unterschiedliche Ursachen.

In vielen Ländern zwingt die Armut die Menschen dazu, die Natur ohne Rücksicht auf die Zukunft auszubeuten.

Langfristig sind die Folgen verheerend: Böden vertrocknen, versteppen und werden unfruchtbar.

Eine andere Ursache der Umweltzerstörung ist der vielerorts allzu verschwenderische Umgang mit endlichen Energieträgern.

Die Kohlendioxid-Emissionen aus dem Straßenverkehr, aus der industriellen Produktion und aus den privaten Haushalten sind die Hauptursachen für die Klimaveränderungen, die überall auf der Welt spürbar sind.

Darum ist es so wichtig, dass wir weltweit viel stärker als bisher auf die Energie der Sonne setzen, auf Wärme, Kraft und Strom aus Sonnenergie, aus Windkraft, aus Biomasse und - wo das umweltverträglich möglich ist - auch Wasserkraft nutzen.

Ich war gerade bei der Unterzeichnung eines deutsch-brasilianischen Abkommens über die finanzielle Zusammenarbeit im Bereich erneuerbarer Energien zugegen. Mit der Unterzeichnung dieses Abkommens stehen nun zusätzlich rund 13,3 Millionen Euro für erneuerbare Energien im Norden und Nordosten Brasiliens zur Verfügung.

Ich begrüße dies Abkommen nachdrücklich. Es zeigt, dass Deutschland und Brasilien sehr ernsthaft an der verstärkten Nutzung unerschöpflicher Energien interessiert sind und gemeinsam etwas dafür tun.

Wir stehen gemeinsam zu unserer globalen Verantwortung. Wir tun das auch in dem Wissen, dass jeder, der seine Wirtschaft nicht effizienter macht und auf die Nutzung unerschöpflicher Energiequellen ausrichtet, in einen harten Verteilungskampf um die knappen Erdölreserven der Welt geraten wird.

Ich freue mich auch darüber, dass Deutschland und Brasilien gemeinsam dafür arbeiten, dass das Kyoto-Protokoll endlich in Kraft tritt und seine positiven Wirkungen entfalten kann. Es ist höchste Zeit dafür.

V. Auf dem Weltumweltgipfel von Johannesburg hat der deutsche Bundeskanzler zu einer internationalen Regierungskonferenz für erneuerbare Energien im Juni 2004 nach Bonn eingeladen. Die Vorbereitungen für diese Konferenz laufen auf Hochtouren, nicht nur in Deutschland.

Brasilien hat es übernommen, die koordinierende Rolle für diese Konferenz im lateinamerikanischen und karibischen Raum zu übernehmen. Dafür danke ich der brasilianischen Regierung und auch dafür, dass sie in der internationalen Klimapolitik entscheidend dazu beiträgt, Brücken zu schlagen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.

Morgen beginnt hier in Brasilia die nationale Umweltkonferenz.

Ich weiß, dass das Thema Umweltschutz in Brasilien intensiv diskutiert wird und bei einigen konkreten Projekten auch sehr kontrovers.

Ich kann und will mich in diese internen Diskussionen nicht einmischen. Ich weiß aus Deutschland, wie schwierig es manchmal ist, kurzfristige betriebswirtschaftliche Interessen und langfristige volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen miteinander in Einklang zu bringen.

Ich kann Ihnen aber versichern, dass Deutschland jederzeit bereit ist, ökologisch nachhaltige Projekte mit Rat und Tat zu unterstützen.

Die deutsch-brasilianische Entwicklungszusammenarbeit ist eine vierzigjährige Erfolgsgeschichte. Seit der gemeinsamen Umwelterklärung von 1996 spielt der Umweltschutz dabei eine besondere Rolle.

Ich hoffe, dass sich diese Zusammenarbeit in den kommenden Jahren noch weiter intensiviert, zum Wohle unserer beider Länder und zum Wohle des globalen Umweltschutzes in unserer einen Welt.