Redner(in): Johannes Rau
Datum: 31. März 2003

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2003/03/20030331_Rede.html


Frage ( Sandra Maischberger, n-tv ) : ... Hat sich bei Ihnen auch seit Ausbruch des Krieges das morgendliche Fernsehverhalten geändert?

Bundespräsident: Nein. Wir sehen morgens nicht fern. Ich höre sehr früh Nachrichten und Berichte. Und Fernsehen findet höchstens am Abend statt.

Maischberger: Aber da dann schon auch die Kriegsberichterstattung?

Bundespräsident: Natürlich, ja.

Maischberger: Man kann der ja gar nicht entgehen.

Bundespräsident: Manchmal - man kann ihr weder entgehen noch kann man es manchmal durchhalten. Ich stelle manchmal dann auch einfach ab.

Maischberger: Sie stellen ab?

Bundespräsident: Ja. Und will es dann nicht mehr im Einzelnen sehen. Vor allem, weil es auf verschiedenen Sendern immer wieder die gleichen Bilder gibt. Und man weiß, das sind nicht die wirklichen Bilder vom Krieg. Wer wie ich Krieg selber erlebt hat, der hat andere Bilder. Auch wenn die Kriegsform sich geändert hat, das Leid der Menschen kann man nicht über den Fernsehschirm bringen.

Maischberger: Vielleicht sagen deshalb 46 Prozent der Deutschen, dass zuviel berichtet wird... Welches sind die Stimmen, die Sie hören? Sie kriegen ja wahrscheinlich Briefe.

Bundespräsident: Ich kriege unendlich viele Briefe. Es gibt dabei sehr gegenläufige Tendenzen. Die meisten Briefe sprechen von der Friedenssehnsucht und davon, ob ich nicht etwas tun könnte, damit dieser Krieg aufhört.

Maischberger: Tatsächlich so personalisiert?

Bundespräsident: Ja, so personalisiert. Aber dann gibt es auch Briefe, zum Beispiel von Amerikanern, die fragen: Kann ich in Deutschland noch sicher leben? Es gibt Sorgen von Muslimen und es gibt Sorgen von jüdischen Mitbürgern, ob sie ausgegrenzt werden aus unserer Gesellschaft. Die überwiegende Mehrheit will den Frieden und macht deutlich, das ist nicht gegen Amerika gerichtet, sondern gegen den Krieg.

Maischberger: Sie haben drei Kinder Zuhause, 16, 18 und 19 Jahre alt. Diskutiert man im Hause Rau auch über den Krieg? Und das mit gegenläufigen Positionen, oder sind Sie da einer Meinung?

Bundespräsident: Nein, das gibt da durchaus Akzente, Unterschiede zwischen den Kindern. Ich war an dem Tag, an dem in Berlin die große Demonstration war, in der Schule meiner Kinder - nach monatelanger Vorbereitung zu einem Gespräch mit den Klassen, die da - ich weiß, das heißt heute nicht mehr Klassen ---

Maischberger: Jahrgangsstufen?

Bundespräsident: --- Jahrgangsstufen und den Kursen. Und da bin ich dann - nicht von meinen Kindern, sondern von den Schülerinnen und Schülern - gefragt worden, ob ich ihnen riete, zur Demonstration zu gehen.

Maischberger: Was Sie als Bundespräsident ja nicht machen, weil sich das mit den Amt nicht verträgt.

Bundespräsident: Ich habe dann gesagt, wenn ihr hingeht, dann sorgt dafür, dass eure Sorge deutlich wird und nicht euer Hass. Versucht deutlich zu machen, diese Demonstration ist für den Frieden und nicht gegen Islam oder Amerika oder Israel. Denn es werden denen in anderen Ländern dann Bilder von uns gezeigt, die nicht deutlich machen, worum es in Wirklichkeit geht. Und es wird auch nicht deutlich in den anderen Ländern, auch nicht in Großbritannien und Amerika, dass es das weltweit gibt, dass am Montag zum Beispiel in Indonesien 300 000 Menschen demonstriert haben. Mir liegt daran, dass deutlich wird: Diesen Krieg hat niemand in Deutschland gewollt, wir wollten aber alle, dass Saddam Hussein entwaffnet wird.

Maischberger: ... Ihr Sohn ist jetzt 18. Für den stellt sich demnächst die Frage, ob er zum Bund geht oder nicht.

Bundespräsident: Ich glaube, er hat sich noch nicht entschieden. Wir reden manchmal darüber. Mir liegt sehr daran, dass ich nicht eine einseitige Ratgebung versuche. Denn ich glaube, Kinder hat man, damit sie frei werden, auch von den Eltern, auch von den elterlichen Zwängen. Und mir liegt sehr daran, die Kinder frei zu geben, auch innerlich frei zu geben.

Maischberger: ... Aber er wird Sie ja fragen.

Bundespräsident: Ja, das glaube ich, dass er mich fragen wird.

Maischberger: Gerade in den jetzigen Zeiten. Ich glaube, er ist auch nicht der Einzige, der fragt...

Bundespräsident: Nein, es gibt viele, die fragen. Nur, er ist jetzt noch ein Jahr vor dem Abitur, deshalb bedrängt ihn das im Augenblick wohl noch nicht. Aber das ist ein schwieriger Alltag. Ich habe ja früher, als ich noch ganz aktiv in der Politik war, als Beistand von Wehrdienstverweigerern mitgewirkt - da gab es noch so Ausschüsse, die gibt es jetzt wohl nicht mehr - und ich habe gleichzeitig bei Gelöbnisfeiern gesprochen. Das heißt, ich versuche immer deutlich zu machen, jede dieser Entscheidungen ist eine Gewissensentscheidung. Wir dürfen nicht zu der Meinung kommen, nur der Wehrdienstverweigerer hat ein Gewissen, der Soldat hat es nicht. Beide haben es, und beide haben eine unterschiedliche Gewissensentscheidung getroffen.

Maischberger: Das ist sehr, sehr ausgewogen.

Bundespräsident: Das muss auch so sein.

Maischberger: Ich versuche mich aber trotzdem, in die Rolle des Vaters hinein zu versetzen, der damit rechnen muss, dass sein Sohn, sollte er sich für den Wehrdienst entscheiden, dann auch in Einsatzgebiete gebracht wird, die ihm sehr gefährlich werden können.

Bundespräsident: Ich muss ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn mein Sohn das jetzt hörte, das Erste, was der sagen würde, wäre, das geht das Fernsehen überhaupt nichts an, was ich, der Sohn des Bundespräsidenten, tue, denn ich bin mein eigener Herr.

Maischberger: Okay.

Bundespräsident: Das wäre ihm wichtig. Und das kann ich nachvollziehen.

Maischberger: ... Nicht zuletzt in dieser Diskussion können Ihre eigenen Kriegserfahrungen zur Sprache kommen... Ich glaube, Sie waren 12 Jahre, alt als Wuppertal bombardiert wurde.

Bundespräsident: Ja, da war ich Zwölf und ich kann mich an diese Nacht sehr, sehr genau erinnern. 6 000 Tote in einer Nacht, allein in dem Stadtteil Barmen.

Maischberger: 6 000 Tote in einer Nacht?

Bundespräsident: 6 000 Tote in einer Nacht. Vier Wochen später das Gleiche in der Stadt Elberfeld. Und dazwischen Löscharbeiten, Leichen, schreiende Menschen, im Asphalt die Abdrücke der Füße derer, die durch die Phosphorbomben gelaufen waren und in der Wupper Rettung gesucht hatten. Vergeblich. Schreckliche Bilder. Aber ich habe auch noch andere Bilder in Erinnerung. Ich habe auch noch in Erinnerung, wie ich 1991 mit Jochen Vogel, mit Izak Rabin und Schimon Peres mit der Gasmaske im Luftschutzkeller gesessen habe und wir haben die Scud-Raketen auf dem Bildschirm kommen sehen.

Maischberger: Wie, auf welchem Bildschirm kommen sehen?

Bundespräsident: Das war ein Bildschirm im Luftschutzkeller, ein Fernsehgerät, und da sahen Sie die Rakete kommen, die auf Tel Aviv fiel und die als Erstes das Haus meines Freundes Salman Bendel zerstörte, der in Bergen-Belsen gewesen war, also jemand, der nun das zweite Mal um Leib und Leben fürchtete. Er war nicht in der Wohnung, als das geschah, nicht im Haus, sondern bei seiner Tochter im Kibbuz. Aber das war der Erste, den damals eine irakische Bombe getroffen hat. Ich kann das nicht vergessen.

Maischberger: Diese beiden Erlebnisse beschreiben die Bandbreite der Diskussion, die bei uns geführt worden ist. Die einen haben aus der Kriegserfahrung die Lehre gezogen: Nie wieder Krieg. Joschka Fischer hat jetzt auch noch mal im Unterschied zu den Amerikanern betont, indem er sagte: Die hatten halt kein Verdun. Die anderen wie Paul Spiegel sagen: Die KZs wurden eben nicht von den Pazifisten befreit, sondern vom Militär. Sie wissen, worauf ich zusteuere, nämlich auf die Diskussion, ob das ein gerechter Krieg ist, oder nicht. Sie haben gesagt, Sie wollen ( diese Diskussion ) , jetzt wo der Krieg begonnen hat, nicht mehr führen. Warum eigentlich nicht?

Bundespräsident: Weil man rückwärtige Prophetie nicht formulieren kann. Denn die These, von der ich ausgehe, ist die, dass Saddam Hussein in den letzten Wochen der am besten kontrollierte Diktator der Welt war. Dass die Resolution der Vereinten Nationen mit der Stimme Deutschlands die völlige Entwaffnung Saddam Husseins vorsah, dass die Inspekteure das hätten schaffen können - und zwar ohne das Leid, das jetzt geschieht. Nur, ich kann das ja nicht beweisen. Ich kann nur sagen: Dieser Weg wäre der richtige gewesen. Bloß, das jetzt nachträglich zu versichern, während da Amerikaner, Briten, Spanier, Iraker leiden, sterben, das bringt nichts. Deshalb sage ich: So schnell wie möglich zurück zum Frieden. So schnell wie möglich Abrüstung des gesamten Irak. Das Verhängnis war nach meiner Überzeugung der Wechsel von der völligen Entwaffnung Saddam Husseins - Weltsicherheitsrat, einstimmige Resolution - zu der amerikanischen Erklärung: Wir wollen den Mann weghaben; das heißt, wir wollen ihn mit militärischen Mitteln stürzen. Diesen Wechsel habe ich nicht mitvollzogen.

Maischberger: ... Bush sagt, Gott hat uns aufgerufen, unser Land zu verteidigen und die Welt zum Frieden zu führen. Sie als Christ, ist das zulässig oder grenzt das an Blasphemie?

Bundespräsident: Nein, Blasphemie würde ich nicht sagen, aber ich halte das für ein grandioses Missverständnis, denn es gibt ein erwähltes Volk nach der biblischen Botschaft, das sind die Juden. Und als Friedrich der Große einmal von Voltaire gefragt wurde, gibt es einen Gottesbeweis, hat er gesagt, die Juden, weil er vom auserwählten Volk reden wollte. Aber die amerikanische Haltung in dieser Frage hängt natürlich mit der ganzen amerikanischen Geschichte zusammen - "in God we trust" - und ein Gefühl der Auserwähltheit, das sicher von den Pilgern herkommt, die nach Amerika gekommen sind. Bloß, danach hat es ja andere Schritte gegeben, danach hat es eine Unabhängigkeitserklärung gegeben, danach hat es eine friedliche Entwicklung gegeben und die gilt bis heute, und die ist nicht auszuhebeln über eine so einseitige Botschaft, wie George W. Bush sie jetzt als biblisch und als biblisch geboten darstellt; denn die Bibel ist fundamentaler auf der anderen Seite, es gibt die Bergpredigt, die er nicht zitiert. Ich glaube nicht, dass ein Volk einen Auftrag Gottes bekommt, ein anderes Volk zu befreien. Ich glaube, dass Menschen berufen werden, die Freiheit zu stärken. Und dazu gibt es unterschiedliche Wege. Da gibt es keine klaren Befehle Gottes.

Maischberger: Es hat mal einer gesagt über einen, die Lehren der Bibel waren ein Grund für seinen Entschluss, sich um das Präsidentenamt zu bewerben, er fühlt, dass Gott zu ihm spricht.

Bundespräsident: Kann ich mir nicht vorstellen.

Maischberger: Das sagt der texanische Prediger Tony Evens, geistlicher Berater Bushs. Und das Komische ist, dass Sie in ihrer Antrittsrede... gesagt haben: "Jeder soll wissen, dass ich Zuversicht und Kraft aus dem christlichen Glauben schöpfe." Also Sie berufen sich ebenfalls auf den Glauben. Bush leitet aus seinem Glauben eine Handlungsdirektive. Ist das das Missverständnis?

Bundespräsident: Ja, ich glaube, das kann man nicht. Mir fällt da Mark Twain ein, der hat mal gesagt, viele Menschen quälen sich damit, dass sie bestimmte Bibelworte nicht verstehen. Ich quäle mich mit denen, die ich verstehe. Das heißt, die Bibel ist nie eine Waffe, sondern immer an mich gerichtet, nicht als Waffe, sondern als Befreiung.

Maischberger: Also interne Erklärung, nicht externe Handlungsanleitung.

Bundespräsident: Ja, daraus folgen externe Handlungen, aber die sind eben nicht Krieg.

Maischberger: Aber da sagt Bush das Wort vom Kreuzzug.

Bundespräsident: Ja, und das ist falsch. Der Kreuzzug ist nicht biblisch. Der Kreuzzug ist Religionskrieg. Und nirgendwo in der Bibel werden wir aufgefordert, Religionskriege für unseren Glauben zu führen, sondern wir werden aufgefordert, ihn zu bekennen und ihn zu leben, und zwar friedfertig und sanftmütig. So steht das in der Bergpredigt. Nur, ich will jetzt nicht die eine Glaubensüberzeugung gegen die des anderen stellen, sondern mir genügt es, wenn deutlich wird, George W. Bush hat diese seine Einstellung, die ist nicht allgemeinverbindlich für alle Christen, ganz im Gegenteil. Man kann als Christ zu anderen Überzeugungen kommen. Man kann als Christ auch diesen Krieg sehr unterschiedlich bewerten, wie wir erleben.

Maischberger: Der Papst ist genau auf der anderen Seite.

Bundespräsident: Der Papst ist völlig auf der anderen Seite. Und ich glaube, dass er in dieser Frage auch für die Menschheit spricht.

Maischberger: ... Sie haben vor dem Krieg mal gesagt, Sie haben Sorge, dass die gesamte politische Stabilität im Mittleren Osten aus den Fugen gerät. Jetzt, wo der Krieg am 12. Tag einen Verlauf genommen hat, der ja offensichtlich auch für die Amerikaner etwas überraschend ist... , sehen Sie diese Sorge Wirklichkeit werden?

Bundespräsident: Ja, ich habe gesagt, meine Sorge gilt der Statik im Vorderen Orient. Heute haben amerikanische Politiker Syrien gewarnt...

Maischberger: Amerikanische Politiker ist gut, das waren Rumsfeld und Powell - - -

Bundespräsident: Rumsfeld ist ja schon stiller geworden. Ich glaube, dass das gefährlich ist, denn wir brauchen zuerst eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Die brauchen wir sehr viel dringender als einen Krieg gegen den Irak und sie ist nicht zu haben, offenbar auch deshalb nicht, weil die gegenwärtige amerikanische Administration sich nicht genug kümmert. Clinton hat sich darum gekümmert und es gab Absprachen, die heute nicht mehr gelten. Deshalb bin ich der Meinung, da müssen wir auch als Deutsche immer wieder erinnern und drängen, dass da eine Lösung zustande kommt.

Maischberger: ... Wenn Sie mal aus Ihrer langen Lebenserfahrung... , mit den Krisen, die Sie erlebt haben, ... versuchen, das einzuschätzen, was dieser Krieg für den Weltfrieden bedeutet...

Bundespräsident: Ja, selbst bei langer Lebenserfahrung ist es ja immer so, dass man die gegenwärtige Gefahr für die größte hält. Während der Kuba-Krise haben wir alle gezittert, es könnte ein Weltkrieg kommen, und ähnliches war in bestimmten Situationen des Kalten Krieges. Ich hoffe, dass kein Anlass zur Sorge ist für den Weltfrieden, sondern dass sich die vernünftigen Kräfte durchsetzen. Wenn ich jetzt in die Vereinten Nationen blicke, dann sehe ich dafür richtige Ansätze. Ich bin auch nicht überzeugt, dass die Vereinten Nationen die Verlierer dieses Konfliktes sind, denn sie werden neu gewinnen an Kraft und an Einfluss. Und dann geht es an die humanitäre Aufgabe, die wichtig ist. Da haben die Deutschen einen Entwurf eingebracht, dem alle zugestimmt haben, außer Syrien, auch die Amerikaner. Und mir liegt daran, dass deutlich wird, es gibt keinen deutsch-amerikanischen Konflikt. Es gibt einen Konflikt zwischen der amerikanischen und der deutschen Regierung, zwischen der Administration. Aber die Völker, die Deutschen und die Amerikaner, die Europäer und die Amerikaner, die gehören zusammen und sie sind einmütig, auch in der Frage von Krieg und Frieden.

Maischberger: Es gehört sicher auch zu Ihren Aufgaben, dass Sie die Dinge positiv wenden müssen - - -

Bundespräsident: Richtig.

Maischberger: ... Kardinal Etchegaray... hat die Gefahr des Dritten Weltkrieges an die Wand gemalt. Ist das aus ihrer Einschätzung übertriebene Sorge?

Bundespräsident: Ich halte diese Sorge für übertrieben, aber ich finde es gut, dass sie ausgesprochen wird.

Maischberger: Warum? Andere sagen, das ist Panikmache.

Bundespräsident: Das halte ich nicht für Panikmache. Ich komme zu einem anderen Ergebnis, aber ich glaube, dass ein Kardinal aus dem Vatikan, der die Stimmungen in den arabischen Ländern, in den asiatischen Ländern auch durch die Berichte seiner Nuntien bekommt, durchaus das Recht hat, eine solche Sorge zu äußern. Ich teile diese Sorge zum Glück nicht. Und ich glaube, dass wir als Europäer stark genug sind, gut genug gerüstet sind, dass wir auch eine solche Auseinandersetzung durchstehen, ohne dass das nach Europa überschwappt. Obwohl der Blick nach Tschetschenien oder der Blick nach Afghanistan und in Teile Ex-Jugoslawiens immer wieder Anlass zur Sorge gibt. Dennoch sage ich, je friedfertiger wir sind, je stärker wir nach den Ursachen für Kriege und Auseinandersetzungen fragen und diese Ursachen bekämpfen, statt der Gegner, die wir bekämpfen, desto sicherer wird der Friede. Denn das muss ja das Ziel der Politik sein, dass der Friede sicherer wird und die Sicherheit friedlicher.

Maischberger: ... Wird der Krieg in den anderen Teilen der Welt als "gerechter Krieg" empfunden oder nicht?

Bundespräsident: Er wird sicher nicht als "gerechter Krieg" empfunden. Aber das hängt auch damit zusammen, dass - - -

Maischberger: Als völkerrechtswidriger Krieg gar.

Bundespräsident: Das ist eine andere Frage, da will ich mich nicht einmischen. Nur bei der Frage "gerechter Krieg" muss man sich einfach klar darüber sein, dass diese Lehre vom "gerechten Krieg" von Thomas von Aquin 800 Jahre her ist und dass die in jedem einzelnen Punkt nicht mehr nachvollziehbar ist. Der "gerechte Krieg" ging aus von der Angemessenheit der Waffe, der Angemessenheit des Ziels, den richtigen Mitteln. Das geht heute alles gar nicht mehr. Beim "gerechten Krieg" ging es um die Frage, ob ich den Gegner treffe, ohne seine Umgebung zu treffen. In der Zeit moderner Waffen ist das völlig undenkbar, wie wir ständig lernen. Und wir lernen inzwischen, indem wir das Wort Kollateralschäden aussprechen, was damit gemeint ist. Das ist bitter. Das ist gegen jede Lehre vom "gerechten Krieg". Der Ökumenische Rat der Kirchen hat 1948 in Amsterdam gesagt, Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. Und ich glaube, dass das stimmt. Ich glaube, dass es Situationen gibt, in denen ist ein Krieg unvermeidlich. Nur, ich sage, dies war nicht die Situation - - -

Maischberger: Der Kosovo war so eine - - -

Bundespräsident: Das war so eine Situation, da ging es darum, ein Genozid, einen Mord an einem Volk zu verhindern und aufzuhalten - so wie das im Irak mal gewesen ist, als Saddam Hussein gegen die Kurden mit Giftgas vorging. Es ist ja nicht so, dass dieser Saddam Hussein auf einmal ein friedfertiger Mensch geworden wäre. Dass man dem ins Handwerk pfuschen muss, das ist gar keine Frage - die Frage ist wie. Und da sage ich: nicht mit den Mitteln des Krieges. Es gibt andere Mittel, und es gab andere Mittel.

Maischberger: ... Richard von Weizsäcker ist in der Lage zu sagen, der Irak-Krieg ist ein Rechtsbruch, wenn man es von der UN-Charta aus sieht. Das ist insofern wichtig, weil wenn man an den Wiederaufbau denkt, an die Autorität der UN, muss man doch in der Analyse dessen, was gerade passiert dann auch ehrlich sein. Warum kann er so ehrlich sein und das sagen - das ist ein Rechtsbruch, das widerspricht der UN-Charta - und Sie tun es nicht. Liegt das daran, dass Sie Bundespräsident sind und er nicht mehr?

Bundespräsident: Das liegt daran, dass Sie jetzt unterstellen: Wer das für völkerrechtswidrig hält, ist ehrlich und wer das nicht tut, ist nicht ehrlich. Das halte ich für eine etwas verkürzte Argumentation. Und ich sage, ich will jetzt nicht darüber diskutieren, ob das völkerrechtswidrig ist oder nicht, weil wir jetzt andere Aufgaben haben und weil es im Völkerrecht sehr gegenläufige Meinungen gibt. Ich kenne Völkerrechtler, die halten diesen Krieg für völkerrechtsgemäß, und ich kenne andere, die halten ihn für völkerrechtswidrig - wie mein Freund Richard von Weizsäcker, auf den ich mich immer gern berufe - - -

Maischberger: Nur hier nicht.

Bundespräsident: Hier deshalb nicht, weil jetzt andere Entscheidungen anstehen - und die müssen jetzt getroffen werden.

Maischberger: Hat irgendeine Art von Friedensdiplomatie im Moment eine Chance, weil wenn man sieht, was passiert und wenn man das Gefühl hat, das ist ein Automatismus, der am Ende zu einer Situation führen wird, wo in Basra oder in Bagdad um jedes Haus gekämpft werden muss mit den entsprechenden Verlusten bei der Zivilbevölkerung - - -

Bundespräsident: Das haben wir doch alles vorher gesagt. Wir haben doch immer vorher gesagt: Stellt euch mal den Häuserkampf in Bagdad vor. Nein, ich glaube nicht, dass es jetzt eine diplomatische Mission geben kann, jedenfalls keine öffentlich angekündigte.

Maischberger: Warum eigentlich nicht?

Bundespräsident: Ich glaube, dass ein Mann wie Tony Blair das gegenwärtig spürt und dass er schon Versuche macht, den Schaden zu begrenzen, der offenbar unbegrenzt ist und grenzenlos zu werden scheint. Aber wie das im Einzelnen aussieht und wie man das machen soll, das weiß ich nicht. Ich weiß nur: Jetzt muss humanitär geholfen werden, jetzt muss gesammelt werden, jetzt müssen Menschen sich finden, die dem Elend und der Not nicht nur widersprechen, sondern widerhandeln. Dafür ist jetzt höchste Zeit, auch wenn ich nicht absehen kann, wann der Krieg zu Ende ist.

Maischberger: Ist das nicht ein bitteres Fazit für jemanden, der politisch so agiert hat wie Sie, festzustellen, ich war gegen diesen Krieg, er findet jetzt trotzdem statt, man hat keine Möglichkeit ihn zu beenden, man kann sich nur auf das konzentrieren, was an Trümmerfeldern übrig bleibt.

Bundespräsident: Sie haben Recht. Wenn das jetzt die Summe meiner politischen Lebenserfahrung wäre, das wäre schrecklich bitter. Aber meine Lebenserfahrung geht ja über diese aktuelle schreckliche Situation weit hinaus. Und da ist dann wieder kein Anlass zur Bitterkeit, sondern zum Streit für den Frieden.

Maischberger: Wenn man sich die Spanne Ihrer Amtszeit ansieht... , dann war da drin einmal das militärische Selbstbewusstsein der Bundesrepublik, nämlich dieser Kosovo-Krieg, wo wir erstmals, und dann auch mit Afghanistan fortgesetzt, uns beteiligt haben an den Aufgaben. Jetzt ist so ein absoluter Rückzug, jedenfalls in diesem Krieg, von militärischen Optionen. Was glauben Sie, wird bestimmend bleiben für diesen Zeitraum?

Bundespräsident: Nach dem 11. September habe ich hier mit dem amerikanischen Botschafter bei einer Demonstration gesprochen. Da waren über 200 000 Menschen hier am Brandenburger Tor. Zwei Tage später habe ich ein Interview gegeben, und da habe ich gesagt, wenn dieser 11. September ein Angriff auf die Zivilisation ist, dann müssen wir jetzt nach einer zivilen Antwort darauf suchen. Als ich das gesagt habe, habe ich Proteste bekommen, ich sei auf einmal gegen Militär, ich sei gegen Sicherheitspolitik und so weiter - keine Rede davon. Nur, ich sage immer wieder: Wenn wir nicht den Ursachen des Terrorismus, wenn wir nicht den Ursachen der Gewalt auf den Grund gehen, dann werden wir es nicht lösen. Niemand sagt, die Terroristen tun das aus Armut und Elend, aber sie kriegen ihren Resonanzboden, weil es Armut und Elend, weil es Not von Menschen gibt, weil es Ungerechtigkeit gibt. Und wenn die Politik nicht wieder deutlich macht, dass es ihr um Menschlichkeit und um Gerechtigkeit geht - und zwar nicht nur bei uns, nicht nur bei uns in der deutschen Innenpolitik, sondern im Vorderen Orient, unter den Menschen, die dort leben als muslimische Araber, sowie in Asien und in Afrika - , dann können wir es nicht schaffen. In der Bibel steht, wir sollten dem Frieden nachjagen. Das heißt, das ist eine aktive Handlung, das ist die Friedenssehnsucht als lyrisches Produkt.

Maischberger: ... Wir haben vereinbart, weil es auch gar keinen Sinn macht um diese Zeit, über die zweite Amtszeit nicht zu reden. Der SPIEGEL schreibt heute, wann Sie sich äußern wollen. Dazu wollte ich gerne wissen, ob das stimmt, dass Sie am 12. Mai in der "Berliner Rede" sagen wollen, ob Sie sich zu einer zweiten Amtszeit bereit finden oder nicht - oder ist das Quatsch?

Bundespräsident: Nein, am 12. Mai hat mein Bruder Geburtstag.

Maischberger: ... Und da gibt es gar keine "Berliner Rede" von Ihnen?

Bundespräsident: Nein, nicht dass ich wüsste.

Maischberger: Aber es wird eine wieder geben irgendwann?

Bundespräsident: Ja, nicht nur irgendwann, an einem schon vorhergesehenen Datum. Aber ich weiß noch nicht worüber, denn das hängt ein bisschen davon ab, wie die Situation dann ist - sicher nicht über die zweite Amtszeit.

Maischberger: Ist es eine Falschmeldung also, dass Sie sich da erklären werden?

Bundespräsident: Ja, das ist eine Falschmeldung. Ich meine, die Idee, dass ich mich da erklären könnte, die lag natürlich nahe, aber davon kann keine Rede sein.

Maischberger: Das wollten wir nur noch mal klargestellt haben. Vielen Dank für Ihren Besuch heute und auf dass Ihre Amtszeit die Amtszeit des globalisierten Friedens wird.

Bundespräsident: Das würde ich mir auch wünschen, denn Globalisierung ist eine Chance und nicht nur ein Moloch, der uns alle verschlingt. Die Frage ist nur, wie wir diese Globalisierung mit Inhalten füllen. Und die Politik ist mir in letzter Zeit in vielen Bereichen zu inhaltsleer, zu formelhaft geworden. Und ich wünsche mir wieder klare Dispositionen und dass Politik wieder der Wettbewerb um den richtigen Entwurf für die Zukunft wird. Ich glaube, da würden auch meine Kinder wieder politisch stärker aktiv.

Maischberger: Und ich habe schon ein bisschen was aus der "Berliner Rede" gehört, glaube ich.

Bundespräsident: Wer weiß.