Redner(in): Roman Herzog
Datum: 21. Juni 1996

Anrede: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1996/06/19960621_Rede2.html


es mag ungewöhnlich sein, daß ein Bundespräsident bei einem Unternehmen spricht. Natürlich tue ich das nicht, um für Sie zu werben. Und es ist erst recht keine Parteinahme im wirtschaftlichen Wettbewerb überhaupt, aber wie das so ist, die Wirtschaft spielt sich nun einmal im wirklichen Leben ab und nicht am grünen Tisch eines makroökonomischen Gesellschaftsspiels, wo alle Teilnehmer fiktive Namen führen. Unsere Wirtschaft besteht aus Unternehmen. Deshalb glaube ich, daß ein Bundespräsident auch keine Berührungsängste haben und auch zur Konzerntagung Ihres Unternehmens kommen darf. Ich habe das sehr gern getan, obwohl ich natürlich voraussehe, daß jetzt mindestens 175 andere Unternehmen auch daherkommen werden. Ich freue mich natürlich auch, daß diese Konzerntagung erstmals hier in der Bundeshauptstadt Berlin stattfindet, an meinem Amtssitz.

Daß wir in einer sich immer rascher und gründlicher verändernden Welt leben, das brauche ich Ihnen als Mitarbeitern eines weltweit operierenden Unternehmens nicht zu erklären, und auch sonst pfeifen es die Spatzen von den Dächern."Globaler Wettbewerb um Kunden und Kapital, der Sprung ins Informationszeitalter, fließende Grenzen zwischen Geschäften und Branchen" - so beleuchtet der Text der Einladung zu dieser Tagung kurz und prägnant die vor uns liegenden Probleme. Globalisierung ist jedenfalls zum Wort des Jahres geworden, manche sagen sogar zum Unwort des Jahres geworden, und es ist ja auch eine ziemlich unsinnige sprachliche Konstruktion.

Klar ist: Der Standort Deutschland wird nicht durch die Globalisierung an sich bedroht. Er wäre nur bedroht, wenn sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf den Tempowechsel nicht ausreichend und nicht rasch genug einstellen würden.

Selbst wenn wir - wider jede menschliche Vernunft - uns der Globalisierung entgegenstemmen wollten: wir könnten es gar nicht, und in Kämpfen gegen Windmühlenflügel sollten wir unsere Energie nicht erschöpfen. Das haben wir bei ähnichen Spezialdisziplinen schon genug getan, ich nenne nur die Gentechnologie. Der Strukturwandel muß so oder so bewältigt werden, und dann stellen wir uns ihm doch am besten gleich. Je offener wir uns ihm stellen, desto mehr können wir ihn aktiv gestalten und können ihm damit auch Nutzen für uns abgewinnen. Deshalb bin ich auch zuversichtlich, daß wir das in Deutschland nach einer langen Phase des Klagens und Jammerns schaffen werden.

Staaten, Regierungen, Parlament, auch die meisten Bürger sind allerdings territorial gebunden. Sie können ihren Standort nicht wechseln, und sie müssen ihn in einem nicht immer schmerzfreien Prozeß wettbewerbsfit machen, ob sie wollen oder nicht.

Unternehmen können flexibler und schneller als Staaten und Regierungen reagieren. Sie können auch neue Standorte im Ausland erschließen.

Eine entscheidende Frage lautet infolgedessen: Welche weiterreichende Verantwortung wollen und können Unternehmen im globalen Wettbewerb überhaupt noch übernehmen? Wenn nationale Loyalitäten für weltweit operierende Firmen immer weniger Bedeutung haben? Wenn der Begriff des "deutschen", ja selbst des "europäischen" Unternehmens zunehmend seinen Sinn verliert? Ich sage es auch hier, wie ich es sonst sage: Ich habe in letzter Zeit Schwierigkeiten, ein deutsches Unternehmen von einem ausländischen Unternehmen zu unterscheiden. Ein Unternehmen, das in Deutschland seine Produktionsstätten, seine Arbeitsplätze abbaut und fast keine Steuern bezahlt, das kann in seinem Namen noch so oft das Wort "deutsch" haben, das erkenne ich nicht mehr als deutsches Unternehmen. Und entsprechend ist dann auch meine Neigung, mich dafür einzusetzen. Das ist ein Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, zumal in dieser Gegebenheit dann natürlich ganz zwangsläufig Gewinn- und Wertmaximierung zum alleinigen Unternehmensziel im globalen Wirtschafts- und Finanzprozeß werden.

Diese Frage rührt generell an das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland: Eine Gesellschaft, die einerseits für all die Arbeitslosen und Frührentner bezahlen muß, die bei der notwendigen Abschlankung und Rationalisierung "freigesetzt" werden, Die eine teure, leistungsfähige Infrastruktur im Verkehr, in der Forschung, im Gesundheitswesen und in der Telekommunikation, um nur diese Beispiele zu nennen, auch dann vorhalten und finanzieren muß, wenn Unternehmen ihren Produktions- und Steuerstandort ins Ausland verlagern. Die andererseits aber für den Bestand und ihre Entwicklung auf eine rentable, prosperierte, international wettbewerbsfähige Wirtschaft angewiesen ist wie kaum jemals zuvor.

Zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders war soziale Verantwortung und Einbindung in das Gemeinwesen für die Unternehmen kaum ein Problem, denken Sie an den alten Nordhoff von VW. Schon das Eigeninteresse gebot es, durch Vergünstigungen jenseits von Angebot und Nachfrage für eine loyale Belegschaft um für ein gewogenes "Gemeinwesen" zu sorgen. Dazu zählte ja auch, bei wichtigen Unternehmensentscheidungen in der Regel die Interessen derer mit zu berücksichtigen, denen das Unternehmen nicht gehörte, die aber von seinen Nöten betroffen waren: Kommunen, Staat, Arbeitnehmer, Verbraucher.

Wir haben in Deutschland auf diese Weise einen eigenständigen Typus der Konsensökonomie, manche sagen: des "rheinischen Kapitalismus". Das ist gar nicht so schlecht beobachtet. Seine Besonderheiten werden uns just in dem Augenblick wieder besonders bewußt, in dem sie eben nicht mehr selbstverständlich sind.

Denn heute sieht die Welt ganz anders aus. Nicht Arbeitskräfte sind knapp, sondern Arbeitsplätze. Früher waren Entlassungen Beweis für wirtschaftlichen Mißerfolg und deshalb eher ein Hinweis auf die Unfähigkeit der Unternehmensleitung. Heute sind sie - zumindest für die Finanz- und Aktienmärkte - zum Erfolgsausweis eines Unternehmens geworden. Nicht Sozialpflichtigkeit, sondern schlichte Gewinnmaximierung, Kapitalvermehrung gelten nunmehr als der beste Weg.

Deutsche Unternehmen haben bisher im internationalen Vergleich in der Tat eher mäßig verdient, jedenfalls gemessen am ausgewiesenen Bilanzgewinn. Aber sie kamen damit ganz gut zurecht, weil die geordneten Rahmenbedingungen der Bundesrepublik Deutschland keine großen Risikoprämien verlangen.

Das hatte seine Vorteile, aber wie wir sehen, auch seine gewichtigen Nachteile: Weil der geschäftliche Erfolgs- und Innovationsdruck offenbar nicht ausgereicht hat, sind Kostensteigerungen, aber auch Innovationsmängel und schlichtes Mißmanagement zu wenig kontrolliert und sanktioniert worden - mit heute oft fatalen Folgen für die Betriebe und ihre Beschäftigten! Die Beispiele hier sind uns allen bekannt, die brauche ich nicht zu nennen, auch aus der jüngsten Vergangenheit.

Das hat getragen, solange das Wachstum gut und der Wettbewerb und das Kapital nicht weltweit waren. Das trägt aber nicht mehr, seit die Unternehmen gegen Konkurrenten mit ganz anderen Sozialstrukturen antreten müssen, und seit sie um das Geld von Anlegern an der Wall Street konkurrieren müssen.

Die Kapitalanleger können sich heute rund um den Globus die attraktivsten Standorte aussuchen. Sie erzwingen auf diese Weise höhere Renditen, durch Rationalisierung, Verschlankung, Auslagerung von Produktionsteilen usw.

Bestehen kann hier von den deutschen Unternehmen nur, wer in diesem Wettbewerb mitzieht, ja national wie international selbst zumindest neben anderen den Ton angibt. Wer nicht mithält, steigt ab in die Regionalliga, als Unternehmen wie als Nation.

Der Wirtschaftswissenschaftler Ohlson hat in seinem Buch "Der Aufstieg und Fall von Nationen" dargelegt: Alte, stabile Gesellschaften brauchen von Zeit zu Zeit Erschütterungen von außen oder revolutionierende Prozesse im Inneren, um ihre Dynamik zu erhalten: Sonst führe ein immer dichter werdendes Netz sozialer Beziehungen zwischen Staat, Wirtschaft, Verbänden, Gewerkschaften zum Erlahmen des Wettbewerbs und damit zur Stagnation und schließlich zum Niedergang von Wirtschaft und Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, ich glaube nicht an den Automatismus dieses Zerrbildes. An Automatismen glaube ich überhapt nicht! Aber wir müssen uns doch sehr anstrengen, daß dieses Zerrbild nicht zur deutschen Wirklichkeit wird.

Wer Gesellschaften in einer solchen Situation von innen heraus revolutionieren kann, das hat ein anderer Ökonom, Josef Schumpeter, beschrieben. Es sind die Unternehmer und die Manager, die durch Innovation die - wie er sagt - "schöpferische Zerstörung" des Althergebrachten betreiben, um Neues zu schaffen. Nun sollte sich die Politik nicht die - manchmal - unsensible Sprache der Ökonomen zu eigen machen. Das will ich hier deutlich sagen und auch für Ihr eigenes Reden nach außen empfehlen, denn man weiß, daß Neues immer auf den Schultern des Alten aufbaut und nicht auf den Trümmern. Das ist so und, selbst wenn es anders wäre, wäre es immer noch wirksamer, es so auszudrücken, wie ich es hier mache. Aber darin hat Schumpeter schon recht: Nur Unternehmer können erfolgreich neue Arbeitsplätze schaffen und nur so können wir auch die Arbeitslosigkeit in Deutschland, wenn überhaupt, überwinden.

Solche Unternehmer sind Revolutionäre der Wirtschaft und dabei zugleich fast unfreiwillige Pioniere sozialer und politischer Revolution, schreibt Schumpeter. Er schreibt "unfreiwillige". Ich habe es modifiziert in "fast unfreiwillige", denn es hindert auch niemand einen Unternehmer, über den Suppentopf seines eigenen Unternehmens hinauszublicken. Sie merken, so neu sind eigentlich unsere jetzigen Probleme gar nicht und die notwendigen Antworten sind es auch nicht.

Dynamischer, gewissermaßen schumpetischer Unternehmer sein, ist und bleibt der kategorische Imperativ, die erste unternehmerische Verantwortung und Pflicht, die Sie und Ihre Kollegen überall in Deutschland und darüber hinaus wahrnehmen müssen: Ob in kleinen, mittleren oder großen Betrieben, ob als Eigentümer oder als angestellter Manager. Ich war vor 30 Jahren beim Übergang vom Eigentümer-Unternehmer zum Manager begeistert von dieser Entwicklung. Wenn ich mir heute manche anschaue, dann hält sich die Begeisterung in Grenzen. Aber Sie sind hier natürlich nicht gemeint.

Vor allem unsere Großunternehmen müssen hier aufpassen und Verkrustungen aufbrechen. Denn ihre Wettbewerber sind nicht staatliche Bürokratien, so einfach ist das Leben nicht, sondern es sind höchst wendige, internationale Unternehmen.

Aber auch hier, das sage ich uneingeschränkt, bin ich zuversichtlich. Inzwischen bläst in Deutschland durchaus ein frischer Wind des Wettbewerbs durch die Unternehmen, und selbst die staatliche Politik hat einige kopiert. Der Wind, von dem ich spreche, rüttelt an hergebrachten Strukturen. Er deckt alten Schlendrian auf. Und das heißt, nun wieder akademisch ausgedrückt, er fördert Innovation und er fördert Effizienz.

Das zeigen auch die Diskussionen über Mängel bei der Aufsicht und Kontrolle deutscher Aktiengesellschaften, meine Damen und Herren. Diskussionen über Vor- und Nachteile von Bankbeteiligungen, aber auch Diskussionen über "Shareholder value" : Die primäre Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten am Börsenwert der Firma, wie sie ja gerade auch die VEBA mit bemerkenswerter Konsequenz betreibt, wobei ich mir allerdings vor Ihnen, vor diesem Publikum und angesichts der übergroßen Redlichkeit der VEBA die Frage verkneifen kann, ob denn der Börsenwert tatsächlich immer einen realen ökonomischen Substanzwert darstellt, oder ob da nicht gelegentlich spekulative Fehlsignale Urstand feiern.

Es ist freilich kein Zufall, daß der Aktionär und seine Interessen wieder mehr Gewicht erhalten, nicht nur im Verhältnis des Kapitals zur Arbeit, sondern auch im Verhältnis des Kapitals zum Management. Ich hoffe, daß diese Entwicklung der Aktie in Deutschland endlich zum Durchbruch verhilft. Gerade mittelständischen Unternehmen, dem Innovations- und Beschäftigungsmotor der deutschen Wirtschaft, könnte auf diese Weise der Weg zum notwendigen Eigenkapital erleichtert werden. Über die steuerliche Seite der Geschichte rede ich heute ausnahmsweise nicht.

Ich kann und will hier nicht Stellung nehmen zum Paradigmenstreit "Shareholder-Konzept" zwischen Aktionärskapitalismus angelsächsischer Prägung auf der einen und sozialer Marktwirtschaft kontinentaleuropäischen Zuschnitts auf der anderen Seite, die auch Gruppen wie Arbeitnehmer oder Verbraucher gemeinhin stark mit berücksichtigt, denen das Unternehmen nicht gehört, die aber von seinem Wirken betroffen sind. Meines Erachtens ist dieser Streit, wie jeder zugespitzte Streit, akademisch und ich nenne ihn eigentlich nur, damit Sie nicht nachher sagen können, ich hätte ja davon gar keine Kenntnis gehabt, das würde mich zutiefst treffen.

Für unsere zentrale Frage nach der unternehmerischen Verantwortung heute scheint mir - unabhängig von allen unterschiedlichen Philosophien - das Folgende entscheidend zu sein:

Jedes Unternehmen - egal ob groß oder klein - muß zunächst einmal, effizient, am Markt erfolgreich, innovativ, profitabel sein. Sonst kann es überhaupt keine gesellschafts- oder sozialpolitische Funktion übernehmen! Ein Unternehmen, das sich im Wettbewerb nicht behaupten kann, schließlich in Konkurs gerät oder nur noch dank öffentlicher, von allen Steuerzahlern getragener Subventionen überlebt, nützt auf die Dauer überhaupt niemandem: Weder seinen Aktionären, seinen Beschäftigten, seinen Kunden noch der Stadt oder dem Land, in dem es produziert. Um diesen banalen Grundsachverhalt kommen wir nicht herum.

Ich begrüße es deshalb sehr, daß auch in Deutschland die Diskussion um eine moderne, den Erfordernissen des globalen Wettbewerbs angepaßte Unternehmensverfassung in Gang kommt:

Offenbar brauchen wir klarere Regeln für die Rolle von Aufsichtsräten in Aktiengesellschaften. Sie müssen ihre Aufsichtsfunktion wirklich mit der erforderlichen Konzentration wahrnehmen können, und das geht auch wieder nur bei einer gewissen Beschränkung. Denn der Erfolg ihrer Tätigkeit kann Wohl und Wehe von Tausenden von Beschäftigten und ganzen Regionen oder Bundesländern bestimmen.

Möglicherweise muß man auch über präzisere Verantwortungs- und Haftungsregelungen für Aufsichtsräte und Unternehmensvorstände nachdenken. Es gibt auch hier keinen besseren Hebel für eine verantwortliche Tätigkeit als das materielle Interesse. Und das kann doch nicht angehen: Mißmanagement und unternehmerische Fehlentscheidungen führen in Einzelfällen, wie wir immer wieder sehen, zu Millionen- , ja Milliardenverlusten für ein Unternehmen, zur Existenzbedrohung für seine Beschäftigten. Für die verantwortlichen Vorstände und Aufsichtsräte entstehen oft jedoch keine spürbaren Konsequenzen.

Nebenbei: So etwas führt möglicherweise auch zu einer ganz neuen Legitimationskrise der Marktwirtschaft überhaupt. Denn wie will man von Arbeitnehmern die Einsicht in ökonomische Zusammenhänge beim Lohn oder den Sozialleistungen erwarten, und das ist notwendig, wenn auf der anderen Seite Manager ganze Unternehmen schuldhaft an die Wand fahren und dann nicht einmal mit Konsequenzen rechnen müssen. Übrigens fällt mir in den letzten Wochen in der öffentlichen Debatte auf, daß auch da schon wieder ungenau geredet wird. Es wird gesagt: "Sie werden vor die Wand gefahren." Das assoziiert man so,"ihr kommt doch rechtzeitig zu stehen"; die Kerle fahren an die Wand!

Das deutsche Entlohnungssystem mit seinem hohen Garantieeinkommen für Vorstände von Aktiengesellschaften begünstigt zudem, zumindest möglicherweise, eine gewisse Beamtenmentalität - freilich ohne die Höhe des Beamtensalärs und ohne auch die Restbestände, die es bei uns noch an Beamtenethos gibt. Nur Manager, die einen beträchtlichen Anteil ihrer Einkünfte über Gewinnbeteiligungen erzielen und die am Wertzuwachs und an Verlusten an den von ihnen geleiteten Unternehmen beteiligt sind, werden in der Regel wie wirkliche Unternehmer handeln. Es steht mir nicht an zu sagen, das wäre auch beim Staat ganz praktisch. Nur heute sind keine Minister und Abgeordneten hier. Da ist es nicht fair, darüber zu reden. Ich stoße immer die vor den Kopf, die mir gerade ihren Kopf entgegenstrecken. Aber sie dürfen gelegentlich auch in diese Richtung Worte erwarten.

Die Erfolgsbeteiligung darf aber auch nicht bei den Vorständen und Spitzenmanagern halt machen. Wir brauchen eine Initiative für die Beteiligung aller Arbeitnehmer am Ertrag, am Erfolg, am Vermögen "ihres" Unternehmens! Die jahrzehntelange, zum Teil wechselseitige Blockade der Tarifpartner sollte unter dem Druck des weltweiten Wettbewerbs aufgegeben und vielleicht auch überwunden werden. Nur so werden die Mitarbeiter den Erfolg ihrer Firma wirklich als eigenes Anliegen verstehen.

Das könnte im übrigen die spezifisch deutsche Antwort zur internationalen Debatte "Shareholder value" - oder der Stakeholder-Ansatz " sein: Nicht nur anonyme Aktionärs- , sondern auch persönlich motivierende, integrierende Mitarbeitermarktwirtschaft!

Auf der anderen Seite wäre die Neuausrichtung der Unternehmen bei ausschließlicher Begrenzung auf die vermeintlichen Interessen der Kapitalgeber viel zu eng gedacht. Schon im eigenen Interesse muß jedes langfristig planende Unternehmen auch andere Belange berücksichtigen. Warum ist dann die Theorie anders?

Zunächst ganz allgemein: Gelegentlich sollten wir uns daran erinnern, wie die korrekte Wertehierarchie unserer Gesellschaft ist. Im Mittelpunkt steht der Mensch - auch und gerade in einer Marktwirtschaft. Er ist eben nicht bloßes "Humankapital", ein wunderbarer Ausdruck, auf den Ohrfeigen gesetzt werden müßten. Er ist nicht als Humankapital nur Produktionsfaktor, sondern er ist das Subjekt jedes privaten, unternehmerischen oder staatlichen Tuns, also jedes Handelns schlechthin.

Die Globalisierung hat nichts an der Tatsache geändert: Die verantwortungsbewußte soziale Einbindung der Unternehmen in Deutschland zahlt sich immer auch in Mark und Pfennig aus. Loyale, zufriedene Beschäftigte, ein Reservoir an qualifizierten Arbeitnehmern, ein gutes Betriebsklima, relativ wenig Streiks, eine leistungsfähige Infrastruktur, sogar eine halbwegs verläßliche Rechtsordnung machen die langfristige Unternehmenspolitik weltweit überhaupt erst möglich.

Es darf dann nur nicht so laufen, wie es bei der deutschen Wiedervereinigung gelaufen ist, wo ich von Unternehmern, die mit Recht 20 Jahre lang die deutsche Bürokratie gescholten hatten- und ich sage bewußt mit Recht - , plötzlich ungeheure Rufe nach Einführung der gleichen Bürokratie in den neuen Bundesländern gehört habe, so daß ich einmal in einer öffentlichen Diskussion die Frage aufwerfen mußte, auf welcher Hochzeit ich denn eigentlich tanze.

Diese Gegebenheiten, diese Verbindungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft setzen dann aber auch ein Mindestengagement der Wirtschaft für den Standort Deutschland voraus und sind nicht umsonst zu haben. Das sollte jedes Unternehmen vor vorschnellen Entscheidungen für einen vermeintlich günstigeren Standort im Ausland berücksichtigen.

Ohnehin ist ein unternehmerisches Wirtschaften ohne Rücksicht auf die externen Folgen für die soziale wie die natürliche Umwelt nicht nur ethisch unverantwortlich, sondern sie ist meistens, zumindest mittelfristig, auch wirtschaftlich unrentabel. Der Markt sanktioniert immer unbarmherziger Verstöße gegen das, was Gesellschaft und Verbraucher als umweltpolitischen Mindeststandard betrachten, aus ethischer Verantwortung wie aus Eigeninteresse, und ich glaube, daß die beiden Dinge nicht sehr weit auseinanderlaufen.

Hier sollten sich global operierende Unternehmen auch immer gegen krasse Verstöße gegen soziale Mindeststandards zur Wehr setzen. Einige international tätige Konzerne haben jüngst erlebt, wie anfällig sie für imageschädigende Entwicklungen sind. Sie tun gut daran, neben dem guten Gewinn auch den guten Ruf im Auge zu behalten, den gerade die deutsche Wirtschaft genießt, sonst könnte beides sehr schnell verlorengehen. Denn nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Nachrichten globalisieren sich!

Meine Grundüberzeugung ist also: Gewinnstreben und soziale Verantwortung der Unternehmen müssen sich nicht als unüberbrückbare Gegensätze gegenüberstehen. Sie ergänzen sich gegenseitig auch im globalen Wettbewerb, so hart der sein muß und so sehr an manchen bisherigen Vorstellungen Korrekturen angebracht werden müssen.

Allerdings erzwingt der weltweite Prozeß der Globalisierung eine Annäherung der Unternehmenskulturen von unterschiedlichen Ausgangspositionen her: Mehr Ertrags- und Erfolgsorientierung für den europäisch-kontinentalen Unternehmenstypus, mehr Sozialorientierung für das klassisch-kapitalistische angelsächsische Unternehmen.

Es gibt doch zu denken, daß man heute in Großbritannien, aber auch in den USA wieder überlegt, wie neben den "Shareholdern" auch die Interessen der "Stakeholder" wieder stärker in den Unternehmensstrategien berücksichtigt werden können. Also das, was wir heute als besonders modern betrachten, ist es schon gar nicht mehr. Es lohnt eigentlich nur, selbständig zu denken und nicht einfach nach Westen zu schauen: dieses Licht kommt ja sowieso vom Osten.

Die Lösung des Widerspruchs ist eine Frage der politischen Gestaltung in jedem einzelnen Land, aber auch darüber hinaus. Im Kern geht es darum, soziale Verantwortung für die Unternehmen nicht abzuschaffen, sondern sie, und das nun allerdings auch mit allem Ernst und Nachdruck, bezahlbar und wieder lohnend zu machen.

Die Politik kann nur so gut sein, wie es die gesellschaftlichen Gruppen und ihre Nachfrage nach staatlichen Handlungen gestatten. Vergessen Sie dabei nicht: Politik und Wirtschaft haben es mit denselben Personen zu tun. Unsere Wähler sind Ihre Kunden! Deshalb wundert es mich gelegentlich, wie wenig Augenmerk die Wirtschaft zumeist der Politik widmet. Anders herum gibt es auch Vorwürfe, das ist mir bekannt, aber ich schätze den wirtschaftlichen Verstand deutscher Politiker nicht sehr hoch, aber den politischen Verstand deutscher Unternehmer überhaupt nicht, um das bei der Gelegenheit zu sagen.

Ihr grundsätzliches Bekenntnis zur Marktwirtschaft muß allerdings auch bei ihrer demokratischen Einflußnahme spürbar werden. Hier sehe ich manchmal ein Glaubwürdigkeitsdefizit: Man hält - zu Recht - der Politik die Diskrepanz zwischen Sonntagsreden und Alltagshandeln vor. Aber man verkennt, daß in vielen Bereichen eine ähnliche Kluft zwischen unternehmerischem Sagen und unternehmerischem Tun besteht. Konkrete Vorschläge von Unternehmerseite zum Abbau von gewerblichen Subventionen, um nur dieses hinterhältige Beispiel zu nennen, sind meines Wissens immer noch Mangelware. Man diskutiert in Deutschland eigentlich nur darüber, daß die Subventionen abgeschafft werden müssen. Aber jeder sagt es über den anderen, wenn er es überhaupt sagt. Und vor allen Dingen gibt es keine Übereinstimmung darüber und keine klaren Vorstellungen, was eigentlich Subventionen sind. Also Kohlewirtschaft, Stahlwirtschaft, Landwirtschaft, aber auch steuerliche Unterstützung von Wohnungsbau und dergleichen. Das alles sind Subventionen. Wenn man die Dinge dann sieht und konkret nimmt, dann werden die Dinge auch meistens sehr rasch peinlich. Darum erscheint es besser, über die Subventionen insgesamt zu reden. Es ist nicht besser, aber so geschieht es, um dann, wenn alle darin übereinstimmen, daß sie abgebaut werden müssen, befriedigt wieder nach Hause zu gehen.

Der Erfolg einer Politik, aber auch einer Volkswirtschaft, meine Damen und Herren, entscheidet sich letztlich daran, ob dahinter eine wirklich funktionierende lebenskräftige Gesellschaft steht. Ihr Zusammenhalt hängt davon ab, ob die Last der Solidarität für die Erfolgreichen tragbar bleibt - das ist das augenblickliche Thema - aber auch, ob sie begreifen, daß ihr Wohlergehen unlösbar, und zwar politisch wie wirtschaftlich, mit dem der Schwächeren verknüpft ist.

Wir brauchen, so meine ich und so schwierig das ist, einen neuen sozialen Konsens, der dem notwendigen Wandel, aber auch dem gesellschaftlichen Zusammenhalt Rechnung trägt!

Ich bin nach wie vor zuversichtlich, daß wir das schaffen werden. Aber wir werden es nicht schaffen, wenn wir alle bei den plakativen Formulierungen bleiben und zum Teil unbewußt, zum Teil aber ganz bewußt, nach dem Absondern plakativer Formulierungen uns eben zufrieden geben damit, daß nicht geschieht. Ich bin nach wie vor zuversichtlich, daß wir das schaffen werden. Und Sie sollten es auch sein, auch wenn es manchmal nicht ganz so geht, wie der Einzelne von uns sich das vorstellt. Danke!