Redner(in): Horst Köhler
Datum: 10. November 2004
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2004/11/20041110_Rede2.html
Ich freue mich, bei Ihnen zu Gast zu sein, und vor allem aus zwei Gründen sage ich hier gern einige Worte. Erstens möchte ich denen danken und die ermutigen, die sich für den Fußball in Deutschland engagieren. Und zweitens halte auch ich mich gern an den alten Grundsatz für Fußballfreunde: Am schönsten ist Fußball spielen oder beim Fußball zuschauen; und wenn beides nicht geht, dann wollen wir wenigstens über Fußball sprechen.
Fußball gilt in Deutschland als "Breitensport", doch das ist eigentlich fast eine Untertreibung: Mehr als sechs Millionen Vereinsmitglieder, 170.000 Mannschaften, rund 80.000 Spiele pro Wochenende - das ist nicht Breitensport, das ist schon mehr eine Volksbewegung. Und auch sehr wichtig: Es ist eine Jugendbewegung: Über zwei Millionen Kinder und Jugendliche trainieren im Verein - mehr als je zuvor! Dabei sind Dribbling, Flanke und Torschuss immer mehr auch Mädchensache. Auch das finde ich gut.
Offensichtlich ist für Jung und Alt attraktiv, was die Fußballvereine bieten: gute Organisation, sportliche Herausforderungen, echte Gemeinschaft und fast so etwas wie ein zweites Zuhause im Vereinsheim.
Dahinter steht unglaublich viel ehrenamtliche Arbeit und Verantwortung: Rund eine Million Menschen engagieren sich freiwillig als Betreuer, Trainer, Schiedsrichter oder auch als Fahrer zum Auswärtsspiel. Sie tun das nicht, damit pro Wochenende 80.000 Spiele zusammenkommen. Sie tun es aus Freude am Fußball und weil sie wissen: Sport im Verein tut gut.
Ich danke von Herzen allen, die sich so engagieren. Ich weiß, wie viel Zeit, Geld und Nerven das - bei aller Freude am Ehrenamt - eben auch kostet. Ohne diesen Einsatz wäre vor allem die Jugend- und Nachwuchsarbeit unmöglich, und ohne ihn wäre unser Land ärmer. Ich kann nicht jede und jeden persönlich ansprechen, die ehrenamtlich für den Fußball tätig sind, aber Sie können das, meine Damen und Herren. Bitte tragen Sie alle meinen Dank weiter in Ihre Heimatvereine!
Der Deutsche Fußballbund fördert und unterstützt das ehrenamtliche Engagement. Ich kann Sie darin nur bestärken. Lassen Sie darin nicht nach. Nichts ist für den Fußball in Deutschland wertvoller, und Sie erweisen damit auch dem ganzen Land einen Dienst, denn der Fußball baut Brücken. Und gerade in diesen schwierigen Zeiten wird uns bewusst: Es gibt in unserem Land Regionen, in denen der Fußball eine besonders wichtige Funktion hat. Er macht es den Menschen möglich, sich mit ihrer Heimat zu identifizieren, obwohl die Rahmenbedingungen für Leben und Arbeiten nicht so sind, wie wir sie uns alle wünschen.
Unser Land und unsere Männer-Nationalmannschaft bereiten sich vor auf die Fußballweltmeisterschaft 2006. Der Deutsche Fußballbund hat oft bewiesen, dass solche Vorbereitung bei ihm in guten Händen ist. Ich vertraue darum auch da auf Ihre Arbeit, und ich wünsche Ihnen, Herr Beckenbauer, als Präsident des Organisationskomitees, im Interesse unseres ganzen Landes auch da besten Erfolg.
Die Frauen-Nationalmannschaft hat im vergangenen Jahr vorgemacht, wie man dank Mannschaftsgeist, Spielwitz und Kampfkraft Weltmeister wird. Die Männer brauchen das also bloß noch nachzumachen. Es gibt aber auch im Fußball keine Rolltreppe, auf der der Vizeweltmeister automatisch zur nächsten Stufe befördert wird. Ganz nach oben führt nur das eine: sich Ziele zu setzen und hart dafür zu arbeiten. Darum gefällt mir die Aufbruchstimmung in der deutschen Mannschaft. Da weht frischer Wind über den Platz. Jürgen Klinsmann hat gesagt: Wir spielen bei der WM nicht bloß mit, weil wir Gastgeber sind - wir wollen Weltmeister werden! Ich kann nur sagen: Bravo! Das ist die richtige Einstellung. Die deutsche Nationalmannschaft hat schließlich den Titel schon dreimal geholt. Ich denke: Mit einem Quäntchen Glück kann sie es wieder schaffen.
Wir wollen bei der nächsten WM aber mehr als sportlichen Erfolg. Die Gastgeberrolle ist für Deutschland eine große Chance."Die Welt zu Gast bei Freunden" - das soll und das wird viel mehr sein als nur ein schönes Motto. Deutschland kann sich 2006 der Welt in all seiner kulturellen und landschaftlichen Vielfalt vorstellen - von den Alpen bis zur Küste, vom Rhein bis zur Spree. Wir wollen gastfreundlich sein und zeigen: Deutschland ist ein leistungsstarkes, freundliches und weltoffenes Land. Milliarden von Menschen werden nach Deutschland blicken. Ich wünsche mir, dass sie es mit Sympathie und Anerkennung tun.
Die Vorbereitungen für die WM sind in vollem Gang, und nach meinem Eindruck sind sie auch auf gutem Wege. Es entstehen großartige Stadien, es wird ein anspruchsvolles kulturelles Programm geben, und jeder der Spielorte ist aufgerufen, mit der eigenen Handschrift zum Gelingen des Ganzen beizutragen. Das Ziel ist eine Weltmeisterschaft, die wohlorganisiert ist und beschwingt, die heiß umkämpft wird und gemeinsam gefeiert, die sich am Ende auf einem vergleichsweise kleinen Rasenstück von Deutschland entscheidet und die doch in aller Welt mit ganz Deutschland verbunden bleibt.
Wer in Deutschland von Fußball redet, der kann von der Bundesliga nicht schweigen. Seit mehr als vierzig Jahren prägt sie den Lebensrhythmus unseres Landes mit. Nach ihr richtet sich oft, wann im Garten gearbeitet, das Fahrrad geputzt und die Wäsche gebügelt wird - wenn die Direktübertragung im Radio läuft nämlich. Hunderttausende strömen in die Stadien, und nichts sichert dem Fernsehen verlässlichere Einschaltquoten und Werbegagen als der Fußball.
Seine Faszination ist ungebrochen. Sie wird heutzutage freilich ganz anders präsentiert und sogar inszeniert als noch vor fünfzehn, zwanzig Jahren; und zum sportlichen Glanz ist gesellschaftlicher Glamour hinzugekommen. Daran ist nichts auszusetzen, nur dürfen die Inszenierung und der Glamour den Beteiligten nicht zu Kopf steigen.
Spannung und Überraschungen erwarten wir vom Fußball auf dem Platz. Da ist der Ball rund, und ein Spiel dauert 90 Minuten. Jenseits des Platzes aber gilt: Maß halten ist auch für Spieler und Manager nicht die schlechteste Lebensregel.
Der Fußball lebt eben auch jenseits des Platzes von dem Grundsatz: Fair geht vor. Wird der verletzt, dann verliert das ganze Spiel an sportlicher und auch an gesellschaftlicher Strahlkraft. Wir brauchen über den Platz hinaus Orientierung, damit die Freude am Fußball erhalten bleibt.
Ich trage natürlich Fußbälle nach Osnabrück, wenn ich einige dieser Regeln benenne, aber weil mir der Fußball wirklich am Herzen liegt, tue ich es trotzdem. Drei finde ich besonders wichtig: Alle guten Fußballer, ob in der Schulmannschaft oder in der Bundesliga, sind Vorbilder übers Fußballfeld hinaus, ob sie das nun wollen oder nicht. Darin liegt eine beträchtliche Verantwortung, denn es werden eben nicht nur ihre Ballkünste nachgeahmt, sondern auch die verdeckten Fouls, nicht nur die Siegesfreude, sondern auch die Schadenfreude, nicht nur das gute Benehmen, sondern auch das schlechte. Gute Sportler sollten sich dieser Vorbildrolle bewusst sein und danach leben. Fußball ist viel mehr als ein Wirtschaftsbetrieb; aber gerade deshalb muss auch seine wirtschaftliche Seite mindestens so ernsthaft betrieben werden wie seine sportliche. Das gilt für alle Fußballvereine und natürlich besonders für die großen. Wer einen Fußballverein führt, braucht betriebswirtschaftliche Kenntnisse, Managementqualitäten und vor allem Verantwortungsgefühl für die ihm anvertrauten Menschen - er braucht Bodenhaftung. Ich bin sicher, Fußballtalente kann man überall finden, und eben auch überall in Deutschland. Vielleicht muss man nur noch genauer auf dem Bolzplatz hinter der nächsten Schule nachschauen. Darf ich auch eine Bitte äußern: Tun Sie noch mehr im deutschen Fußball für die eigene Nachwuchsförderung.
Angeblich ist ja nichts so überholt wie die Zeitung von gestern; aber vor zwei Wochen gab es eine Nachricht, die kommt mir irgendwie zeitlos vor: Da spielte in der 3. Kreisklasse der 1. FC Lok Leipzig gegen die zweite Mannschaft von Eintracht 09 Großdeuben. Zu dem Spiel kamen mehr als 12.000 Fans. Das sagt vielleicht mehr als 12.000 Worte über Fußball und über das Miteinander, das Fußball stiftet. Wie gut, dass wir ihn haben! "