Redner(in): Roman Herzog
Datum: 20. Oktober 1996

Anrede: sehr geehrter Herr Minister,meine Damen und Herren,
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1996/10/19961020_Rede.html


Exzellenzen,

der deutsche Aphoristiker und Physiker Georg Christoph Lichtenberg sagte einmal: "Nichts kann mehr zu einer Seelenruhe beitragen, als wenn man gar keine Meinung hat." Die globalen Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind, erlauben uns allerdings keine Seelenruhe und gestatten uns nicht, keine Meinung dazu zu haben.

Globale Umweltprobleme, weltweite Armut und Unterernährung, Bildungsdefizite, Migrationen und Kriege fordern unsere Stellungnahme heraus und sie verlangen vor allem Lösungskonzepte. Wir können uns nicht zurücklehnen und die Suche nach Problemlösungen anderen überlassen.

Fast alle diese Probleme haben mit Entwicklung zu tun, mit zuviel Entwicklung, zuwenig Entwicklung oder falscher Entwicklung. Auch der Dialog zwischen den Erdteilen und Kulturen ist, wie ich finde, noch bei weitem unterentwickelt.

Darum freue ich mich besonders, daß Sie, ausgewiesene Experten aus Deutschland und den Partnerländern hier an meinen Amtssitz in Berlin gekommen sind, um gemeinsam darüber zu beraten, wie die Entwicklungszusammenarbeit künftig aussehen soll, wie sie effektiver und besser gestaltet werden kann. Es ist übrigens das erste Treffen dieser Art am Amtssitz eines deutschen Bundespräsidenten. Zwei Tage lang steht Ihnen das Schloß Bellevue für Ihre Beratungen zur Verfügung. Das ist eigentlich eine lange Zeit in unserer schnellebigen Zeit, aber herzlich wenig, das weiß ich wohl, wenn es um die Zukunft und die Lösung von Zukunftsfragen geht.

In einer enger zusammenrückenden Welt werden, bei allen noch bestehenden Unterschieden, die Probleme, mit denen die einzelnen Länder zu kämpfen haben, einander immer ähnlicher. Das gilt für die Lösungen, die wir finden müssen, nicht in gleicher Weise. Wir haben, gerade auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit, die leidvolle Erfahrung machen müssen, daß man Lösungsansätze, die in dem einen Land oder dem einen Kulturkreis funktionieren, nicht einfach in einen anderen verpflanzen kann. Wir können und müssen aber Erkenntnisse über optimale Lösungsmöglichkeiten weitergeben. Anders ausgedrückt: Wir können und sollten voneinander lernen. Das geht leichter, wenn wir einander besser kennenlernen und vor allem, wenn wir so offen und ungeschminkt wie möglich miteinander reden.

Besonders herzlich begrüße ich die ausländischen Gäste unter uns. Sie kennen unser Land bereits gut. Ich möchte auch Herrn Minister Spranger dafür danken, daß er Sie eingeladen hat, uns zu helfen, die vor uns liegenden Probleme auch aus Ihrer Perspektive zu sehen. Sie haben uns nämlich etwas Wichtiges voraus: Sie kennen Deutschland von der Innenseite. Viele von Ihnen haben hier studiert und bekleiden heute verantwortungsvolle Funktionen in Ihren Heimatländern. Sie kennen also beide Seiten der Medaille und sind deshalb für uns eine lebendige Brücke zu anderen Kontinenten und Kulturkreisen. Als Mittler zwischen den Kulturen ist Ihre Erfahrung hier besonders gefragt. Die Welt ist eben zu komplex, als daß man sie nur von einer Warte aus verstehen könnte.

Diejenigen unter Ihnen, die hier in Deutschland studiert haben, sind ein Beweis dafür, daß ein Aufenthalt in Deutschland zumindest kein Hemmnis für glänzende Karrieren ist. Ich möchte aber nicht verhehlen, daß die Zahl derer, die sich von einem Studienaufenthalt in Deutschland noch eine berufsfördernde Bereicherung versprechen, unseren Erkenntnissen zufolge kleiner wird. Das ist für uns ein Alarmsignal, das wir sehr ernst nehmen. Auch hier sind wir an Ihrer Beurteilung interessiert.

Deutschland unternimmt große Anstrengungen auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit. Vielleicht könnte hier noch mehr geschehen, wenn es uns gelänge, unsere gegenseitige Zusammenarbeit noch effektiver zu machen. Bei unserem Treffen geht es vornehmlich darum, daß Sie als Vertreter der Partnerländer und die Experten aus Deutschland gemeinsam Empfehlungen erarbeiten, von der unsere Entwicklungspartnerschaft profitieren kann.

Ich bin sicher, daß dieses Symposium wertvolle Anregungen zu diesen dringend gesuchten Lösungen geben wird.