Redner(in): Horst Köhler
Datum: 13. Januar 2007

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2007/01/20070113_Rede.html


Afrika ist die Wiege der Menschheit. Gleichzeitig ist Afrika ein junger Kontinent. Die Jugendlichen zwischen 12 und 24 Jahren stellen ein Drittel der Bevölkerung. Dies kontrastiert deutlich mit der Bevölkerung in Europa. Einerseits steckt Afrikas Jugend voller Dynamik, Kreativität und Potential. Andererseits bedrohen bewaffnete Konflikte, Arbeitslosigkeit, Krankheiten, Armut und Hunger vor allem die Jugend. Afrikas Jugend verdient eine bessere Zukunft. Daher haben wir uns entschlossen, das Gespräch mit der Jugend in den Mittelpunkt der diesjährigen Forumsveranstaltung zu stellen.

Warum noch einmal das Thema Jugend? Warum noch einmal das Thema Partnerschaft? Man könnte auf die vielen bestehenden Aktivitäten im Rahmen von NEPAD und der AU verweisen. Dazu gibt es die Millennium Development Goals, Tony Blairs Commission on Africa, Nichtregierungsorganisationen und vieles mehr. Dennoch, mit einer systematischen Aufarbeitung derjenigen Themen, die die Jugend betreffen, stehen wir erst am Anfang.

Das NEPAD Framework Paper von 2001 streifte die Jugendprobleme nur. Die African Youth Charter wurde erst im Juli 2006 verabschiedet. Auch die NEPAD e-Africa Commission und Schulinitiativen stecken noch in den Kinderschuhen. Dies ist erstaunlich. Wir leben in einer Welt; eine Welt die immer näher zusammenrückt. Für die Jugendlichen von heute wird es immer weniger nationale und immer mehr "Weltinnenpolitik" geben.

Präsident Kufuor und ich haben uns daher entschlossen, Jugendliche aus Afrika und Deutschland unter dem überwölbenden Thema der Partnerschaft in vier Arbeitsgruppen zusammenzubringen.

1. Umwelt und die Gestaltung der natürlichen Lebenswelt,

2. Kriegerische Konflikte und alltägliche Gewalt,

3. Bildungschancen und Beschäftigungsmöglichkeiten,

4. Demokratische Mitgestaltung, insbesondere die Beteiligung junger Erwachsener an politischen Entscheidungen und das Verhältnis junger Menschen zur Politik.

Ich habe mich mit den Jugendlichen Ende November vergangenen Jahres in Wittenberg getroffen. Ihr Engagement und ihre Ernsthaftigkeit, ihr Wissen und ihre Neugier haben mich sehr beeindruckt. Wir alle hier können uns auf eine lebhafte Diskussion freuen.

Wir haben die Jugendlichen gebeten, ihre Forderungen klar zu artikulieren und uns konkrete, umsetzbare Vorschläge zu machen, wie Partnerschaft ihrer Meinung nach gestaltet werden kann. Ich glaube, dass die Bereitschaft auf beiden Seiten vorhanden ist, drängende Fragen im partnerschaftlichen Geist anzugehen. Hierfür gibt es genug Beispiele. Im Umweltbereich liefern afrikanische NGOs Informationen über Umweltzerstörungen durch europäische Firmen an ihre Partner in Europa, die dann entsprechenden Einfluss auf die betreffenden Firmen nehmen können. Im Bildungsbereich gibt es erfreulicherweise zunehmend mehr Partnerschaften zwischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus Afrika und Europa.

Dennoch stehen wir erst am Anfang. Das Potential für partnerschaftliches Handeln ist meiner Meinung nach noch lange nicht ausgeschöpft. Ich sage bewusst partnerschaftlich. Nicht nur, weil die jungen Menschen aus Deutschland aus den Diskussionen auch viele Anregungen für die Gestaltung der eigenen Zukunft mitnehmen. Sondern auch, weil zu viele Experten aus Europa zu schnell mit ihren fertigen Konzepten nach Afrika kommen. Zu oft wurden diese Pläne übernommen, bloß damit Gelder für Projekte fließen.

Dies muss sich ändern. Das geht nicht von heute auf morgen: Ein langer Lernprozess steht uns noch bevor. Er wird für beide Seiten schmerzlich, aber auch bereichernd sein: Schmerzlich, weil wir uns eigenen Fehlern stellen müssen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben. Bereichernd, weil Deutsche und Europäer viel von afrikanischer Kultur, afrikanischem Selbstbehauptungswillen, Optimismus und Flexibilität lernen können. Auf der anderen Seite können die Menschen in Afrika von den Werten profitieren, die in Europa vor allem seit der Renaissance in einem mühsamen Prozess, oft genug von Rückschlägen unterbrochen, geschaffen wurden: Menschenrechte, Rechtssicherheit und Demokratie. Dies sind nun einmal entscheidende Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben in Würde.

Gestern sprach ich von Sankofa, dem Vogel der Akan, der nach hinten schaut. Erlauben sie mir daher einen weiteren kurzen Blick in die Vergangenheit: Europa ist nicht nur geistig, sondern auch wirtschaftlich und technisch einen langen Weg der Modernisierung gegangen, ohne den der heutige materielle Lebensstandard nicht denkbar wäre. Technische Veränderungen haben dabei - zum Teil schauerliche - gesellschaftliche Veränderungen nach sich gezogen. Die Modernisierung war kontrovers und hat unsere Gesellschaft fundamental verändert.

Trotz aller Unterschiede auch in Europa gibt es einige Grundvoraussetzungen, an denen eine moderne Gesellschaft nicht vorbeikommt. Arbeitsteilung erfordert Disziplin, Investitionen langfristige Stabilität, technische Neuerungen Kreativität und Ausbildung. Ähnliches gilt auch für die Demokratie: Freie Wahlen können nur funktionieren, wenn auch Informationen frei zugänglich sind. Transparenz bringt Politiker unter heilsamen Rechtfertigungsdruck und ist damit ein wichtiges Instrument im Kampf für Rechtsstaatlichkeit und Rechtschaffenheit.

Europa hatte den Luxus, seine Modernisierung ohne viel Wettbewerb von anderen Gesellschaften durchzuführen, ohne mit anderen Gesellschaften konkurrieren zu müssen. Im Gegenteil: Während Menschen in Europa im Zeitalter der Aufklärung selber für mehr politische Partizipation und Gerechtigkeit kämpften, nutzte der Kontinent seine technische Überlegenheit aus, um Dominanz in Asien, Afrika und Lateinamerika auszuspielen.

Auch heute ist es nicht konsequent, in Europa selber Gerechtigkeit zu fordern, aber die Augen vor Unrecht in Afrika zu verschließen. Das bedeutet auch, dass wir im Norden unser Verhalten ändern müssen. Im politischen Bereich können wir Menschenrechtsverletzungen nicht hinnehmen, die sich auf unserem Nachbarkontinent ereignen. Im wirtschaftlichen Bereich dürfen wir nicht Afrika die Türen vor Exportchancen zuschlagen. Ich meine damit zum Beispiel konkret die Fischereipolitik der EU, die Überkapazitäten aufgebaut und afrikanischen Ländern Fischereirechte abgekauft hat. Ich meine damit auch subventionierte Exporte von Überschüssen in der Nahrungsmittelproduktion, die die afrikanischen Märkte überschwemmen, und eine eigenständige Entwicklung einer nachhaltigen Ernährungsbasis in Afrika behindern.

Es gibt in Deutschland eine Bereitschaft zur Transparenz. Allerdings steckt auch dies in den Kinderschuhen. Erst seit 1999 gibt es genauere Richtlinien für einen "ethical code of conduct" für Firmen. Die jüngsten strafrechtlichen Ermittlungen gegen einen großen Konzern in Deutschland wegen Bestechung und schwarzer Kassen, zeigen, dass wir bereit sind, unseren Worten auch Taten folgen zu lassen. Ähnliches muss auch für die anderen Verpflichtungen der Industrieländer gelten. Ich hoffe, dass Deutschland im Jahr der Präsidentschaft der G8 und der EU ein gutes Beispiel gibt.

Der Hunger nach Gerechtigkeit ist überall groß. Insbesondere bei der Jugend. Wenn wir unserer Jugend keine Zukunft geben, haben wir unsere Gegenwart verspielt. Hoffnungslosigkeit ist die größte Quelle von Gewalt. Es ist ein Teufelskreis, den wir durchbrechen können. Es gibt ermutigende Beispiele: Japan, China und Indien, aber auch Vietnam und Thailand zeigen, dass auch andere Kulturen erfolgreiche Modernisierungen geschafft haben. Ich sehe keinen Grund, dass Afrika nicht den Weg in seine Moderne finden kann.

Ich danke Ihnen und freue mich auf unsere Diskussionen.

Die jungen Teilnehmer der Konferenz haben am 14. Januar 2007 eine gemeinsame Erklärung von Accra "Zwei Generationen - eine Zukunft" verfasst, die Sie hier nachlesen können.