Redner(in): Horst Köhler
Datum: 6. Februar 2007

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2007/02/20070206_Rede.html


Herzlich willkommen in Schloss Bellevue! Ich freue mich sehr, gemeinsam mit Ihnen, Majestät, und mit Ihnen, verehrte Gäste, das vierte Deutsch-Spanische Forum abzuschließen. Das Forum hat in den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern seinen festen und wichtigen Platz - das zeigt schon ein Blick in diese Runde.

Majestät, Sie werden morgen in Baden-Baden mit dem Deutschen Medienpreis ausgezeichnet. Damit wird Ihre mutige Haltung gewürdigt, mit der Sie 1981, vor etwas über 25 Jahren, den Putschversuch in Ihrem Land durch eine Fernsehansprache beendeten, bei der die Welt den Atem anhielt und Ihnen zuhörte. Sie haben den friedlichen demokratischen Wandel in Spanien eingeleitet und ihn entschlossen verteidigt. Dafür gilt Ihnen unser Dank.

Sie haben gestern und heute brennende europapolitische Fragen erörtert: Welche Chancen geben wir den Einwanderern in unseren Ländern? Welches sind die Erweiterungsperspektiven der Europäischen Union? Wie machen wir Europa wirtschaftlich fit? Und: Welche europäische Energiepolitik wollen wir? Wie brandaktuell Ihre Diskussionen gerade zu diesem Thema sind, haben uns die ersten Wochen dieses Jahres vor Augen geführt. Schon im zweiten Winter nacheinander hat es um russische Energielieferungen Turbulenzen gegeben. Alles ist noch einmal - wieder einmal - glimpflich ausgegangen. Aber Europa hat erfahren, wie verwundbar es ist. Die Bürger stellen Fragen, auf die die Politik eine Antwort geben muss:

Wie sicher ist unsere Energieversorgung?

Werden die Öl- und Gaspreise bezahlbar bleiben?

Welche Energieversorgung können wir uns angesichts des Klimawandels überhaupt noch erlauben?

Fest steht: Der Klimaschutz ist eine globale Herausforderung, ein global good, an dem wir alle gemeinsam arbeiten müssen. Und mehr Versorgungs- und Preissicherheit bei Energieressourcen lässt sich nicht mehr im nationalen Alleingang erreichen. Ich denke, man kann den Bürgerinnen und Bürgern Europas gerade bei diesen Themen vermitteln, dass man gemeinsam mehr erreichen kann. Ich möchte die Politik geradezu ermutigen, die Relevanz der europäischen Idee bei den Themen Klimaschutz und Energieversorgung zu veranschaulichen.

Denn das Erschrecken über die eigene Verwundbarkeit bei der Versorgung mit Öl und Gas birgt hoffentlich auch etwas Gutes: nämlich mehr europäischen Ehrgeiz, mit innovativen Entwicklungen und Spitzentechnologien die Energieversorgung von morgen zu sichern.

Ein chinesisches Sprichwort sagt: "Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Schutzmauern, die anderen bauen Windmühlen". Protektionismus ist eine Sackgasse, wenn man Europa global konkurrenzfähig machen will. Europa hat sich - trotz gelegentlicher protektionistischer Versuchungen - für den Weg in die Zukunft, den Weg der notwendigen Strukturreformen entschieden. Mit der Lissabon-Strategie sind dafür richtige Ziele benannt worden. Woran es hapert ist die Umsetzung, vor allem auf der Ebene der Mitgliedsländer. Hier wünsche ich mir mehr politischen Ehrgeiz.

Spanien hat uns vorgemacht, dass sich Reformen lohnen. Seit über 10 Jahren wächst Spanien deutlich stärker als die EU. Es hat auch bewiesen, dass gesunde Staatsfinanzen und der nachhaltige Abbau von Arbeitslosigkeit keinen Gegensatz bedeuten müssen. Kein Mitgliedsland der Europäischen Union ist so gut, dass es in Teilbereichen nicht auch von anderen Ländern lernen kann. Und der Nutzen der EU für die Bürger wird umso größer, je mehr die Mitgliedsländer lernen, voneinander zu lernen.

Für mich ist die Lissabon-Strategie auch ein klares Beispiel für Defizite in der Kommunikation zwischen den Bürgern und dem politischen Europa. Ich begrüße es daher sehr, dass die Bundesregierung einen besonders intensiven Dialog über Europa mit den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland führen will. Ich selbst werde in drei Tagen zusammen mit dem italienischen Präsidenten Napolitano mit Studenten an der Universität Tübingen über Europa diskutieren.

Ich habe die Erfahrung gemacht: die Menschen sind für Europa. Aber sie haben ein mehr oder weniger großes Unbehagen, wenn es um die Europäische Union geht. Sie verstehen die Sprache der europäischen Politik nicht mehr. Viele können kaum nachvollziehen, wer in Europa eigentlich wofür verantwortlich ist. Sie wollen gehört werden und sie wollen die Initiative ergreifen können, kurz: sie wollen mehr demokratische Teilhabe. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die nun mehrfach erweiterte EU neue institutionelle Rahmenbedingungen braucht. Der Entwurf für einen Verfassungsvertrag enthält dafür viel Gutes. Es ist der Versuch,

die Europäische Union demokratischer zu machen,

indem das Europaparlament mehr Rechte bekommt und die Europäer mit einem Bürgerbegehren auf die Politik in Brüssel direkten Einfluss nehmen können,

sie transparenter zu machen,

indem klar gemacht wird, wer in Europa für was zuständig ist, mit dem Ziel, Entscheidungen dort zu treffen, wo man am nächsten an den Problemen ist,

sie handlungsfähiger zu machen,

indem mehr Entscheidungen mit Mehrheit statt mit Einstimmigkeit zugelassen werden und Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik stärker mit einer Stimme spricht.

Ich freue mich darüber, dass die Bundesregierung um diese Inhalte kämpft.

Eine klare Kompetenzverteilung nach dem Subsidiaritätsprinzip ist für mich der wichtigste Schlüssel für die Akzeptanz der weiteren europäischen Integration. Und es muss auch Schluss sein mit der bequemen Behauptung: alles Gute komme aus den Mitgliedsstaaten und alles Schlechte aus Brüssel. Glaubwürdigkeit ist gefragt auf allen Ebenen.

Europa und Afrika sind Nachbarn. Nachbarn können sich nicht gleichgültig sein. Kaum jemand wird das besser verstehen als Sie, Majestät, und die Menschen in Ihrem Land.

Vor wenigen Wochen war ich in Ghana. Gemeinsam mit fünf afrikanischen Staatschefs haben wir intensiv mit jungen Führungskräften aus Deutschland und Afrika diskutiert. Eins wurde dabei sehr deutlich: Die jungen Menschen in Afrika und in Deutschland sind der Idee einer echten Partnerschaft weitaus näher, als es die offizielle Politik vielleicht schon hinreichend erkennen lässt. Und ich glaube nicht, dass dies die Jugend Europas wesentlich anders sieht als die Jugend Deutschlands. Ermutigend war für mich in der Diskussion mit den jungen Menschen in Afrika nicht zuletzt die Feststellung, dass aus dem "Brain Drain" eine "Brain Circulation" werden sollte. Um den Austausch und das Verständnis zwischen jungen Menschen in Afrika und Europa zu fördern, würde ich mir wünschen, dass die Möglichkeit der Gründung eines europäisch-afrikanischen Jugendwerkes geprüft wird.

Ich bin gespannt darauf, welche Erkenntnisse Sie vom diesjährigen Deutsch-Spanischen Forum mitgenommen haben. Ich möchte mich bei all denen bedanken, ohne die das Forum nicht möglich gewesen wäre. Dabei möchte ich ganz besonders die beiden Ko-Vorsitzenden des Forums nennen, Herrn Schulte-Hillen und Herrn Bernardo Cremades, sowie die Stiftung Würth und die Stiftung Rafael del Pino, die das Forum souverän organisiert haben. Mein besonderer Dank gilt Ihnen, Herr Würth, der dem Forum so großzügig Gastfreundschaft gewährt hat.

Ich bitte Sie, mit mir das Glas zu erheben auf das Wohl Seiner Majestät und auf das Wohl des spanischen Volkes und die Freundschaft zwischen unseren Völkern in einem zusammenwachsenden Europa.