Redner(in): Horst Köhler
Datum: 20. April 2007

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2007/04/20070420_Rede.html


Achtzehn Jahre ist die friedliche Revolution nun schon her. Die meisten hier im Raum haben die DDR nicht mehr selbst erlebt. Das Unterdrückungssytem der SED-Diktatur und auch den Widerstand vieler mutiger Menschen, die sich damals in Ostdeutschland für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben, kennen Sie, liebe Schülerinnen und Schüler, nur aus Büchern und Erzählungen - oder vielleicht auch aus dem preisgekrönten Film "Das Leben der Anderen", der sich diesem Thema mit großer Sensibilität und Eindringlichkeit nähert.

Beides darf nicht in Vergessenheit geraten: weder die SED-Diktatur noch das Leid und die menschliche Größe derjenigen, die sich mit diesem Unrecht nicht abgefunden haben. Die Erinnerung daran ist nicht nur Teil der historischen Bildung. Wir brauchen sie auch, weil wir viele Entwicklungen in unserem Land nur begreifen können, wenn wir wissen, wie sie entstanden sind und welche Lebenserfahrungen ihre verschiedenen Akteure bewegen.

Wichtig ist mir die Erinnerung außerdem, weil wir für uns selber Wichtiges aus der Geschichte der DDR lernen können: Zivilcourage zum Beispiel - oder den Mut, seinem Gewissen zu folgen, auch wenn die "Verhältnisse" dagegen sprechen. Zu den Lehren der DDR-Geschichte gehört auch die Erfahrung, dass es auch in einem totalitären System nicht nur Schwarz und Weiß gibt und dass die Handlungsspielräume für den Einzelnen manchmal größer sind, als es aus der Außenperspektive erscheinen mag: So haben sich die meisten Menschen in der DDR zwar im Alltag verständlicherweise angepasst, sich aber doch geweigert, mit der Stasi zusammenzuarbeiten, selbst dann, wenn sie von deren Mitarbeitern direkt angeworben wurden. Und viele Mutige haben sich darüber hinaus sogar gegen die Anpassung entschieden, auch wenn sie dadurch riskierten, von dem brutalen Unterdrückungsapparat der SED erfasst zu werden!

Einige von diesen Mutigen sitzen heute hier auf dem Podium. Sie haben sich alle in der DDR für Frieden, Menschenrechte oder Umweltschutz engagiert und sind dadurch in Konflikt mit dem SED-Regime geraten. Liebe Jugendliche, nutzen Sie diese Gelegenheit und fragen Sie unsere Podiumsgäste aus. Bessere Informationen aus erster Hand bekommen Sie so schnell nicht wieder.

Das Gespräch zwischen Zeitzeugen und jungen Menschen zu fördern, ist das eine. Mir liegt aber auch daran, durch diese Gesprächsreihe ein Zeichen zu setzen, nämlich: Mir als Bundespräsidenten ist es wichtig, dass die Erinnerungen der Opfer des SED-Regimes ernst genommen werden und dass wir daraus lernen. Denn die Gegner und Opfer dieses Regimes sind es, die in einer Zeit der Unterdrückung die positiven Werte der Menschlichkeit verkörpert haben.

Ich weiß, dass viele Opfer des DDR-Unrechtssystems sich heute mit ihrem Leid alleingelassen fühlen. Ich weiß, dass viele von ihnen sich die bittere Frage stellen, ob sich ihr Einsatz von damals denn gelohnt habe. Und ich weiß, dass manche von ihnen sich auch heute noch von ihren einstigen Unterdrückern verhöhnt fühlen. 18 Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR müssen wir deshalb dem Eindruck entgegentreten, dass die Bundesrepublik ihren Frieden mit den Tätern von einst gemacht habe. Und wir müssen denjenigen entschieden widersprechen, die das Unrecht von damals mit einem "Schlussstrich" aus der Erinnerung tilgen wollen - für die Seelen der Opfer gibt es diesen Schlussstrich nicht.

Zu den Erfahrungen der Wiedervereinigung gehört auch, dass die Mittel des Rechtsstaates oft überfordert sind, wenn es um die Abwicklung eines Unrechtssystems geht. Viele Opfer der SED-Diktatur haben sich über die geringe Zahl der Verurteilungen ehemaliger Systemträger empört. Viele empfanden die Erhöhung der Renten für ehemalige Stasi-Offiziere als Skandal. Ich kann diese Verbitterung gut nachempfinden. Aber ich sage auch: Wir können das Unrecht nicht bewältigen, indem wir von unseren eigenen Rechtsgrundsätzen abweichen. Die Größe des Rechtsstaates erweist sich gerade darin, dass er seine Gegner nicht nach ihren eigenen, sondern nach rechtsstaatlichen Maßstäben misst. Einmal geschehenes Unrecht kann er jedoch nicht wieder gut machen. Da werden immer schmerzliche Lücken bleiben.

Deshalb ist es wichtig, dass wir die Erinnerung an den Widerstand gegen die DDR-Diktatur wach halten. Deshalb ist es gut, wenn junge Menschen Fragen stellen und wenn die Opfer von damals von ihren Erfahrungen berichten.

Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur fördert seit fast zehn Jahren verdienstvoll diese notwendige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der SED-Diktatur und ihren Folgewirkungen für das vereinigte Deutschland. Ich freue mich, dass die Stiftung heute gemeinsam mit mir zu dieser Gesprächsrunde eingeladen hat. Ich möchte mich bei Ihnen, Herr Eppelmann, schon jetzt für die gute Zusammenarbeit bedanken, und Ihnen hiermit das Wort geben. Zur Bildergalerie )