Redner(in): Horst Köhler
Datum: 7. Mai 2007
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2007/05/20070507_Rede.html
I. Als im Jahre 1907 die "Ständige Ausstellungskommission für die Deutsche Industrie" gegründet wurde, begrüßte der Minister für Handel und Gewerbe, Clemens von Delbrück, die Initiative mit den Worten: "Diese Einrichtung, deren Tätigkeit sich auf das gesamte Gebiet des deutschen Gewerbefleißes erstrecken soll, erscheint... geeignet, ... der deutschen Industrie und dem deutschen Handel ersprießliche Dienste zu leisten." 100 Jahre nach der Gründung dieser Vorgängerorganisation des heutigen "Ausstellungs- und Messeausschusses der deutschen Wirtschaft" können wir sagen: Der Minister hat Recht behalten. Das Messewesen und der AUMA haben ganz erheblichen Anteil an den Erfolgen der deutschen Wirtschaft. Das verdient Dank und Anerkennung. Und darum sage ich Ihnen: Herzlichen Glückwunsch und weiterhin viel Erfolg!
II. Dabei beginnt die Geschichte des AUMA mit einem empfindlichen Defizit: Das deutsche Messe- und Ausstellungswesen hatte nicht Schritt gehalten mit dem enormen Aufschwung der deutschen Industrie in der Gründerzeit. Zwar war um 1900 Leipzig der international führende Messestandort, aber nicht eine der Weltausstellungen, auf denen seit Mitte des 19. Jahrhunderts technische Innovationen gezeigt wurden, fand in Deutschland statt. Darum stehen die Wahrzeichen der großen internationalen Leistungsschauen jener Epoche - ich nenne nur den Eiffelturm - allesamt im Ausland.
Selbst die deutschen Beiträge zu Weltausstellungen blieben deutlich hinter den Erwartungen an das damals zweitgrößte Industrieland der Welt zurück. Sie offenbarten dafür allerdings einiges über das Selbstbild des Deutschen Reichs. So berichtete der deutsche Ingenieur und Preisrichter Franz Reuleaux von der Weltausstellung in Philadelphia ( 1876 ) , allerorten sehe man dort im deutschen Pavillon "bataillonsweise aufmarschierende Germanien, Borussen, Kaiser, Kronprinzen, Bismarcke, Moltken und Roone" auf Porzellan, Biskuit oder Zink. In einem Zeitungsbeitrag klagte er, die deutsche Industrie präsentiere sich im Übrigen auf der Weltausstellung nach dem "Grundprinzip ' billig und schlecht '".
Es gab also durchaus Handlungsbedarf, als die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft 1907 beschlossen, eine "Ständige Ausstellungskommission für die Deutsche Industrie" zu gründen, die die Messeaktivitäten der deutschen Wirtschaft koordinieren und für mehr Fairness und Transparenz im Messegeschäft sorgen sollte. Beiden Aufgaben hat sich der AUMA mit Erfolg gestellt. Schon der erste Präsident, der rührige Berliner Unternehmer Ludwig Max Goldberger, beherrschte meisterhaft, was man heute "Lobbyarbeit" und "Agenda-Setting" nennt. Goldberger, der nach einer Amerika-Reise das geflügelte Wort vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" prägte, zeigte auch der deutschen Wirtschaft immer neue Möglichkeiten auf und half mit, sie zu nutzen.
Heute ist Deutschland der führende Messestandort weltweit: Vier der fünf größten Messegelände liegen in unserem Land, und unter den fünf umsatzstärksten Messeveranstaltern der Welt sind drei deutsche. 150 internationale Messen finden jedes Jahr in Deutschland statt, und dabei kommen rund die Hälfte der Aussteller und ein Drittel der Fachbesucher aus dem Ausland. Das hat nicht nur zu unserem Erfolg als "Exportweltmeister" beigetragen, sondern auch zur Weltoffenheit unseres Landes. Die internationalen Messen sind eine gute Visitenkarte für Deutschland - übrigens auch in kultureller Hinsicht: Ich nenne nur die beiden großen Buchmessen in Leipzig und Frankfurt, bei denen es um weit mehr geht als nur darum, die "Ware Buch" abzusetzen. Die Tradition als Messestandort prägt das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein vieler Städte in Deutschland. Leipzig als "Geburtsort" der Mustermesse zum Beispiel wirbt noch heute stolz mit dem doppelten "M"; und auch Hannover, Frankfurt, Köln und viele andere verdanken ihren Messen ein Gutteil ihres internationalen Flairs.
III. Messen sind ein Schaufenster der Wirtschaft. Um am Markt erfolgreich zu sein, genügt es eben nicht, bloß gute Produkte herzustellen. Man muss sie auch entsprechend präsentieren und die potenziellen Kunden von ihrem Wert überzeugen. Auf Messen zeigt sich besonders deutlich, was eine funktionierende Marktwirtschaft ausmacht, denn Wettbewerb lebt vom freien Spiel von Angebot und Nachfrage, von Transparenz und fairem Vergleich. Und wo sonst kommen so viele Anbieter und Nachfrager zusammen, wo sonst kann man so gut Angebote vergleichen, sich einen Überblick über die Aktivitäten der Konkurrenz verschaffen, sich miteinander messen, wie auf einer Messe?
Daran hat übrigens auch das Internet wenig geändert. Es ergänzt das Messegeschäft offensichtlich um eine wertvolle Möglichkeit, sich vorab zu informieren, um dann beim Messebesuch vor Ort das Angebot umso gezielter zu prüfen. Inzwischen bieten viele Messeveranstalter den Kunden diese Möglichkeit in Gestalt virtueller Messeplätze, und die werden auch dankbar angenommen. Aber nichts kann den tatsächlichen Eindruck ersetzen, das Verkaufsgespräch und die persönliche Begegnung.
Freilich reicht es für moderne Messen längst nicht mehr, mal eben den Marktplatz für die bunten Wagen zu räumen oder in einer Halle ein paar Tische aufzubauen. Messen sind heutzutage gigantische Infrastrukturprojekte, deren Präsentationen und Inszenierungen eine Technik auf dem neuesten Stand und einen unermüdlichen Dienst am Aussteller und am Kunden erfordern. Der Erfolg der Messen in Deutschland beweist darum seit langem auch zweierlei: Wir Deutsche können hervorragende Gastgeber sein - das war auch vor 2006 schon so - und in der viel gescholtenen Servicewüste Deutschland gab es schon immer auch fruchtbare Oasen.
Messen sind Orte der Begegnung, und Begegnungen können etwas ganz Wichtiges: Vertrauen begründen. Vertrauen wiederum ist eine der wertvollsten Ressourcen überhaupt - auch in der Wirtschaft. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass das Messewesen eine gute Zukunft hat - vorausgesetzt, Messen bleiben Orte, an denen man Vertrauen investieren kann. Darum ist es so wichtig, für Vertrauensschutz zu sorgen, für Schutz zum Beispiel vor Produktfälschern, die die Präsentationen der Konkurrenz nur nutzen, um deren Ideen "abzukupfern" und in der nächsten Saison mit Kopien zu Dumpingpreisen anzutreten. Glücklicherweise wächst das Bewusstsein für den Schaden, den die Missachtung des geistigen Eigentums weltweit anrichtet.
IV. Messen sind Motoren des Wandels. An der Liberalisierung des Welthandels Ende des 19. Jahrhunderts etwa hatten nicht zuletzt die internationalen Leistungsschauen einen beträchtlichen Anteil. Schon über die erste Weltausstellung in London schrieb der Korrespondent der französischen "Revue des Deux Mondes", sie erscheine ihm als "Vorwort zum Freihandel". Inzwischen ist der Welthandel über dieses Vorwort längst hinaus. Wir alle schreiben mit am Buch der Globalisierung.
In den letzten 50 Jahren ist das Volumen des Welthandels auf das Dreißigfache angestiegen und an diesem Handel beteiligen sich nicht nur die vielzitierten multinationalen Unternehmen, deren Zahl sich in den vergangenen 25 Jahren mehr als vervierfacht hat, sondern Mittelständler und zunehmend auch Existenzgründer.
Deutschland ist am Welthandel so stark beteiligt wie nur wenige andere Länder, und nur wenige profitieren von der wirtschaftlichen Verflechtung so stark wie wir. Vier von zehn Euro verdienen wir im Ausland! Im vergangenen Jahr hat die deutsche Wirtschaft Güter und Dienstleistungen für über 1000 Milliarden Euro exportiert."Made in Germany" - das ist ein Gütesiegel, dessen Qualität viele Gründe hat: das Können unserer Ingenieure, Wissenschaftler und Facharbeiter; die unternehmerische Fähigkeit, sich immer wieder neu auf Kunden und Märkte einzustellen - und eben auch die Qualität unserer Messewirtschaft, die den deutschen Unternehmen ein attraktives internationales Schaufenster für Ihre Waren und Dienstleistungen bietet.
Wie erfolgreich das deutsche Messewesen ist und wie dynamisch die weltweite wirtschaftliche Verflechtung, das lässt sich auch daran ablesen, dass mittlerweile das deutsche Messe-Know-How und die deutschen Messe-Marken selbst zum Exportschlager geworden sind: So richtet zum Beispiel die Hannovermesse in China die "CeBIT Shanghai" aus. Die größte deutsche Auslandsmesse ist die "bauma-China" der Messe München. Die Frankfurter Messegesellschaft verzeichnet nahezu die Hälfte ihrer Besucher bei Messen, die sie im Ausland veranstaltet. Über 200 Veranstaltungen deutscher Messen im Ausland und Kooperationen mit ausländischen Partnern zeigen, dass die deutsche Messewirtschaft längst erkannt hat: Sie muss mit ihren Dienstleistungen auch dort präsent sein, wo die neuen Märkte sind. Davon profitieren alle: Die Messewirtschaft, die Kunden im Ausland und auch die Anbieter aus Deutschland.
Die anderen kaufen gern bei uns, und sie haben ihrerseits auch uns viel zu bieten: Wir importieren mittlerweile ungezählte Güter des täglichen Bedarfs, die andere kostengünstiger herstellen. Auch das hat unserem Land deutliche Wohlstandsgewinne beschert, denn die Verbraucher in Deutschland bekommen mehr für ihr Geld. Die Arbeitnehmer in den Schwellen- und Entwicklungsländern wiederum haben begonnen, sich aus eigener Kraft einen bescheidenen Wohlstand aufzubauen. Das alles sind Erfolge der Globalisierung.
Ihre positiven Wirkungen lassen sich durchaus noch steigern, zum Beispiel durch Handels- und Investitionserleichterungen, wie sie jüngst zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika vereinbart worden sind. Aber mindestens ebenso wichtig ist es, die Globalisierung durch weltweiten Dialog und durch einen weltweit geltenden Ordnungsrahmen zu gestalten, denn nur dann wird sie faire Chancen für alle bieten und bleibt die Erde ein wohnlicher Stern.
Darum ist zum Beispiel ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen so wichtig, die im Rahmen der Welthandelsorganisation seit der Konferenz der Wirtschafts- und Handelsminister in Doha 2001 anhängig sind. Ein Erfolg würde allen nützen - den Entwicklungs- und Schwellenländern gäbe er bessere Absatzchancen für ihre Agrarprodukte, den Industriestaaten mehr Rechtssicherheit für ihre Produktideen, und von einer ordentlichen Reduzierung der vielen Handelshemmnisse würden alle profitieren. Ein Erfolg der Doha-Runde wäre insbesondere auch ein vertrauensbildendes Signal der Zusammenarbeit und des friedlichen Interessenausgleichs in der Welt. Gerade ein solches Signal täte in der gegenwärtigen Weltsituation gut.
In Deutschland haben wir jetzt eine große Chance. Der starke Wirtschaftsaufschwung setzt uns in die Lage, unsere Position im internationalen Wettbewerb um Arbeitsplätze und hohe Wertschöpfung dauerhaft zu stärken. Das verlangt die Fortsetzung der Reformpolitik. Nach meiner Auffassung sollten wir uns dabei von drei Hauptzielen leiten lassen:
Erstens: Wir müssen unsere Investitionen in Bildung, Ausbildung, lebenslanges Lernen und in Forschung und Entwicklung deutlich steigern.
Zweitens: Es geht um eine kluge Tarif- und Arbeitsmarktpolitik, die die Arbeitnehmer am Erfolg teilhaben lässt und zugleich den weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit nachhaltig voranbringt, vor allem für Langzeitarbeitslose. Arbeitslosigkeit ist immer noch das soziale Kernproblem in Deutschland.
Drittens: Die günstige Finanzentwicklung bei Bund, Ländern und Gemeinden sollte genutzt werden, zuverlässig die Weichen dafür zu stellen, dass auch die Rückführung der Staatsverschuldung wieder möglich wird.
V. Kein "Verweile doch, Du bist so schön" also, sondern spannende Aufgaben allüberall. Die verlangen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft nach Führung und guten Vorbildern. Führen wiederum beginnt mit Erklären, und wer etwas erklären soll, muss es selber begriffen haben. Da haben die deutschen Messemacher in Sachen Globalisierung vielen Vieles voraus. Darum möchte ich Ihnen, obwohl Sie gewiss alle Hände voll zu tun haben, eine zusätzliche Aufgabe ans Herz legen. Kaum jemand erlebt und erfährt ja doch so unmittelbar wie Sie, mit welcher Dynamik sich der weltwirtschaftliche Handel und Wandel vollzieht. Diese Sachkunde ist wirtschaftlich wertvoll für unser Land, aber auch ihr aufklärerisches und meinungsbildendes Potential sollte bestmöglich genutzt werden. Darum lautet meine Bitte: Beteiligen Sie sich an Diskussionen in Schulen und Hochschulen, in Ratssitzungen und Betriebsversammlungen, auf Parteitagen und Kirchentagen, und berichten Sie unseren Mitbürgern noch viel öfter und noch viel mehr als bisher von Ihrer Arbeit. Berichten Sie von den Menschen aus aller Welt, mit denen Sie kooperieren, und von den großen Chancen, die sich für Deutschland und Europa aufgetan haben und weiter abzeichnen. Berichten Sie darüber, welche Möglichkeiten der technische Fortschritt bietet und wie anspruchsvoll der Wettbewerb ist, aber berichten Sie auch, dass die anderen eben auch nur mit Wasser kochen und dass wir Deutsche weiterhin gut zurechtkommen werden, wenn wir uns gehörig anstrengen. Helfen Sie mit, in Deutschland das Selbstbewusstsein zu stärken: Unser Land der Ideen hat auf den Märkten der Welt alle Chancen!
VI. Vergangenen Winter zeigte die ARD einen Fernsehfilm über das Leben von Margarete Steiff, der "Erfinderin" des Teddybären. Eine Schlüsselszene zeigt, wie Margarete Steiff - faszinierend gespielt von Heike Makatsch - mit ihrem Unternehmen vor dem wirtschaftlichen Aus steht. Ihre Landsleute haben kein Geld für Kuscheltiere. Die Firma ist mit den Löhnen im Rückstand. Die Banken haben die Kredite gekündigt. Da entschließt sich Margarete Steiff zu einem letzten Versuch: Sie entwirft einen Stoffbären mit beweglichen Armen und Beinen und stellt ihn auf der Leipziger Spielzeugmesse vor. Doch das Interesse ist gering; und das Schicksal der schwäbischen Unternehmerin scheint endgültig besiegelt. Da taucht kurz vor Messeschluss ein Einkäufer aus Amerika auf, betastet den Bären, fragt nach dem Preis, lacht und be-stellt auf einen Schlag 3.000 Stück. Die Firma ist gerettet - und der Teddybär geboren.
Eine Szene fast wie aus dem Märchen von den Sterntalern. Und doch eigentlich Messealltag. Es reicht eben nicht, ein gutes Produkt zu haben - es muss auch seinen Käufer finden. Da helfen Messen - den Anbietern, den Abnehmern und am Ende den Kunden - uns allen eben.
Diesem Dienst am Kunden widmet sich seit nun hundert Jahren der AUMA. Er ist damit fast so alt wie der Siegeszug des Teddybären.
Zu Geburtstagen darf man Geschenke mitbringen. Ich habe eines für Sie: einen kleinen Teddybären mit schwarz-rot-goldener Schleife. Geben Sie ihm bitte ein gutes Zuhause. Danke schön, und Ihnen allen und dem AUMA alles Gute für die Zukunft!