Redner(in): Horst Köhler
Datum: 11. Mai 2007
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2007/05/20070511_Rede.html
Seit nun fast 100 Jahren wird in diesem wunderschönen Opernhaus die Schöpferkraft großer Künstler gefeiert. Aber wie wird eigentlich aus Tönen - Musik? Wie wird aus Wörtern eine Geschichte, die zu Herzen geht? Und was macht manche Verknüpfung von Libretto und Musik so unwiderstehlich, dass sie über Jahrhunderte die Menschen immer neu begeistert?
Seit nun zehn Jahren zeichnet der Bundespräsident - unterstützt vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und seinen Mitgliedern - wegweisende Forscher und Entwickler mit dem Deutschen Zukunftspreis aus. Aber wie verläuft eigentlich der Weg von der Feststellung eines Problems zu seiner Lösung? Wie werden aus einer guten Idee viele gute Produkte? Wie entstehen Innovationen, die uns das Leben leichter machen, die es bereichern?
Ob in der Kunst oder in Wissenschaft und Forschung: immer kommt es vor allem auf eine Fähigkeit an: auf Kreativität. Nun ist allerdings die Kreativität in der Geschichte des menschlichen Fortschritts so etwas wie das Licht. Man weiß als Laie nicht so ganz genau, was es ist, aber man merkt sehr schnell, ob es heller oder schwächer strahlt oder gar völlig fehlt. Immerhin: An ihren Ergebnissen können wir Kreativität erkennen, und gelegentlich zeigt sie sich ganz offen, zum Beispiel wenn jemand in einer Nacht die Marseillaise schreibt oder eines schönen Tages im Fall eines Apfels das Gesetz der Schwerkraft entdeckt. Aber meist bewegt sich die Kreativität eher im Verborgenen und auf sehr verschlungenen Pfaden. Darum hat sie auch noch keiner zur Strecke und auf den Begriff gebracht, so viele Philosophen und Pädagogen, Neurowissenschaftler und Innovationsforscher, Unternehmer und Politiker ihr auch nachjagen.
Die englische Philosophin Margaret Boden umschreibt das Phänomen "Kreativität" kurz und knapp so: "Creative ideas are new, surprising and valuable" - kreative Ideen sind neu, überraschend und wertvoll. Neu - das ist zum Beispiel die optische Formel, mit der Stefan Hell, der aktuelle Träger des Deutsche Zukunftspreises, die Abbesche Beugungsgrenze überwunden und so die Grundlage für Lichtmikroskopie in ungekannter Schärfe gelegt hat. Überraschend - das war die Art und Weise, wie Melitta Bentz das Löschpapier ihrer Kinder verwendete, um endlich Kaffee ohne Satz genießen zu können. Nützlich und wertvoll - als das erwies sich Robert Boschs Gedanke, mit einem Magnetzünder das Gasgemisch in einem Motor zu einer kontrollierten Explosion zu bringen. Die Zündkerze verhalf dem Automobil zum Durchbruch und der Firma Bosch zu beispiellosem wirtschaftlichem Erfolg.
Ausgetretene Denkpfade verlassen, vorhandenes Wissen auf ungeahnte Weise neu kombinieren, nie Dagewesenem die Bahn brechen - darin zeigt sich Kreativität. Sie abschließend zu erklären oder gar zu steuern, das dürfte wohl unmöglich sein. Kreativität kann man "nur zulassen oder verhindern", sagt Hubert Markl, der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Und das bedeutet auch: Kreativität lässt sich doch ermöglichen, vielleicht sogar erleichtern.
Und daran muss uns allen sehr gelegen sein. Wir alle wissen natürlich, wie wichtig Ideen und wie unverzichtbar Innovationen für das Wohlergehen unseres Landes sind. Wir wissen natürlich, dass die wichtigste Ressource, über die wir in Deutschland verfügen, in den Köpfen der Menschen zu erschließen ist. Und wir wissen natürlich, dass wir im internationalen Wettbewerb nur dann bestehen können, wenn wir mindestens so viel besser sind, wie wir teurer sind. Das ist ein Satz, den ich von einem Unternehmer aus Baden-Württemberg übernommen habe - und er ist mittlerweile fast schon zum geflügelten Wort geworden.
Besser - das bedeutet vor allem: findiger und schneller bei der Entwicklung von Lösungen, die möglichst weltweit den Menschen das Leben erleichtern, vielleicht sogar verschönern. Wir wissen das natürlich alles. Aber handeln wir danach? Sorgen wir unermüdlich für die Bedingungen, die Kreativität zulassen oder gar ermutigen und erleichtern?
Kreativität lebt von mindestens drei Voraussetzungen: von Bildung, die die Neugier schult, von Freiheit, die auch Unvorhersehbarem Raum gibt, und vom Wettbewerb, der immer auch ein Austausch von Ideen ist.
Einfälle sind selten bloße Glücksfälle: "Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist", sagt Louis Pasteur. Eine solide Wissensbasis, die Fähigkeit, Informationen zu verknüpfen, das Vermögen, die eigenen Gedanken zu ordnen und zu Ende zu denken - schon in der Schule müssen diese Grundbedingungen für Kreativität geschaffen werden. Wir wissen, dass wir auf diesem Gebiet in Deutschland viel besser werden können - und ich sage ganz bewusst: besser werden müssen. Wie soll jemand später kühne Gedankengebäude errichten, wenn ihr oder ihm dafür die erforderlichen Wissensbausteine fehlen - ganz zu schweigen von der Fähigkeit, diese auch solide zusammenzusetzen? Mit beidem müssen junge Leute ausgerüstet sein, besonders wenn sie unsere weiterführenden Schulen verlassen, denn sonst führen die eben nicht weiter. Das ist für alle Beteiligten auch anstrengend, ich weiß. Aber Thomas Edison sagt mit Recht: Genie ist zu 1 % Inspiration und zu 99 % Transpiration. Lernen bedeutet nun eben mal auch Anstrengung: Wir brauchen mehr Bereitschaft dazu: sowohl auf der Seite der Lernenden wie der Lehrenden.
Verstehen Sie mich recht: Ich rede nicht der alten Paukschule das Wort. Wir müssen uns vielmehr den Wert des spielerischen, des selbständigen, des entdeckenden Lernens noch stärker bewusst machen, das übrigens nicht erst in der Schule beginnen darf, sondern schon im Elternhaus und in der Kita angeregt sein will. Und ich bin überzeugt davon, dass junge Menschen ihre kreativen Potenziale dann am besten entwickeln können, wenn es beim Lernen nicht allein um Fakten, sondern auch um Erfahren und Erleben geht. Erfahren und Erleben - das sendet Impulse an alle Sinne. Das gilt insbesondere für die Natur- und Technikwissenschaften, in denen wir vielleicht auch deshalb ein Nachwuchsproblem haben, weil im Schulunterricht das selbsttätige Experimentieren und die unmittelbare Naturbeobachtung oft zu kurz kommen. Deshalb ist es gut, dass Initiativen deutscher Unternehmen wie die "Wissensfabrik" und die überall entstehenden Science Centers Kindern neue Möglichkeiten eröffnen, beispielsweise selbst mit einem Mikroskop die Geheimnisse einer Zelle zu entdecken, eigenständig einen Torbogen zu bauen und höchstpersönlich aus einem Stück Blech ein Designerstück zu machen.
Deswegen ist es wichtig, dass die Wissenschaft ihrerseits auf die Forscher und Entwickler von morgen zugeht: etwa bei den jährlichen Wissenschaftssommern im Rahmen der Aktion "Wissenschaft im Dialog" oder mit den Kinderuniversitäten, die vielerorts inzwischen zum Hochschulrepertoire gehören - ich freue mich darüber!
Zusammenhänge zu verstehen, Ordnung zu erkennen und damit schöpferisch umzugehen: Das ist übrigens auch ein Ziel guten Unterrichts in den musischen Fächern. Natürlich gehören Musik und Kunst schon deshalb auf den Stundenplan, weil sie auf beglückende und erfüllende Weise die Welt erschließen. Aber es ist durchaus erlaubt, auch ihre nützlichen Aspekte zu betonen - und einer davon ist, dass die musischen Fächer erwiesenermaßen besonders kreativitätsanregend sind. Doppelt kurzsichtig also, wenn es gerade Musik und Kunsterziehung sind, die bei Stundenplankürzungen als erste gestrichen werden!
Dabei brauchen wir doch das Gegenteil von Unterrichtsausfall - und wir brauchen anderen Unterricht: Wenn Kinder wirklich ihren Begabungen und Bedürfnissen entsprechend beim Lernen gefordert und unterstützt werden sollen - dann muss die vielbeschworene individuelle Förderung endlich überall mehr sein als ein Lippenbekenntnis. Individuelle Förderung ist viel wichtiger als eine ideologische oder parteipolitische Diskussion über Schulformen oder Schulstrukturen. Und weil wir so viel Wert legen müssen auf individuelle Förderung, sollte von nun an die Ausrede tabu sein, dafür fehle es leider an Geld oder darauf seien die Lehrerinnen und Lehrer unzureichend vorbereitet.
Ich bin überzeugt: Alle - zum Glück ja angelaufenen - Bemühungen um eine bessere Schule bleiben Stückwerk, wenn es nicht gelingt, die Lehrer wirklich praxisnäher auszubilden, ihnen mehr Unterstützung und Anerkennung für ihre wichtige Arbeit zu erweisen und so die Besten für den Beruf zu gewinnen. Unsere Lehrer sollen die Besten sein, unsere Kinder haben das verdient. Der Stifterverband hat mit seinem Aktionsprogramm "Neue Wege in der Lehrerausbildung" gute Ideen dafür zusammengetragen und gefördert. Dafür bin ich sehr dankbar. Jetzt soll auch die Fort- und Weiterbildung in den Blick genommen werden. Das ist ja ein Bereich, der in unserer Gesellschaft, in unserer Volkswirtschaft, die sich ständig neuen Anpassungen zu stellen haben, eher zu kurz kommt bei den bildungspolitischen Bemühungen. Dass sich aber in der Lehrerweiterbildung jetzt mehr tut, finde ich gut, denn wie sagen die Schüler in Kästners "Fliegendem Klassenzimmer" so richtig: "Wir brauchen Lehrer, die sich entwickeln müssen, wenn sie uns entwickeln wollen" - Lehrer also, die Vorbilder sind in der Bereitschaft, immer wieder zu neuen Ufern aufzubrechen, und ihre Schüler dorthin mitnehmen. Und natürlich setzt das auch voraus, dass diese Lehrer Unterstützung bekommen: von der Schulverwaltung, von den Elternhäusern, von der Gesellschaft, von der Wirtschaft.
Bildung - schreibt Hartmut von Hentig - verleiht der Neugier Sinn. Bildung strukturiert den natürlichen Wissensdrang und hilft der Kreativität auf die Sprünge. Darum sollten wir die Institutionen stark machen, die diese Sprungstärke trainieren: die Schulen sowieso und die Hochschulen natürlich auch.
Wir wollen doch, dass die Universitäten und Fachhochschulen Pflanzstätten des Geistes sind, an denen Neugier und Forscherdrang in neues Wissen umgewandelt werden. Wir wollen doch, dass sie Orte sind, an denen Menschen ihren geistigen Horizont stetig erweitern - in der Stille einer Bibliothek ebenso wie in einem interdisziplinären Seminar oder einem multinationalen Laborteam. Wir wollen doch, dass möglichst viele junge Menschen an den Universitäten das Rüstzeug dafür erwerben, mit ihren Ideen und Fähigkeiten in der Wissensgesellschaft Erfolg zu haben.
Angesichts überfüllter Hörsäle, teilweise maroder Gebäude und fehlender Ausstattung in Labors und Bibliotheken muss man aber gelegentlich den Eindruck haben, dass die Bildung bei uns nach dem Grundsatz erfolgt: "Not macht erfinderisch". Nun kann ja zweifellos auch der Mangel ein wichtiger Motor für Kreativität sein. Das zeigt nicht zuletzt die Geschichte des Stifterverbandes - 1920 von den Herren Haber und Schmidt-Ott als "Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft" ersonnen.
Aber dennoch sollten wir uns vor dem Irrglauben hüten, aus jeder Not ließe sich eine Tugend machen. Unsere Hochschulen sind - bei steigenden Belastungen - chronisch unterfinanziert. Im OECD-Vergleich liegen die deutschen Ausgaben für die Studierenden seit langem nur im Mittelfeld, und bezogen auf unsere Wirtschaftskraft - ich könnte auch sagen: hinsichtlich unseres Anspruchs auf weiteren Wohlstand - sind unsere Ausgaben für die Hochschüler unterdurchschnittlich. Das leisten wir uns, obwohl wir doch wollen, dass junge Menschen zügig und erfolgreich studieren können und dabei auf engagierte Hochschullehrer treffen, die wissenschaftlicher Mentor, Vorbild und Partner zugleich sind. Solche Wissenschaftler gibt es - das zeigt uns zum Beispiel der "Ars legendi-Preis", den Stifterverband und Hochschulrektorenkonferenz gemeinsam für exzellente Hochschullehrer ausloben. Wir brauchen mehr von diesen exzellenten Hochschullehrern. Eine Qualitätsoffensive für die Lehre planen auch die Kultusministerkonferenz und der Wissenschaftsrat. Ich bin froh darüber und gespannt auf das Ergebnis.
Aber nicht allein der Staat - und das heißt nach der Föderalismusreform zunächst: jedes Bundesland - ist gefragt, wenn es um die Zukunft der Hochschulen geht. Auch die Wirtschaft trägt Verantwortung, denn sie ist angewiesen auf hervorragend ausgebildeten Nachwuchs und profitiert vom wissenschaftlichen "Output" der Universitäten. Es ist gut, dass Unternehmen Stiftungsprofessuren übernehmen und Forschungsaufträge an Universitäten vergeben; es ist hilfreich, wenn sie Sanierungsmaßnahmen fördern, es ist richtig, wenn sie Studierende durch Stipendienprogramme und Praktika unterstützen. Und wenn Sie als Unternehmen nicht wissen, wie Sie sich für die Hochschulen engagieren können: Fragen Sie den Stifterverband!
Kreativität braucht ein solides Fundament an Bildung, und Kreativität braucht Freiheit, um sich entfalten zu können. Freiheit - das heißt aber auch: angemessene finanzielle Mittel. Jahr für Jahr führt uns die Statistik des Stifterverbandes vor Augen, dass wir für Forschung und Entwicklung in Deutschland zu wenig ausgeben, das heißt, zu wenig in Zukunft investieren. Wir beschwören das Lissabon-Ziel und haben uns ihm doch bisher keinen Deut genähert - im Gegenteil: 2005 lagen die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in Deutschland bei 2,46 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Sieht so die von Staat und Wirtschaft versprochene konsequente Anstrengung für Ideen und Innovationen aus, die unserem Land eine gute Zukunft sichern sollen?
Die Bundesregierung hat nun immerhin ein 6 Milliarden-Programm aufgelegt - ein guter Einstieg. Jetzt müssen auch die Länder mitziehen. Hier in Baden-Württemberg brauche ich das eigentlich nicht zu sagen. Als einziges Bundesland übertrifft es die 3-Prozent-Marke schon heute. Dieser Kurs sollte fortgesetzt werden.
Mehr als zwei Drittel der F & E-Aufwendungen werden in Deutschland von der Wirtschaft erbracht. Immer öfter aber höre ich von Unternehmen: Wir verlagern Forschungs- und Entwicklungskapazitäten ins Ausland - dorthin, wo wir produzieren und wo unsere Märkte sind, wo schlicht auch die Kosten sehr viel niedriger sind. Das müssen wir erstmal zu Kenntnis nehmen. Aber dennoch sollten wir genauer nachfragen dürfen: Natürlich sind solche Verlagerungen ein ganz normaler Teil der Internationalisierung unserer Volkswirtschaft. Ich spreche also nicht prinzipiell gegen Verlagerung. Wir sind in Deutschland Profiteure der Globalisierung und haben nicht zuletzt unseren jetzigen erfreulichen Aufschwung gerade auch dieser Entwicklung zu verdanken. Es investieren ja auch viele ausländische Unternehmen in Deutschland, und auch sie schaffen dabei F & E-Kapazitäten. Zugleich ist aber doch Aufmerksamkeit geboten: Gerade die für Innovationen verantwortlichen Unternehmensteile haben eine besondere Führungs- und Lenkungsfunktion. Wer diese Bereiche ins Ausland schickt, mag dort die Zusammenarbeit im Unternehmen erleichtern, auch kurzfristig Kostenvorteile nutzen. Aber die Frage ist, ob das langfristig immer die beste Antwort ist. Und volkswirtschaftlich betrachtet, besteht ein hohes Interesse daran, dass der Export und der Import von F & E-Kapazitäten sich mindestens die Waage hält - und besser noch, sie neigt sich zum heimischen Standort - das sage ich, obwohl ich entschieden für Offenheit bin und Internationalität.
Ich weiß, darauf kann ein einzelnes Unternehmen nur bedingt Rücksicht nehmen. Und ich bin der Letzte, der ein einzelnes Unternehmen hier bedrängte. Aber wenigstens sollte vor einer Verlagerung ins Ausland immer die alte Handwerkerregel beachtet werden: dreimal messen, ehe man einmal schneidet. Sind also zum Beispiel die Personalkosten im Ausland auch nur mittelfristig wirklich so viel niedriger? Gelingt es auch dort, den Zusammenhalt zu schmieden, der hiesige Betriebsgemeinschaften auszeichnet, der oft die Unternehmenskultur auszeichnet? Ich glaube, dass wir in Deutschland eher noch zu wenig daraus machen, dass wir eine Unternehmenskultur haben, die auf die Gemeinschaft von Management, Unternehmensführung und Belegschaft setzt. Diese Kultur ist gut, die ist zukunftsfähig. Und es gibt Hinweise, dass gerade auch bei ausgelagerten Betrieben die Betriebsloyalität der Mitarbeiter gar nicht so groß ist - und das schafft neue Kosten.
Und wenn ich manchmal den Einwand höre: Hierzulande finden wir ja längst nicht mehr genug hochqualifizierte, gute Mitarbeiter, dann gebe ich darauf die Frage zurück: Können Sie als Unternehmen nicht auch sehr viel mehr dazu beitragen, dass sich an dieser Situation etwas ändert, indem Sie auch mit Ihrem Beitrag jungen Menschen zeigen, wie spannend und zukunftsträchtig die beruflichen Herausforderungen zum Beispiel für diejenigen sind, die Natur- oder Ingenieurwissenschaften studieren?
Die Unterstützung für Forschung und Entwicklung verlangt Entschlossenheit, Ausdauer und Mut: zum Beispiel die Entschlossenheit, Mittel zu konzentrieren, statt sie mit der Gießkanne über alle möglichen Innovationsfelder zu verteilen; zum Beispiel die Ausdauer, beharrlich nach neuen Erkenntnissen und besseren Lösungen zu suchen, auch wenn sich damit nicht der schnelle Euro machen lässt; und zum Beispiel den Mut, kreativen Forschungs- und Entwicklungsprojekten auch finanziell über die Hürde des Anfangs zu helfen. In Deutschland werden nur 0,014 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in viel versprechende, aber noch risikoreiche Start-up-Projekte investiert, also in Existenzgründungen, Neugründungen - in den USA ist dieser Anteil doppelt so hoch.
Die Hightech-Strategie der Bundesregierung zeigt, was wir besser machen können in der Innovationsförderung: nicht nur beim Wagniskapital, sondern zum Beispiel auch bei der Beteiligung der Kleinen und Mittleren Unternehmen, deren F & E-Potenzial bei weitem nicht ausgeschöpft ist.
Und noch aus einer weiteren Quelle könnte es in Deutschland für Wissenschaft und Forschung lebhafter sprudeln: ich meine die privaten Stiftungen. Davon muss ich Sie, meine Damen und Herren, nicht überzeugen, denn viele von Ihnen haben genau deswegen Stiftungen gegründet. Dafür danke ich Ihnen. Und ich wünsche mir, dass Ihr Beispiel auch andere anstiftet - am besten so, dass die Förderung von Wissenschaft und Forschung in Deutschland gleichsam zur Ehren-Sache der Bürger wird. Die anstehende Novellierung des Stiftungsrechts, zu der auch der Stifterverband wichtige Impulse gegeben hat, wird es künftig noch einfacher und attraktiver machen, privates Kapital in Stiftungen zu überführen und damit die Wissenschaft und andere gemeinnützige Zwecke zu unterstützen. Ich wünsche mir jedenfalls Wachstum gerade auch beim Stiften, also beim Engagement für den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Hier können wir durch unseren persönlichen - nicht zuletzt finanziellen - Einsatz zeigen, dass uns an unserer Wirtschaftsordnung, an unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung wirklich etwas liegt.
Gute Ideen brauchen Freiheit, aber sie brauchen auch das rechte Maß an Verlässlichkeit. Wer zum Beispiel ein langfristiges Projekt der Grundlagenforschung vorantreibt, sollte nicht jeden Tag darüber grübeln müssen, ob sein Vorhaben womöglich demnächst zugunsten kurzfristig verwertbarer Ziele zurückgestellt wird. Oder auch: Wer einer etwas verrückten, aber nicht unplausibel klingenden Idee nachgeht, soll nicht befürchten müssen, ein Misserfolg werde seine gesamte weitere Karriere überschatten oder gar ruinieren. Und wer gute Ideen hat und zur Reife bringt, der muss sich dabei auf den Schutz seines geistigen Eigentums durch die Rechtsordnung des Staates verlassen können.
Freiheit und Sicherheit für neue Ideen: auch der Faktor "Zeit" ist dabei wichtig: Wir wissen, dass die Innovationszyklen immer kürzer werden und der Veränderungsdruck zunimmt. Zeit ist deshalb eine kostbare Ressource, unverzichtbar für Kreativität: Ohne Muße kein Musenkuss. Nicht umsonst räumen innovative Unternehmen ihren Mitarbeitern Arbeitszeit zur freien Verwendung ein; nicht umsonst nutzen Hochschullehrer "sabbaticals", um ihre Forschung voranzubringen. Nicht wenige aber fliehen aus den deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen und suchen andernorts Freiheit von Bürokratie, Gremienunwesen und Berichtszwängen. Im globalen Wettbewerb um die kreativsten Köpfe reicht es nicht, an den Patriotismus der Wissenschaftler zu appellieren - wir müssen schon mehr dafür tun, um ihnen den Rücken freizuhalten, bevor sie uns den Rücken kehren.
Mehr Freiheit: das ist keine Einladung zum Müßiggang: Sättigung und Gewissheit - Besitzstand und Anspruch - können machtvolle Verhinderer von Kreativität sein. Dafür gibt es auch in der deutschen Wissenschaftslandschaft manches Beispiel. Dagegen hilft vor allem eins: Wettbewerb. Man kann eine Lösung für ein Problem suchen oder kann versuchen, die beste zu finden. Spitze sein zu wollen - das erzeugt kreative Dynamik. Hätten wir etwa ohne die Exzellenzinitiative im universitären Bereich in den letzten Jahren soviel Aufbruch in der Hochschullandschaft erlebt? Und hätten wir ohne sie und den Pakt für Forschung und Innovation soviel Bereitschaft zur Zusammenarbeit von Menschen und Institutionen erlebt? Ich glaube nicht. Hier ist etwas Gutes in Gang gekommen. Und ich bin mir mit Minister Frankenberg völlig einig: Die Exzellenz-Initiative muss über den bisherigen Zeitrahmen hinaus verlängert werden.
Denn auch das beflügelt die Kreativität: Austausch - zwischen Fachkollegen, zwischen den Disziplinen ( Kreativität ist nämlich notorisch undiszipliniert ) , zwischen Grundlagenforschung und Anwendungsorientierung, zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Wir brauchen nicht kleinkariertes Kästchendenken, wir brauchen Kommunikation, Kooperation, Austausch! "Die Grenze ist der fruchtbarste Raum der Erkenntnis." - Dieser Satz des evangelischen Theologen Paul Tillich ist vielleicht eine der besten Antworten auf die Frage, wie das Neue in die Welt kommt. Und deswegen ist es richtig, auf interdisziplinäre Netzwerke und starke Cluster von Wissenschaft und Wirtschaft zu setzen. Dafür gibt es in Deutschland gute Beispiele, aber der Austausch kann noch besser gelingen. Wie, dazu liefert der Stifterverband uns immer wieder gute Hinweise.
Von Walther Rathenau stammt der Satz: "Die Klage über die Schärfe des Wettbewerbes ist in Wirklichkeit meist nur eine Klage über den Mangel an Einfällen". Der Stifterverband klagt nicht, sondern weist mit seinen Programmen für Schulen und Hochschulen und seinen Initiativen zur Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft Wege ins Land der Ideen. Dafür bin ich dankbar, und dazu wünsche weiterhin viel Erfolg. Vielen Dank.